Hans-Peter Salentin: „Bitter, aber wahr“

Aus gegebenem Anlass möchte ich hier auf ein aktuelles Interview zwischen Heinrich Schmitz und dem Jazztrompeter Hans-Peter Salentin hinweisen, das kürzlich von der Gesellschaft der Freunde der Künste publiziert wurde. Herr Salentin ist Professor für Jazztrompete an der Hochschule für Musik in Würzburg (meiner Alma Mater) und spricht im Interview ausführlich über die Problematik der „Umsonstkultur“ für Berufsmusiker im Bereich Jazz. Seine Beobachtungen lassen sich aber ganz einfach auch auf andere Bereiche der Musikkultur (z.B. Folk, Rock, Pop usw.) übertragen. Aktuelles Beispiel in Würzburg wäre das eben zu Ende gegangene Festival „Umsonst & Draussen“, das diese Art Umgang mit Musikern (keine Gagen) seit Beginn an pflegt und sogar ohne Schamesröte im Namen trägt. Gleichzeitig zahlen die Verantwortlichen sich selbst und vielen nichtmusikalischen Helfern ganz selbstverständlich einen Lohn aus. Ich habe zu diesem Thema auf diesem Blog einige Beiträge und Kommentare verfasst, z.B.:

Das Würzburger U&D & ich
U&D Würzburg: 3 Songs findet nicht statt

Da inzwischen auch Ralf Duggen und andere Verantwortliche des U&Ds bemerkt haben, dass sich der Wind bzgl. dieser Thematik auch in der Öffentlichkeit zu drehen beginnt, wurde in diesem Jahr erstmals nach 25 Jahren Festivalgeschichte eine kleine Gage an beteiligte Musiker und Bands ausgezahlt. Dankesschreiben, Präsentkörbe und Blumengebinde für meinen persönlichen Einsatz zu diesem „unfreiwilligen“ (Zitat U&D) Schritt des U&Ds bitte an die im Impressum angegebene Adresse.

7 Gedanken zu „Hans-Peter Salentin: „Bitter, aber wahr“

  1. Salentin ist zu loben, weil er überhaupt etwas zu diesem Thema sagt, aber sein Diskussionsbeitrag wird, pardon, der Komplexität der Sachlage nicht wirklich gerecht.

    Mir kommt es eher so vor, als ob er hier ausschließlich Lobby-Arbeit in eigener Sache betreibt: Der Jazz-Professor fürchtet schlicht um seinen Job. Ihm laufen die Studenten davon, weil sich mittlerweile herumgesprochen hat, dass man von Jazz beim besten Willen nicht leben kann. Also muss ein gesetzlich garantierter Mindestlohn für *Berufs*musiker her. Und die „große Anzahl von Hobby-Spielern“ (?) muss dafür gefälligst raus aus dem Geschäft. Die machen ja sowieso nur die Preise kaputt. Profimusiker, die, horribile dictu, in *einer* Band mit „Hobby-Spielern“ auch mal umsonst auftreten, werden besonders scharf gerügt: „Berufsmusiker, die diesen gefährlichen Unsinn auch noch mitmachen, schädigen sich und nachfolgende Kollegen.“

    Die Frage ist doch: Wer *definiert* eigentlich, wer ein „Berufsmusiker“ ist und wer ein „Hobby-Spieler“? Was ist mit dem Steuerfachangestellten, der seit 25 Jahren auf hohem Niveau in einer Band mit studierten Musikern E-Gitarre spielt, was mit dem Diplom-Musiker, der überhaupt keine Gigs bekommt, weil er kein Bühnentalent hat? Noch komplizierter wird es, wenn man die Sache global sieht: Unstudierte, noch unbekannte, aber hochtalentierte Blues-Musiker aus den USA treten in Deutschland auf – und hätten dann, nach Salentin, keinen Anspruch auf menschenwürdige Gage, weil sie kein Hochschuldiplom vorweisen können?

    Denkt man Salentins Argumentation zu Ende, landen wir bei einer flächendeckenden Sozialdemokratisierung des Musiklebens: „Berufsmusiker“ darf sich dann nur noch nennen, wer ein Hochschuldiplom vorzuweisen hat. Dies berechtigt ihn, Geld für seine Auftritte zu verlangen, egal, ob sie dem Publikum gefallen oder nicht. Wer so ein Diplom nicht hat (ich z. B.) und so dumm ist, trotzdem Musik zu machen, kriegt evtl. weniger oder kein Geld, obwohl er evtl. sogar besser beim Publikum ankommt. Das Ganze wäre dann auch noch per Gesetz abgesegnet, kein Veranstalter hätte mehr ein schlechtes Gewissen, einen „Unstudierten“ schlecht zu behandeln.

    So ein System gab’s schon mal: in der DDR nämlich.

    • @Stefan: Danke für den ausführlichen Kommentar. Habe das Interview jetzt noch mal durchgesehen und halte deinen Einwand für nicht begründet. Salentin spricht einmal von Berufsmusikern, dann aber auch von Künstlern, Musikern oder Bands, in einem Beispiel auch von einem hypothetischen Trio. Eine wertende Gegenüberstellung von „Amateuren“ und „Profis“ kann ich nicht finden.
      Aber klären wir doch trotzdem kurz den Begriff „Berufsmusiker“. Ich verstehe darunter eine Person, die Musik beruflich, also zum Lebensunterhalt betreibt. Das ist erstmal unabhängig von Diplom und anderen Abschlüssen und auch unabhängig vom Niveau. Es liegt in der Natur der Sache, dass man, wenn man sich (und evtl. eine Familie) versorgt, schauen muss, dass man mit seiner Arbeit auch Geld verdient, manchmal gut, manchmal nicht so gut, aber arbeiten und gar nichts verdienen ist normalerweise nicht akzeptabel. Mich wundert immer wieder, dass man das als Musiker betonen muss. Ich kenne keinen anderen Berufsstand, wo es gesellschaftlich akzeptiert wäre ohne Lohn Arbeit zu verrichten.
      Diskutabel finde ich bei Salentin die Forderung nach einem Mindestlohn. Man darf aber nicht vergessen, dass so etwas in anderen beruflichen Branchen z.B durch Tarifverträge selbstverständlich gilt. In den meisten Berufen ist auch klar, dass ohne entsprechenden Nachweis der Befähigung keine Zulassung erteilt wird (Handwerk, Ärzte, Rechtsanwälten Steuerberater etc.). Gerade im Bereich der Musikpädagogik würde ich eine solche Regelung übrigens außerordentlich begrüßen. Als Richtwert für Veranstalter/Fachfremde und nicht zuletzt Musiker ist seine Ansage von 150 Euro/Musiker & Abend allemal brauchbar.
      Im Fall von praktizierenden Musikern wäre so etwas aber ziemlich sicher nicht durchsetzbar und meiner Meinung auch gar nicht wünschenswert, weil Diversität verloren ginge und viele Impulse und Innovation im kulturellen Bereich oft gerade von Amateuren, Querdenkern, Dilettanten (nicht despektierlich gemeint) usw. kommt. Aber auch die müssen, wenn sie es hauptberuflich betreiben am Ende des Tages von irgendetwas leben.
      Persönlich habe ich übrigens gar kein Problem mit Kommerz, Konkurrenz oder Marktwirtschaft, habe seit mehr als 20 Jahren damit zu tun und komme zurecht. Es sollten dann aber bitte auch gleiche Bedingungen für alle gelten. Es geht natürlich nicht, dass ich als freier und selbständiger, regionaler Musiker/Songschreiber/Produzent/Eigenveranstalter gegen öffentlich geförderte und zusätzlich privatwirtschaftlich gesponsorte Veranstaltungen antreten soll, die sich nicht eigenständig finanzieren und gleichzeitig meine Leistung umsonst anbieten indem sie systematisch, über Jahre und ohne Einspruch von öffentlichen Seite Musikerkollegen ausbeuten. Das ist nicht soziale, sondern eben unsoziale, um nicht zu sagen asoziale Marktwirtschaft, denn bei Verlusten springt die Öffentlichkeit ein (noch mehr Förderung, noch mehr Sponsoren, Fördervereine, Benefiz-Konzerte usw.). Und noch ein Schlusssatz: Wenn – wie beim U&D – durch einen musikalischen Beitrag Kasse gemacht wird, also Geld verdient und natürlich auch ausgezahlt wird, dann sollte der Musiker oder die Band ein Stück vom Kuchen abhaben.

  2. Die Thematik der kostenlosen und stets verfügbaren Musik, auch im Live Bereich, empfinde ich als extrem vielschichtig. Ich glaube – auch wenn ich in vielen Punkten Herrn Saletin Recht geben muss – dass es nicht der Weisheit letzter Schluss ist eine Mindestlohn einzuführen.
    Glaubt man, man könne das „Problem“ mit einer Standard-Entlohnung beseitigen, reduziert man das „Problem“ auf eine rein wirtschatliche Komponente. Man sagt – wie es in vielen anderen Branchen auch der Fall ist – Arbeit muss sich wieder lohnen. Und für den Berufsmusiker ist das Spielen in diesem Kontext Arbeit. Man reduziert die erbrachte Dienstleinstung auf ihren Preis, und das empfinde ich als den falschen Ansatz.Kunst sollte eine andere gesellschaftliche Wahrnehmung haben und diese sollte losgelöst von der Entlohnung sein.

    Die gesellschaftliche Sicht, im Interview mit der bekannten „Umsonstgesellschaft“ betitelt, empfinde ich als das weitaus größere Problem. Diesem wird man aber nicht Herr, wenn man anfängt Musiker eine bestimmte Entlohnung zu garantieren. Der Konsument muss realisieren, dass hier eine Leistung erbracht wird!

    Ehrlicherweise sehe ich hierfür keinen Ausweg – abgesehen von einer groß angelegten Kampagne des Staates im Stile von „Du bist Deutschland“. Auch teile ich Stefan Hetzelts Ausführung, dass es doch reichlich schwierig und bisweilen arrogant ist, den Berufsmusiker vom Hobbymusiker zu trennen. Ich bin Hobbymusiker und gebe auf der Bühne mein Bestes. Ist das weniger Wert, weil ich nicht studiert habe? Im Umkehrschluss zahle ich für den Fliesenlegermeister mehr, als für den Gesellen – doch ist das vergleichbar? Es gibt einige weitere zentrale Fragen, die sich zumindest mir stellen, auf die ich aber ehrlicherweise keine Antwort habe:

    1. Spielt ein Künstler lieber kostenlos vor vielen Menschen, oder gegen Bezahlung vor wenigen?
    2. Wäre dies die logische Schlussfolgerung (Mindestlohn führt zum Wegbleiben der Zuhörer)?
    3. Ist Kunst nicht auch deshalb Kunst, weil der Wert für den einzelnen Konsumenten variiert?
    4. Und ist es daher nicht unsinnig zu sagen, ein Künstler hat mindestens den Wert „X“ verdient?

    Man könnte hierüber eine mehrseitige wissenschaftliche Arbeit verfassen ohne eine sichere Antwort zu erhalten. Ich für meinen teil traue mir eine schlussendliche Bewertung nicht zu, glaube aber, dass ein wichtiger Punkt auch die Künstler selbst sind. Es gibt „geschäftstüchtigere“ Kollegen als andere. Ein guter Künstler ist nicht zwingend ein guter Geschäftsmann. Wer jedoch seine Kunst verkaufen will, muss auch Geschäftsmann sein – und damit sind wir wieder beim Geld…

    • @Simon: Danke für deinen ausführlichen Kommentar, ich begrüße es umso mehr, weil du sowohl Musiker, als auch studierter BWLer bist. Auch ich finde es schwierig bis unmöglich eine kunsthandwerkliche Leistung absolut zu bewerten (obwohl das im Handwerk, in der Medizin und vielen anderen Bereichen gängige Praxis ist). Aber klar sollte doch sein, dass für einen Berufsmusiker (ob mit oder ohne Ausbildung) „umsonst“, also komplett ohne Gage in einem kommerziellen Rahmen/Umfeld, in dem andere Geld verdienen nicht gehen kann. Und da finde ich die 150 Euro/Musiker&Abend-Ansage von Herrn Salentin einen sehr brauchbaren Richtwert, nicht nur für Veranstalter und Publikum, sondern auch für die Musiker selbst. Gesetzlich durchsetzen sollte man und kann man das sicher nicht, da würde ich eigentlich dem Markt vertrauen, wenn er denn frei wäre, aber das ist er gerade im kulturellen Bereich durch massive Eingriffe (Förderungen von Stadt, Bezirk, Land, Bund, Fördervereinen, Sponsoren etc.) eben leider nicht.
      War das auch ein Thema im Studium?

      • @Dennis:

        Ja und Nein. Natürlich bespricht man Märkte im Ganzen. Man charakterisiert Märkte und versucht diese zu verstehen, bzw. nachzuvollziehen. Märkte sind eigentlich „das“ zentrale Thema in der Volkswirtschaftslehre.
        Nur – und hier sind wir beim Nein – ein „künstlerischer Dienstleistungsmarkt“ wurde natürlich nicht besprochen. Was in gewisser Weise auch logisch ist, denn die bekannten Märkte (z.B. der Rohstoffmarkt) sind natürlich viel greifbarer, und Beispiele sind plastischer, nachvollziehbarer.

        Grundsätzlich charakterisiert sich jeder Markt durch die gleichen Parameter. Der klassiche Kampf zwischen Angebote und Nachfrage. Wer hat mehr Macht am Markt? Der Anbieter oder der Konsument? Wodurch kann der Konsument das angebotene Produkt ersetzen? Welche feststehenden Marken existieren am Markt? Wie beeinflussen Subventionen oder die Politik den Markt usw. Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, denn dem könnte ich kaum gerecht werden.

        Festzuhalten bleibt für mich, dass es natürlich nicht tragbar ist, dass Menschen unentgeltlich (ich hasse den Terminus umsonst. Kostenlos wäre richtig! Meine Schulbildung war gewiss kostenlos, aber hoffentlich nicht umsonst!) eine Leistung erbringen, und das die Gesellschaft, das als normal hin nimmt.

        Wenn man zurück blickt und sich fragt woher die Idee, des kostenlosen Spielens kommt, erkennt man schnell warum es damals funktionierte und heute nicht mehr. Festivals wie das U&D waren in Zeiten, in denen durch CD Verkäufe Milliarden umgesetzt wurden ein tolles Forum. Heute hat sich der Markt und der Konsument verändert. Die Künstler spielen nicht nur unentgeltlich sondern mittlerweile tatsächlich umsonst.

        Eine Lösung habe ich freilich nicht, weil ich auch keine Glaskugel besitze. Ich kann auch nur mutmaßen, was passieren würde wenn z.B. ein Mindestlohn eingeführt werden würde.
        Und abschließend zum Thema freier Markt. Was geschieht, wenn der Anbieter (der Künstler) sich entscheidet immer diese 150 € zu fordern und dies würde tatsächlich Flächendeckend passieren?
        Ich mutmaße mal: Die kleinen Künstler gehen endgültig vor die Hunde, die Großen werden größer. Und dort wo die Großen nicht hingehen wird substituiert – eine CD tut´s auch. Ein hoch auf den freien Markt…

  3. Hallo Dennis,
    angeregt von Deinem Punkt der bisher fehlenden Bezahlung der Bands einige generelle Gedanken zum Thema Kreativität und Lohn:

    Das ist m.:E. weitestgehend das Schicksal des „Künstlers“, d.h. des Ausstellenden , Performenden und Meisters seiner speziellen Kunst.

    In manchen Sparten der Kunst ,also nicht nur der Musik, so meine Beobachtung, muß der Künstler sogar dafür zahlen, wenn er seine Werke vorführen möchte! Ob dann seine Vorführung irgendwelche relevanten Einkünfte generiert, die zumindest seine Unkosten decken, ist ihm dabei selbst überlassen.
    Ich habe unlängst etwa mit einem Aussteller von keramischen Objekten gesprochen. Er macht das mittlerweile nicht mehr, weil er nach seiner Rechnung auf etwa 2 Euro Stundenlohn kam. Das ist vollkommen glaubhaft, habe ich doch mal selbst so eine Beispiel-Rechnung angestellt.

    Es läuft also letztlich darauf hinaus: Will man sich zeigen um der Sache willen oder will man davon auch leben?

    Leider ist es so, daß offenbar Kunstfertiges/Kreatives/Schöpferisches an sich in unserer Gesellschaft „keinen Wert“ darstellt. Manche können dem entfliehen, finden eine sich lohnende Nische, doch sehr viele müssen sich diesem Diktat beugen.
    Wieso das so ist mit dem Wert des Kreativen – who knows? Sind die Kreativen immer noch die Gaukler des Mittelalters?
    Irgendwo macht mich das traurig.

    Noch etwas: Was speziell Musik als einer der Künste,betrifft, bin ich absolut kein Anhänger der Umsonstmentalität. Selbst auf Bandcamp-Seiten, die mir einen Download zum selbstbestimmten Preis anbieten, zahle ich immer den in etwa regulären Preis. Ich MÖCHTE es definitiv nicht umsonst, bezahle also den Künstler gerne für seine Arbeit – einfach aus der Freude heraus, was der Mensch an Kreativem leisten kann und er der Welt schenken kann. Ist es nicht wunderschön, daran teilzuhaben?

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