Aufbruch, Umbruch, Wandlung (KW25/2023)

Gerade liegt die Sommersonnenwende hinter uns, seit Jahresbeginn wurden die Tage heller und lichtreicher, nun haben wir den Höhepunkt überschritten, es wird warm bleiben, aber die Tage werden unausweichlich wieder kürzer und die Nächte länger.

Die erste Jahreshälfte 2023 hat für mich viele bedeutende Neuerungen gebracht, die Erfahrungen haben mich verändert und eine Verwandlung eingeleitet, die noch wirkt, nicht abgeschlossen ist. Angefangen hat es damit, dass ich eine umfangreiche Ausbildung zum Gästeführer der Stadt Würzburg angetreten habe. Sie erstreckte sich von Januar bis April um viele Wochen mit abendfüllenden Vorlesungen, Workshops, Begehungen, praktischen Übungen zu allen erdenklichen historischen, kulturellen Themen, sowie Körpersprache, sprachliche Präsentation etc. Die Ausbildung hat mich voll und ganz vereinnahmt, auch in meiner Freizeit habe ich Bücher zu Stadt-, Bau- und Kunstgeschichte verschlungen, bin Führungen mit- und nachgelaufen, habe vor Freunden und Bekannten an meinem eigenen Vortrag geübt und ihn verfeinert, habe auch Orte und Städte im Umfeld besucht um die Eindrücke über Baustile, Künstler und Werke zu vertiefen. Mindestens genauso bereichernd wie die Inhalte waren die Begegnungen mit anderen Teilnehmern, Dozenten, erfahrenen Gästeführern (inzwischen: Kollegen), später dann die Erfahrungen mit den ersten Gästen und Gruppen. Alles zusammen hat viel in Bewegung gesetzt, ich wurde aus meinen beschaulichen Arbeits- und Lebensroutinen regelrecht herauskatapultiert, durch die Begegnungen und Beobachtungen hat sich auch der Blick auf mich selbst verändert und mir sind eigene Gewohnheiten aufgefallen, die mir lange Zeit gar nicht mehr aufgefallen waren, die ich lange gepflegt, aber nicht hinterfragt hatte. Weil die Ausbildung und die viele Zeit außer Haus und unter anderen, mir zunächst unbekannten Menschen dazu eine gehörige Distanz hergestellt hatte, war einiges deutlicher erkennbar, es brauchte zwar noch bis Anfang April, aber da begann ich mich und es begann sich etwas zu verändern.

Zu allererst war ich auf dem neuen Feld Novize, hatte viel zu lernen und aufzuholen, musste Lücken erkennen und schließen, das macht demütig und bescheiden, gleichzeitig waren da andere, die z.T. erstaunlich besser informiert waren, von denen ich mir einiges abschauen und viel lernen konnte. Weil recht bald auch der freie Vortrag vor der Gruppe geübt wurde und die eigenen Schwächen dabei recht offen zu Tage traten, etablierte sich fast unabgesprochen ein respektvoller und achtsamer Umgang miteinander, die Atmosphäre war außergewöhnlich kollegial und wohlwollend, man half und unterstützte sich gegenseitig, auch nach Ende der Ausbildung geht das so weiter, man steht in Kontakt, trifft sich, hört sich zu, ist interessiert.

Bei mir hat diese Phase einen frischen Blick auf mich selbst bewirkt und ich habe etliche Lebensumstände und -gewohnheiten hinterfragt. Wie, wovon und wofür lebe ich? Und wie, wovon und wofür würde ich gerne leben? Ich habe verstanden, dass ich die letzten Jahre, auch aufgrund äußerer Umstände, immer zurückgezogener gelebt hatte, viel alleine, zuhause, virtuell und digital gearbeitet hatte. Zum ‚Ausgleich‘ habe ich Tutorials, Videos, Texte, Filme und Serien konsumiert, um mich informiert zu halten, heute meine ich: um mich abzulenken. Aber auch etliche andere Lebensbereiche waren von ungesunden Gewohnheiten geprägt und so habe ich ziemlich intuitiv, fast unterbewusst einen radikalen Schnitt vollzogen.

Seit ca. zwei Monaten lese ich keine Zeitungen und Magazine, sehe kein Fernsehen, keine Mediatheken, keine Serien, ich habe meine Ernährung umgestellt, esse jetzt vernünftig und ausgewogen, insgesamt weniger und kalorienärmer, mache täglich eine Sport- zumindest ein Bewegungseinheit, verbringe viel Zeit an der frischen Luft, in der Sonne. Negative Menschen und Inhalte versuche ich kurzzuhalten und auszublenden, beschäftige mich lieber mit konstruktiven und erbaulichen Dingen, ich vergeude keine Zeit mehr über Dinge zu reden und mich aufzuregen, die ich sowieso nicht ändern kann. Ich versuche freundlich und wertschätzend mit meinem Umfeld umzugehen, ich achte auf mich und andere, ja, ich weiß, eigentlich alles Dinge, die klar sein sollten, die jeder sowieso tun sollte, ich habe mich damit schwergetan. Warum habe ich mich schlecht und zu viel ernährt? Keine Ahnung, war halt so. Warum habe ich zu viel vorm Rechner gesessen? Keine Ahnung, war halt so und ich beobachte es bei vielen anderen.

Jetzt habe ich abends sehr viel mehr Zeit, bin draußen in der Natur, alleine oder treffe mich mit Freunden und Bekannten, verbringe Zeit mit meinen Kindern, lese ein Buch, von vorn bis hinten, auch wenn ich es nicht auf dem Blog verwerten kann. Und die Dinge wandeln sich ausgehend davon weiter, es geht mir gut, es geht mir hervorragend, ich habe abgenommen, ich habe neue Menschen kennengelernt, die mir sehr gut tun, die ähnlich ticken wie ich, ich lasse Dinge auf mich zukommen, lasse mich auf sie ein, sie ergeben sich, ohne Plan, ohne Strategie, einfach so, es sind schöne, bereichernde, unerwartete Momente und Begegnungen. Ich weiß zwar gerade nicht wohin mich das führt, ich frage auch nicht danach, es wird gut sein, da bin ich mir ziemlich sicher. Diesen ungewohnten Schwebezustand, die Unentschiedenheit einzufordern, herzustellen, auszuhalten, ja zu genießen ist die Herausforderung, der ich mich stelle. Ich fühle mich dadurch zurückversetzt in eine Art unbeschwerten Urzustand, einen Nullpunkt, der viele noch unbeschrittene Ausrichtungen und Entwicklungen bereit hält. Ich bin gerade ich und das fühlt sich gut an.

Was das für meine bisherige Arbeit und den Blog bedeutet? Kann ich nicht sagen, wir werden sehen.

Ein Gedanke zu „Aufbruch, Umbruch, Wandlung (KW25/2023)

  1. Hi Dennis,

    Es ist interessant zu lesen, wie sich Perspektiven und Einstellungen über die Zeit wandeln. Schön, dass wir trotz all der Wandlungen immer noch produktiv Zusammenarbeiten.

    Wenn du es nicht schon kennst, dann kann ich dir zur Weiterführung deines aktuellen Prozesses einen Blick in den Stoizismus empfehlen.
    Das Mindset der Stoiker scheint viele Überschneidungen mit deinem aktuellen „State of mind“ zu haben. Ich konnte für mich einiges daraus ableiten.
    Mit dem Stoizismus in Kontakt gekommen, bin ich über das Buch „The Beginners Guide to Stoicism“ von Mathew J. Van Natta. Ich habe zuerst das Audibuch (auf English) gehört und dann zum weiteren Studium das Buch (auf Deutsch) gekauft. Beides kann ich nur empfehlen.
    Vielleicht ist das ja ein fruchtbarer Tipp.

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