Popkomm: Wie kommuniziert man über Popmusik?

Im Laufe der letzten Tage gab es an einem meiner Blogartikel großes Interesse, das sich in hohen Zugriffszahlen und einer außerordentlichen Anzahl von Kommentaren niedergeschlagen hat. Es wurde eingangs die Frage gestellt, ob Popmusik als treibende Kraft der Popkultur ausgedient hat. Die anschließende Diskussion hatte ein enormes Tempo war wortgewaltig, engagiert, emotional, anregend, provokativ, zum Teil frei assoziativ, zum Teil deutlich um Sachlichkeit bemüht. Als beteiligter Diskutant und Moderator war für mich sehr interessant zu verfolgen welche Wege und Wendungen die Diskussion in ihrem Verlauf genommen hat, teilweise driftete sie in entfernte Gefilde (Was ist Popmusik?, Anything goes?/Geht wirklich alles? Darf man Popmusik bewerten? Welche Rolle spielt der eigene Geschmack? Wo endet die Toleranz? Wo beginnt Wurschtigkeit? Was ist intellektuell/pseudointellektuell? Welche Berechtigung haben externe Autoritäten? Wer hat die Definitionshoheit? Etc.). Es prallten dabei viele verschiedene Standpunkte, Ansichten und Artikulationsstile aufeinander und es stellte sich immer deutlicher die Frage: Wie kommuniziert man über Popmusik?

Jeder Beteiligte bringt ja seine ureigenste popmusikalische Sozialisierung, ein großes Repertoire von Erfahrungen und jede Menge von individuellen Vorlieben mit an den Tisch. All das schwingt bei einer Diskussion zwar subtil, aber in hohem Masse mit, ist oft schwer oder gar nicht begründbar und den Mitdiskutanten oftmals gar nicht bekannt. Selbst Vertreter ein und derselben Generation haben nicht selten vollkommen unterschiedliche, wenn nicht sogar diametral entgegengesetzte musikalische Biographien (wie ich oftmals auch als Moderator des langjährigen Musiktalks “My Favourite Tracks“ erfahren durfte). Da einen gemeinsamen Nenner zu finden ist nicht immer einfach. Zusätzlich wird auf sehr unterschiedliche Art und Weise diskutiert. Jeder hat natürlich ein Recht auf seine ganz persönlichen Vorlieben, die nicht begründet werden können oder müssen. Das sei jedem gegönnt, aber für eine Diskussion ist das eine schwierige Ausgangslage. Und wenn jetzt jemand meint, das wäre ein Problem nicht-akademischer Kreise, dem kann ich entgegenhalten, dass auch Akademiker vom Fach also z.B. Musik-, Kultur-, oder Sozialwissenschaftler selbstverständlich ihre fachlichen und inhaltlichen Vorlieben haben und diese auch offen pflegen. Man kann dies meist ganz leicht an den Themen ihrer Vorlesungen und Veröffentlichungen ablesen. Vordergründig ist man um Sachlichkeit und ein ganzheitliches Verständnis bemüht, aber für sich genommen würde sicher kein Geisteswissenschaftler ein Thema bearbeiten an dem er nicht auch ein ganz persönlich begründetes Interesse hat.

Es kommt bei einer Diskussion aber auch darauf an welchem Ort und mit wem man sie führt. Unter Vertrauten in der Stammkneipe, einer persönlichen Unterhaltung oder einem Blogkommentar, kann ich meiner Meinung nach anders agieren als in einer wissenschaftlichen Arbeit, einer öffentlichen Rede oder einem Blogartikel. Je nachdem kann es dann assoziativ, emotional, subjektiv, provokativ oder eben intellektuell, sachlich begründet, allgemeingültig oder akademisch zugehen.

Wenig Sinn macht es dabei externe Autoritäten oder Quellen zu bemühen, die andere Beteiligte nicht kennen, oder auf Behauptungen herumzureiten, die argumentativ nicht belegt werden können. Politische Korrektheit oder ständige Nicht-Festlegung ist auf Dauer auch etwas langweilig. Schwierig wurde es meist dann, wenn einer eine persönliche Meinung äußerte, ein anderer aber allgemeingültige Aussagen hören wollte. Wenn einer vom Text (z.B. einer bestimmten Einspielung) redete und der andere vom Kontext (aus der Musik resultierende Moden, Tänze, politische Forderungen). Oder einer von soziokulturellen Auswirkungen und der andere von der kompositorischen oder instrumentaltechnischen Handwerklichkeit einer Einspielung. Es stellte sich heraus, dass man sich nicht einmal auf eine halbwegs gültige Definition des Begriffs „Popmusik“ einigen konnte. Man kann diese Ausrichtungen insbesondere in der Kommentarfunktion eines Blogs nicht vorher abstecken, das würde den natürlichen Verlauf einer Diskussion zu sehr regulieren und begrenzen. Die Diskutanten müssen ein Gefühl dafür entwickeln aus welcher argumentativen Ecke das Gegenüber kommt, Interesse zeigen, Fragen stellen, Antworten anbieten, das ist zum großen Teil auch gelungen. Falls alle auf Dauer nur auf dem eigenen Standpunkt behaaren und also inhaltlich unbeweglich sind, bleibt eine Diskussion allerdings unergiebig. Aber das gilt freilich nicht nur für die Kommunikation über Popmusik, sondern für jegliche Form der Kommunikation.

So oder so habe ich mich über die rege Teilnahme an der Diskussion sehr gefreut und konnte einige Anregungen für mich selbst mitnehmen. Gerne mehr davon. Ich schließe mit einem herzlichen Gruß an alle Leser und Kommentatoren.

4 Gedanken zu „Popkomm: Wie kommuniziert man über Popmusik?

  1. @Dennis: Gruß zurück 🙂 Ganz ähnliche Gedanken habe ich Anfang des Jahres in diesem Blogartikel auch schon mal geäußert: http://wp.me/p1MYy1-2mG Der zentrale Gedanke dieses Artikels war folgender: Dadurch, dass plötzlich (potentiell) jeder mit jedem nahezu aufwands- und kostenlos permanent asynchron in Abwesenheit kommunizieren kann, entsteht – ganz allmählich, aber zwangsläufig – ein neues individuelles wie kollektives Selbstbild der Akteure. Will sagen, die Langzeitwirkung substanzieller Debatten in Sozialen Netzwerken ist kaum zu unterschätzen – und sie ist – Kulturpessimisten aufgepasst – durch und durch positiv!

    Warum? Ist „das Internet“ nicht ein Reich des Bösen, der Untergang des Abend- und Morgenlandes, zudem sowieso nur „eine Erfindung amerikanischer Geheimdienste“ (so W. Putin heute – der Mann hat mehr Witz, als ich dachte – aber vermutlich weiß er das selbst gar nicht … na ja, nicht mein Problem).

    Nun, zum einen entstehen zwar spontane und kurzlebige, aber ganz und gar nicht beliebige (denn man kommuniziert ja nur miteinander, weil man sich für ein gemeinsames Thema interessiert bzw. zu interessieren glaubt) Diskussionslandschaften. Dennoch *verpflichtet* die Teilnahme an einer solchen Diskussion zu nichts, was über sie hinausginge (im Unterschied zum klassischen Stammtisch). Man kann diese Freiheit natürlich missbrauchen, indem man trollt, aber das ist kein Konstruktionsfehler Sozialer Netzwerke, sondern m. E. schlicht der Tatsache geschuldet, dass viele Menschen mit der kommunikativen Freiheit im Internet (noch) überfordert sind: „Hilfe, ich kann jetzt jeden jederzeit anpöbeln, wie geil ist das denn! Aber … will ich das eigentlich?“ etc.

    Ich finde deshalb A. Merkels vielbelächeltes Diktum vom „Internet, das für uns alle Neuland ist“, gar nicht so falsch. Denn es ist ja wohl ein Unterschied, zu wissen, wie man „ins Internet geht“ und es *für sich arbeiten zu lassen*. – „Das Internet“ arbeitet dann für mich, wenn ich nach einer Debatte, wie wir, Dennis, sie eben hatten, ein winziges Bisschen mehr über mich erfahren habe (egal auf welchem Bereich: psychologisch, auf sachlicher Ebene, politisch, emotional). Was die wenigsten Internet-Nutzer mitzubekommen scheinen: Das ist eine Erfahrung des 21. Jahrhunderts – sie war so noch nie zu machen, zu keiner Zeit: weil es kein Internet gab (Post, Telefon, TV und Radio funktionieren anders).

    Den enormen Prozess, der hierdurch angestoßen wird, habe ich mal „Soziodigitalisierung“ genannt: Er ist ein mächtiges Gegenmittel zur allgegenwärtigen Entfremdung in entwickelten Gesellschaften – die übrigens witzigerweise (Kulturpessimisten würden sagen: fatalerweise) von den selben Technologien befördert wird.

  2. @Stefan: Danke für deinen Kommentar, es ist schön zu lesen wie viel Positives du der „Soziodigitalisierung“ abgewinnen kannst. Ich weiß nur nicht, ob ich deine fast uneingeschränkte Euphorie teilen kann.
    Ich genieße als Blogbetreiber, Artikelautor und Kommentator selbstverständlich die Freiheiten des relativ neuen Mediums. Leider musste ich im Laufe der letzten Zeit aber auch erkennen, dass die Breitenwirkung von z.B. Blogs doch sehr begrenzt ist, das ist zumindest mein Eindruck. Man schreibt und kommentiert schon sehr viel alleine vor sich hin oder kommuniziert mit einem sehr übersichtlichen Kreis Gleichgesinnter und/oder Bekannter. Anfangs dachte ich noch, wenn man regelmäßig halbwegs interessante Artikel postet, kann man eine Leserschaft aufbauen, aber da bin ich mir mittlerweile nicht mehr so sicher. Zumindest stehen die Faktoren Arbeitsaufwand und mediale und soziale Reichweite in keinem guten Verhältnis.
    Ich habe außerdem den Eindruck, das viel aneinander vorbei geschrieben wird, weil die Beteiligten extrem unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. Nicht nur was Interessengebiete, Wissensstand oder Terminologie angeht, sondern auch bzgl. Argumentationswillen, Logik, Stringenz oder Abschluss eines Gedankens. Es wird sowohl in Artikeln als auch Kommentaren viel anekdotisch geschrieben, herum mäandert, frei assoziiert, sinnlos abgeschweift, zusammenhanglos zitiert, subjektiv bewertet, irgendwas behauptet oder unter den Tisch gekehrt, wieder hervorgeholt, dann doch wieder vergessen, unsinniges wiederholt usw.
    Und das passiert dann auch noch tausendfach parallel, auf alle möglichen Niveaus, auf verschiedenen Sprachen, in verschiedenen Zeitzonen. Das ist so abartig fragmentarisch und zersplittert und hat deswegen nur sehr wenig Bedeutung oder Effekt.
    Ich fand früher immer nervig, dass bestimmte z.B. musikwissenschaftliche Themen meist in abgeschlossenen, elitären Zirkeln verhandelt wurden, die in der Außenwelt gar nicht wahrgenommen wurden (Konferenzen, Tagungen, Jahrbücher). Jetzt können Außenstehende zwar mehr und mehr teilnehmen, aber inselartig und exklusiv bleibt es trotzdem. Man findet mittlerweile aber oft nicht einmal eine verbindliche Diskursebene, also einen halbwegs gemeinsamen Wissens- und Erfahrungsstand. Alle sind nur noch nahezu autistische Einzelkämpfer, jeder redet, aber kaum einer hört noch zu. Es kommt soweit, dass man Instanzen und Institutionen vermisst, die eine Art Rederecht erteilen. Wie soll sich das in Zukunft ändern? Wohin geht die Reise? Kannst du auch Gefahren erkennen?

  3. @Dennis: „Leider musste ich im Laufe der letzten Zeit aber auch erkennen, dass die Breitenwirkung von z.B. Blogs doch sehr begrenzt ist, das ist zumindest mein Eindruck.“
    Dein Eindruck ist vollkommen richtig, aber, wenn du sagst „begrenzt“, womit *vergleichst* du das dann? Holger Liebs, jahrelang zuständig für Kunst bei der Süddeutschen, sagte mal sinngemäß „Nach jedem meiner Artikel kommt das große Loch.“ Wieviele dir namentlich bekannte Leser deiner musikwissenschaftlichen Arbeiten (ich meine *freiwillige* Leser) hattest du denn *vor* deiner Bloggerei?

    „Ich habe außerdem den Eindruck, das viel aneinander vorbei geschrieben wird, weil die Beteiligten extrem unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen.“
    Hier möchte ich Andreas Dorau zitieren: „Das ist Demokratie – langweilig wird sie nie.“ (1988) http://youtu.be/RQKlel-CUIs Mich nervt das genau so wie dich, aber es gelingt mir immer besser, damit umzugehen. Das wichtigste (und schwierigste) ist, höflich zu bleiben, auch wenn der Andere grade Unterirdisches absondert und gleichzeitig den Respekt vor dem Anderen zu behalten. Man weiß schließlich nie (und „im Internet“ schon gleich gar nicht), mit wem man es zu tun hat. Der philosophische Begriff hierfür lautet Kontingenz (Eingebundenheit). Ich weiß nie, in welche evtl. katastrophalen, merkwürdigen oder auch deprimierenden Kontingenzen mein Gesprächspartner gerade eingebunden ist.

    „Man findet mittlerweile aber oft nicht einmal eine verbindliche Diskursebene, also einen halbwegs gemeinsamen Wissens- und Erfahrungsstand.“
    Das erste *muss* mit dem zweiten nicht unbedingt zu tun haben. Aber ich gebe zu, es ist schwierig, *nicht* herablassend zu wirken, wenn man einfach ein paar Sachen mehr weiß als der Andere. Auf der anderen Seite, wenn *ich* mal der Unwissende bin, bin ich dem Anderen immer dankbar, wenn er mir sein Wissen ohne Arroganz unterbreitet – also ganz nüchtern, als Faktenwissen, ohne diesen ätzenden „Was, das hast du nicht gewusst?“-Zeigefinger.

    „Es kommt soweit, dass man Instanzen und Institutionen vermisst, die eine Art Rederecht erteilen.“
    Dieses Bedürfnis teilst du mit der großen Mehrheit aller Menschen.

    „Wohin geht die Reise?“
    Ende letzten Jahres hab ich mal was über „Post-digitale Apartheid“ geschrieben : http://wp.me/p1MYy1-28G Die Science-Fiction-Prognose einer Aufteilung der Menschheit in digitale Morlocks, die sich von digitalverweigernden Elois ernähren (die Begriffe stammen von H. G. Wells), hab ich dabei nur halb-ironisch gemeint. Vielleicht kann man sich aber auch *digitale* Elois vorstellen, d. h., Menschen, die bsp.weise Facebook mit „dem Internet“ verwechseln, die nicht wissen, dass man auch „ins Internet“ gehen kann, *ohne* ein Smartphone zu besitzen (imagine that!). Ich hatte das Glück, das Internet zu entdecken, als es noch relativ elitär und ungeregelt war (Ende der 1990er Jahre). Wer heute online geht, findet eine relativ geregelte Welt vor (ich sage nur: Apple). Aber: Das „andere“ Internet, also z. B. das, war wir hier grade machen (echte Diskurse führen, über längere Zeiträume argumentieren, fundiert streiten), ist immer noch da, es funktioniert prächtig – aber – und hier appelliere ich an dich als Lehrer – vielleicht muss man, die, äh, „Jugend“ mittlerweile auch da, äh, „heranführen“ (an die Blogosphäre z. B.). Das Problem scheint mir nicht der Mangel an Instanzen zu sein, sondern der Mangel an seriöser Internet-Bildung.

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