Von Dr. Dennis Schütze
Intro:
Vor einiger Zeit kam ein neuer, erwachsener Schüler zu mir um Gitarrenunterricht zu nehmen. Nach der Kennenlernstunde wurde vereinbart, dass der Unterricht wöchentlich in Einzelstunden à 30 Min stattfinden sollte. Wir trafen uns also regelmäßig und dabei fiel mir auf, dass er oft in Traininghose, Kapuzenpulli und Turnschuhen zur Stunde kam. Das lag daran, dass er als Physiotherapeut in der eigenen Praxis arbeitete und nebenbei auch betuchten Geschäftsleuten private Trainingsstunden erteilte. Außerdem war auffällig, dass er zwar immer pünktlich, aber oft unvorbereitet zum Unterricht kam. Oft gestand er mit einem unschuldigen Grinsen im Gesicht: „Diese Woche habe ich kein einziges Mal die Gitarre in der Hand gehabt!“
Als Lehrer war ich natürlich nicht begeistert, man schließt ja inhaltlich gerne an die verinnerlichten Inhalte der vergangenen Stunden an. So waren wir allerdings dazu gezwungen Inhalte der letzten Stunde zu wiederholen oder, wenn das schon ein paar Mal gemacht worden war, einfach unverrichteter Dinge ein neues Thema aufzuschlagen, obwohl das alte noch nicht abgeschlossen worden war. Irgendwann sprach ich ihn direkt darauf, erklärte, dass so eine Vorgehensweise aus musikpädagogischer Sicht nicht sehr ergiebig sei. Darauf entgegnete er, er würde den Unterricht bei mir als eine Form des Personal Coachings betrachten, er käme um in meinem Beisein und mit mir zu üben, er wolle Spaß haben, motiviert werden, fachliche Anregungen bekommen, technische Vereinfachungen gezeigt bekommen. Zuhause üben würde er nur bei Gelegenheit, es wäre für ihn aber kein fest eingeplanter Teil des instrumentalen Lernens. Zum Üben sei ja die wöchentliche Stunde da und ich verantwortlich dafür, dass er in wohl dosierten Schritten voran käme. So hatte ich das bisher noch nie gesehen und dass ich neuerdings als Personal Coach in Sachen Gitarrenspiel betrachtet wurde, war mir erst in diesem Augenblick klar. Zuerst war ich wie vor den Kopf gestoßen, aber noch während unser Unterricht (oder soll ich lieber sagen Trainingsprogramm) weiterlief, versuchte ich die neue Sichtweise und ihre Bedeutung für meinen Berufsstand mit allen damit verbundenen Konsequenzen zu verstehen.
Definitionen
Um sich ein Bild zu machen ist es wichtig die Begriffe Instrumentalunterricht und Personal Coaching zu verstehen. Sie sollen daher im Folgenden soweit möglich definiert werden.
Instrumentalunterricht ist Unterricht, bei dem das Spielen eines Instruments gelehrt wird. Weite Verbreitung fand der Instrumentalunterricht in Mitteleuropa mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft im ausgehenden 17. Jahrhundert, zu dieser Zeit wurden auch erste weitverbreitete musikpädagogische Lehrwerke in Druckform veröffentlicht, dabei spielt das Klavier ein besondere Rolle. Klavierunterricht und häusliches Musizieren wurde ein definierender Teil des bildungsorientierten bürgerlichen Lebensstils, der vor allem von Frauen und Mädchen ausgefüllt wurde. Unterrichtet wurden sie zumeist in Privatstunden von Musikerlehrern, jungen Komponisten oder nahen Verwandten. Alleine oder gemeinsam mit anderen zu musizieren wurde als kultivierter Zeitvertreib betrachtet, eine womögliche berufliche Karriere daraus zu machen stand nicht im Vordergrund. Erste weiterführende Ausbildungsstätten wie Konservatorien und Hochschule wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts in kulturellen Zentren gegründet. Städtische und kommunale Musikschulen für breitere Bevölkerungsgruppen wurden in Deutschland ab den 1970er Jahren gegründet. Der Unterricht wurde subventioniert, fand jedoch zumeist im engen, stilistischen Rahmen der klassisch-romantischen Tradition statt. Ausgehend von Entwicklungen der USA gab es dann ab Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre zunächst private im weiteren Verlauf auch staatliche Schulen und Ausbildungsstätten für Jazz- und Popularmusikstile.
Die Fähigkeit ein Instrument zu erlernen und zu spielen ist jedoch seit geraumer Zeit kein Selbstzweck mehr. Eltern setzen unter dem Eindruck des aktuellen Erziehungsdiskurses heute bewusst auf „Transfereffekte des Instrumentalunterrichts, d. h. auf die darin angelegte Möglichkeit, moderne pädagogische Desiderate wie Motivation, Konzentration, Fleiß und Selbstdisziplin einzuüben.“ (Wikipedia) Gemäß der leistungsgesellschaftlichen Logik werden einstudierte Fähigkeiten, gar Talent und Musikalität in Aufnahmeprüfungen, Studiengängen und Wettbewerben (z.B. Jugend Musiziert) und anderen Leistungsschauen verglichen und bewertet. Typische Anbieter von Instrumentalunterricht sind heutzutage Privatlehrer, Musikschulen, allgemeinbildende Schulen, Musikfachschulen und Musikhochschulen. Es kann im Unterricht heutzutage auf verschiedene Lehrmethoden, reichhaltige Literatur und weiterreichende Medien zugegriffen werden.
Die klassische Beziehung im Instrumentalunterricht ist die zwischen Lehrer und Schüler.
Wikipedia: Instrumentalunterricht
Coaching wird im Deutschen als Sammelbegriff für unterschiedliche Beratungsmethoden verwendet. Es stammt ab von dem englischen Wort „Coach“ (dt: „Kutsche“) und war Mitte des 19. Jahrhunderts eine umgangssprachliche Bezeichnung für Tutoren, die Studenten durch ein Examen brachten (oder transportierten). Das Wort Coaching bezeichnet also einen Prozess der angewendet wird um eine Person von dem Ort, an dem sie sich befinden, zu einen Ort zu bringen, an dem sie sein wollen. Der Coach oder Trainer begleitet diesen Entwicklungsprozess zu persönlichen oder beruflichen Zielen durch Beratung, Training und Führung. Diese finden zumeist in Einzelsitzungen über einen längeren Zeitraum statt bis das Ziel erreicht wurde.
Eine besondere Form des Coachings ist das Personal Fitness Coaching. Diese Methode zur Förderung der körperlichen Kondition oder Gewichtsabnahme stammt ursprünglich aus dem Bereich des Hochleistungssports, wird heutzutage aber auch von Menschen in Anspruch genommen, die Wert auf professionelle, persönliche Betreuung legen. Vom Coach oder Trainer wird ein an die jeweilige Person angepasstes Fitnessprogramm entwickelt und von dieser unter Aufsicht absolviert. Der Coach ist stets selbst dabei, beobachtet, leitet an und motiviert. Auch diese Treffen finden als Einzelstunden, zumeist regelmäßig, oftmals sogar im Umfeld des Klienten statt (zu Hause, Büro, Hotel). Nach Sportverein und Fitnessstudio ist dies die individualisierteste Form der sportlichen Betätigung unter Anleitung und daher meist auch kostenintensiv. Oft wird das Trainingsprogramm durch die Messung und Katalogisierung von persönlichen Körperdaten (Pulsfrequenz, Blutdruck, Bewegungsprofil, Gewicht), einem Ernährungsprogramm und weiteren Maßnahmen flankiert. Auf diese Weise können persönliche Entwicklungen in Zahlen gefasst, in Tabellen und Diagrammen anschaulich gemacht werden und das Trainingsprogramm bei Bedarf angepasst werden.
Die klassische Beziehung im Coaching ist die zwischen Coach und Coachee bzw. zwischen Trainer und Klient.
Wikipedia: Coaching
Mittelteil (2) folgt.
„Transfereffekte des Instrumentalunterrichts“
Diese sogenannten „Transfereffekte“ wurden auch bspweise in der Werbung für das Schachspiel immer wieder angeführt. Ich kann da nicht so recht daran glauben.
Ein Trainingseffekt tritt m.E. erst beim selbstständigen Üben auf. Im Schach kannst du 1000 Stunden Leuten zusehen oder andere Inhalte goutieren, aber nur im eigenständigen Analysieren zuhause macht man Fortschritte. Man stösst da eher auf Ungereimtheiten im Verständnis. Selbiges stelle ich mir beim Instrumentenspiel vor. Im heimischen Stübchen merkt man doch am ehesten, was man noch nicht richtig drauf hat.
@Gerhard: Ich kann deinen Einwand verstehen, warte bitte noch auf Teil 2 & 3 des Essays, dann ergibt sich ein Gesamtbild.
Das selbständige Üben/Arbeiten daheim ist eine Stärke des Modells „Lehrer/Schüler“ und die Absenz davon eine Schwäche des Modells „Coach/Coachee“.
Da musst Du genau sagen, worauf Du rauswillst. Ich finde: Grundthese aufstellen und dann Begründung im Detail. Ich las das so, daß Du die zwei Ansätze diskutieren willst.
Gemach, gemach, du bist zu schnell für die Veröffentlichungsform. Teil 2 und 3 folgen morgen und übermorgen.
ich kann Gerhard da gut verstehen, man hat ja auch sein Bild von der Sache im Kopf und will das möglichst mit dem des Autors vergleichen; wenn dann nur Thesen ohne Antithesen und Synthesen kommen wird man ungeduldig….du baust schon cliffhanger wie zu Terminator 8 (quote of quality Land von Mark Uwe Kling – sehr geil btw)
Ja sag ich doch!
Genau!