Heribert Prantl: Überwachung blockiert Kreativität

Zum ersten Jahrestag der Snowden-Enthüllungen hat Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung einen lesenswerten Artikel verfasst, in dem er die Themen Pfingstwunder, Kreativität und staatliche Überwachung in einen Zusammenhang setzt. Er schreibt:
„[Snowden] hat die Funktionsweisen und die Mechanismen der geheimdienstlichen Observation aufgedeckt, er hat die Totalität und ihren Ungeist benannt. Es ist dies ein Ungeist deswegen, weil die Überwachung es verhindert, schöpferisch zu sein. Kreativität verlangt, dass man sich abweichendes Verhalten erlauben kann, dass man Fehler machen darf. Überwachung verhindert das. Wer überwacht wird, verhält sich konform. Das ist die eigentliche Gefahr der Massenüberwachung. Sie erzieht zur Konformität. Sie kultiviert vorauseilenden Gehorsam. Sie züchtet Selbstzensur.“ Prantl weiter:
„Die Dynamik der Selbstzensur entwickelt sich unabhängig davon, ob wirklich konkret im Einzelfall überwacht wird. Es reicht die abstrakt-konkrete Möglichkeit, überwacht zu werden. Damit verschwindet nämlich die Gewissheit, dass man in Ruhe und Frieden gelassen wird. Und damit verschwindet die Privatheit; und mit ihr die Unbefangenheit. Der Verlust der Unbefangenheit ist eine Form der Gefangenschaft; sie ist ein Verlust von Freiheit. Die Überwachungsmacht veranlasst Menschen, sich selbst in Gefangenschaft zu nehmen.“

Ich spüre den skizzierten Verlust von Freiheit bereits darin, dass ich zögere, ob ich Prantls Text auf diesem Blog zitieren soll, ich denke darüber nach, ob es nicht opportuner wäre es lieber bleiben zu lassen. Kommentatoren dieses Blog haben mir davon erzählt, dass sie ebenfalls zögern sich zu diesen Themen öffentlich zu äußern. Verständlicherweise will niemand, dass ihm aufgrund z.B. eines Blogkommentars ein Nachteil entsteht. Selbstzensur, Unfreiheit, Konformität? Wir sind bereits mitten drin, Freunde.

Freue mich diesmal besonders über Kommentare.

12 Gedanken zu „Heribert Prantl: Überwachung blockiert Kreativität

  1. @Dennis: Irgendwie habe ich den Eindruck, dass Prantl das nicht so wirklich richtig auf den Punkt bringt. Unter Beobachtung steht man als Mensch ja sowieso immer. Und es wäre schlicht paranoid, anzunehmen, die NSA interessierte sich dafür, ob sie irgendsoeinblogger jetzt nicht wirklich supertoll findet. Obwohl, ich kann’s ja mal probieren:
    „Al-Qaida ist klasse!“
    „9-11 war das größte Kunstwerk aller Zeiten!“
    „Tod allen Feinden des Islam!“
    So, das dürfte genügen. Jetzt bin ich gespannt, wann die Herren mit den dunklen Brillen und den Kabeln im Ohr bei mir vor der Tür stehen…

    • @Stefan: Schön, dass du da anscheinend keine Bedenken hast. Ich habe gerade schon gezuckt, als ich die von dir formulierten provokativen Sätze gelesen habe, die jetzt unter den Kommentaren in meinem Blog erscheinen. Aua! Und genau das ist das Problem: Zumindest bei mir hat die theoretische Möglichkeit abgehört zu werden schon einen direkten Effekt.

      Ich hoffe wir sehen oder sprechen uns nochmal, bevor dich die Männer von der NSA abholen. Oder bist du schon auf dem Weg nach Russland? Womöglich kommen sie aber auch vorher zu mir und waterboarden mich bis ich deine geheime Identität als konzeptueller Musikterrorist preisgebe.

    • Na dann gugg mal beim nächsten USA Besuch ….
      So schlau sind die Suchalghorythmen dann schon auch, falls nicht muss dann der NSA Mitarbeiter eben manuell aussortieren, dann wars eben dafür gut – auch schön

    • @Stefan & Bernhard: Ja, wenn ich’s mir genauer überlege argumentiert Stefan mit dem allseits bekannten: „Wer nichts zu verbergen hat, hat ja nichts zu befürchten!“ Ist das deine Meinung, Stefan?

      • @Dennis: Natürlich nicht! Der Skandal ist aber doch folgender: *Ich* mache einen Unterschied zwischen dem, was ich blogge (das ist öffentlich) und dem, was ich maile, mit wem ich telefoniere oder was meine Browserchronik aufzeichnet (das ist privat) – die NSA (und der BND offenbar auch) aber nicht. Es geht nicht um „Kreativität“, sondern um das Telekommunikationsgeheimnis, das von den Geheimdiensten offenbar nur deshalb gewohnheitsmäßig mißachtet wird, weil das jetzt technisch so einfach geworden ist.

        Im Übrigen sind die Herren in den schwarzen Anzügen mittlerweile hier, ihr Helikopter hat beim Anflug das halbe Dach abgedeckt … super, jetzt sagen Sie, dass ich auf Staatskosten nach Kuba fahren darf … und Waterboarding soll bei der Hitze da eigentlich ganz erfrischend sein … wegen der Elektroschocks im Genitalbereich verhandeln wir grade … ups, jetzt haben sie gemerkt, dass ich ja gar kein arabischer Schläfer bin, nur Vollbartträger … Mist, jetzt gehen sie wieder 🙁 Na ja, man kann nicht alles haben.

  2. Oh ja heißes Eisen, aber anfassen muss sein!
    Wenn ich alleine sehe welche helle Aufregung und wahrliche Konfusion das Thema Datenschutz im privaten und öffentlichen Bereich hervorruft muss ich mich wirklich fragen, ob da noch klarer Verstand waltet.
    Freunde wollen plötzlich nur noch verschlüsselt mit einem kommunizieren und auch im beruflichen Bereich scheint plötzlich jeder zu befürchten potentielles Opfer von Ausspähung zu sein.
    Das hat schon was von der Angst der Leute im dritten Reich nach der Gleichschaltung – stelle ich mir jedenfalls so vor.
    Diese Ängste sind aber meines Erachtens nicht die wirkliche Gefahr, diese besteht vielmehr in den aus der Speicherung folgenden Automatismen wegen siehe http://www.ft.com/intl/cms/s/501be618-efcf-11e3-9b4c-00144feabdc0,Authorised=false.html?utm_content=buffer1c50d&utm_medium=social&utm_source=twitter.com&utm_campaign=buffer&_i_location=http%3A%2F%2Fwww.ft.com%2Fcms%2Fs%2F0%2F501be618-efcf-11e3-9b4c-00144feabdc0.html%3Futm_content%3Dbuffer1c50d%26utm_medium%3Dsocial%26utm_source%3Dtwitter.com%26utm_campaign%3Dbuffer%26siteedition%3Duk&siteedition=uk&_i_referer=http%3A%2F%2Fwww.ft.com%2Fintl%2Fcms%2Fs%2F0%2F501be618-efcf-11e3-9b4c-00144feabdc0.html%3Futm_content%3Dbuffer1c50d%26utm_medium%3Dsocial%26utm_source%3Dtwitter.com%26utm_campaign%3Dbuffer%23axzz34HbmfBCl
    Ganz im orwellschen Sinne bedarf es also der Zähmung des selbstgezüchteten beasts indem man gerade das tut, nämlich ausscheren, anders sein, Algorithmen verwirren, lasst eure Frauen auf Euren Account surfen

    • @Bernhard: Besonders gut gefällt mir die letztgenannte Verwirrungsstrategie, denn das funktioniert. Ich war letztens selbst komplett verwirrt, als ich auf meinem eigenen Rechner irrtümlicherweise auf dem Amazon Account meiner Frau eingeloggt war. Habe ganz kurz erst an mir und dann an Amazon gezweifelt.

      Weiß nur nicht, wer die Zähmung übernehmen soll. Die eigentlich Verantwortlichen sind entweder komplett jenseits von Gut und Böse (Pofalla: „vom Tisch“, Friedrich: „Supergrundrecht“, Range: „NASA“, „SNA“ etc.) oder kneifen (Merkel, Maiziere, Maas, BND etc.). Die breite Masse kann eh nicht viel machen und nimmt es ohnmächtig hin. Schlimm.

      • Naja da tut dich schon was z B botnetze die anarchische Kraft des Netzes lässt sich nicht so einfach abwürgen, wenn du mal siehst wie schnel in Syrien und der Türkei die Überwindung solcher Sperren durch ebendiese ermöglicht wurde ist noch nicht alles verloren…
        Die Matrix ist besiegbar

  3. @dennis: ein bravo für das Posting. Ich schreibe zurück, obwohl mir klar ist, daß speziell dieser Bericht von den „langohren“ ( ich nenne sie einfach mal so ) mitgelesen wird.
    Mit Spannung und voller Respekt hatte ich in der SZ den Artikel von Heribert Prantl gelesen. Zur Kenntnis er ist Volljurist und war Staatsanwalt oder gar Richter bevor er zur SZ wechselte. Besonders eingeprägt hatten sich bei mir die Äußerungen: Konformität und vorauseilender Gehorsam. Haben wir das nicht schon in vielen Bereichen? Ich glaube, daß es schon zu spät ist. Alle Geheimdienste bestreiten illegale Wege, um an Informationen zu gelangen. Das ist auch jedem Regierungschef klar. Erst die Aussage von Herrn Snowden ließ das gemeine Volk aufhorchen. Aber die Zeit spielt für die Langohren, auch wenn der investigative Journalismus immer wieder nachhakt. Es wird sich nichts ändern.

    • @Stefan: Ich glaube, jetzt hast du genügend Fährten gesetzt und sie müssen reagieren. Die können sich doch nicht von einem bärtigen eKomponisten veräppeln lassen.

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