Popkultur ohne Musik: Hat Popmusik als identitätsstiftende Kulturform ausgedient?

Die mittlerweile achte sommerlichen Rückschau des deutsch-französischen Senders Arte trägt den Titel „Summer of the 90s“. Präsentiert von HP Baxxter beschäftigt sich die Sendereihe mit popmusikalischen Phänomenen der 90er Jahre. Der Geschäftsführer von Arte Deutschland, Wolfgang Bermann, sagt dazu: „Gerade die stilistische Heterogenität“ dieses Jahrzehnt sei „reizvoll“ gewesen. Außerdem sei es naheliegend gewesen, diesem Zeitabschnitt einen Schwerpunkt zu widmen, weil es „das letzte Jahrzehnt war, in dem Musik die treibende Kraft der Populär- und Musikkultur war“. (SZ)

An dieser Stelle bin ich kurz aufgeschreckt: Wie jetzt? Popmusik soll seit mehr als 10 Jahren nicht mehr die treibende Kraft der Popkultur sein? Wieso habe ich das nicht mitbekommen? Wieso sagt einem das keiner? Aber wenn ich so darüber nachdenke, stimmt diese Aussage vermutlich. Wenn nicht für mich und mein engeres Umfeld, so aber doch sicher gesamtgesellschaftlich. Noch während der 90er Jahre und spätestens mit Beginn der Nullerjahre begann der Siegeszug des Internets, es kamen Mobiltelefone, Spielkonsolen, soziale Netzwerke und Apps. MP3-Spieler, Tablets und Smartphones werden seit vielen Jahren nur ganz nebenbei zum Musikhören genutzt, wichtigste Features sind heute die Möglichkeiten des schnellen Konsums und die der sozialen Vernetzung. An meinen eigenen Kindern und Schülern kann ich beobachten, dass von der jungen Generation so gut wie keine Musikalben mehr gekauft werden, allenfalls vielleicht mal ein einzelner Track als Download, aber lieber noch kostenlos das Video auf YouTube anschauen.

Als CD-Albumhörer, Bookletleser, Rolling Stone-Abonnent, Mobiltelefonverweigerer und Winzkopfhörerstöpselablehner ohne Facebookaccount gehöre ich anscheinend tatsächlich zu einer aussterbenden Art, da hat der Mann von Arte wohl recht. Ist nicht so schön zu erfahren, dass man old, over und out ist. Andererseits habe ich aber auch schon als Teenager nicht die Musik gehört, die die meisten anderen gehört haben. Und in den 1990ern habe ich sicher nicht HP Baxxter gehört, da bin ich mir sicher. Ich hätte damals vermutlich nicht einmal seinen Namen gekannt. War ich also eigentlich schon immer over und out? Könnte durchaus sein. Und wäre das schlimm? Nein, denn Popkultur wird nicht davon getragen, dass alle immer das gleich tun. Neben Retro-Phänomenen wird Popkultur (ironischerweise) und noch mehr Rockmusik (per definition) auch von einer anarchistischen Anti-Establishment-Haltung getragen, von einer Vielfalt diverser Subkulturen, die anfangs ganz unkommerziell, ganz unglobal und against all odds von irgendwelchen Verrückten betrieben werden und dann (hin und wieder) in einer Art kulturellen Evolution in den Mainstream münden können, bevor sie selbst wieder von nachfolgenden Generationen überwunden werden müssen. Teil des Mainstreams zu sein, ist da zu Beginn dieses Prozesses eher hinderlich als förderlich.

Popmusik wurde ja schon öfter mal für tot erklärt (Video killed the Radio Star, Internet killed the Video Star, etc.), aber Totgesagte leben ja bekanntlich länger. Ich glaube daran, dass Popmusik weiterhin eine große Rolle in der Popkultur spielen wird, denn es wird immer wieder junge Wilde geben, die sich musikalisch ausdrücken müssen und nichts ist so leicht zu erlernen wie die dazu erforderlichen drei Gitarrenakkorde. Vielleicht muss die Rolle von Popmusik nur neu gedeutet werden. Musik in Filmen (Soundtracks), Videos (Clips), Spielen (Guitar Hero), Streamingdiensten (Spotify) spielt ja ohne Frage weiterhin eine sehr große Rolle, wenn auch etwas hintergründiger und multimedialer, nichtsdestotrotz aber als essentieller Bestandteil. Neue, frische Musik, die dich umhaut wird aber nicht von Google, Facebook oder Apple ersonnen. Sie wird bis auf weiteres in stickigen Garagen und ranzigen Probekellern von pickeligen Jugendlichen und wahnwitzigen Spinnern gemacht, die einen phantastischen Traum haben und der Welt beweisen wollen, dass er funktioniert. Und wenn er nicht funktioniert, war der Traum trotzdem schön. Daran glaube ich.

44 Gedanken zu „Popkultur ohne Musik: Hat Popmusik als identitätsstiftende Kulturform ausgedient?

  1. alright, so let’s see here:
    – CD-Albumhörer- yo! same here, i mean what else?
    – Bookletleser- most definitely, always of high interest!
    – Rolling Stone-Abonnent- well, if not a subscriber but occasional reader-YEAH!
    – Mobiltelefonverweigerer- pretty much so… the thing i got is like pre stone age… emergency calls only!
    Winzkopfhörerstöpselablehner… absolutely. heaven forbid!
    ohne Facebookaccount- not all year but something like 9 out of 12 months…

    boy… sure hope no young pretty doll reads these confessions…

  2. Nette Finte, „Populär- und Musikkultur“ mit „Popmusik“ gleichzusetzen – aber leider sehr ungenau und willkürlich. „Popmusik“ ist nur einer von vielen Aspekten der Populärkultur, aber derzeit eben nicht der dominierende – das sind tatsächlich eher soziale Medien, Smartphones oder Computerspiele. Dazu Sport (Snowboard, BMX etc.) und Trivialliteratur – ein Blick auf die Wikipedia-Definition hilft mehr als die In-Eins-Setzung von „Popmusik“ und „Popkultur“.
    Die Popmusik heute ist der gleiche flache Scheiß wie schon vor Jahrzehnten – sobald etwas „Pop“(ulär) wird, ist das ein sicheres Anzeichen dafür, dass weder inhaltlich (z. B. Systemkritik) noch formal (z. B. musikalisches Experiment) irgendetwas in der Musik vorhanden ist, das ernstzunehmende Auswirkungen auf das Individuum oder gar die Gesellschaft haben könnte. Und dass der Müll nicht mehr auf Halde produziert wird, sondern nur noch gestreamt, ist doch ein riesiger Fortschritt im Hinblick auf Ressourcenknappheit und Umweltschutz.
    Apple und Google ersinnen gar nichts – sie stellen Vertriebswege zur Verfügung, die näher am grundsätzlichen demokratischen Prinzip des (Mit-)Teilens sind als alles bisher Dagewesene, auch wenn man die jeweiligen Firmenpolitiken und Geschäftsmodelle nicht gutheißen muss. Gäbe es die beiden nicht, sähe es noch viel finsterer aus: Das Indie-Sterben begann lange vor iTunes und Spotify … aber das ist das grundsätzliche Dilemma heute: Kulturvermittlung (nennen wir es mal so) ist jetzt ein Geschäftsmodell unter vielen, die Gemeinschaft (=wir) hat alles in die Hände Einzelner und ihrer Businesspläne gelegt – im Tausch gegen Niedrigenergie-Eigenheim, Elektroauto und Bio-Abteilung im Supermarkt.

    • @Jochen: Danke für deinen engagierten Kommentar. Ganz so finster wie du sehe ich die Gegenwart und Zukunft der Popmusik nicht. Sie ist doch immer noch essentieller Bestandteil jeglicher Popkultur. Was wäre YouTube ohne Musikclips, was wäre Guitar Hero ohne Rockmusik, was wären Tarantino-Filme ohne ihre Soundtracks. Während der WM in Brasilien sangen wieder mal Tausende „Seven Nation Army“ von den White Stripes und die Fanmeile in Berlin kam selbstverständlich auch nicht ohne Musik aus (na gut, Helene Fischer, da wackelt meine Argumentation etwas).
      Natürlich zettelt man mit Popmusik keine Revolutionen an, ich denke, das wäre zuviel verlangt, aber Musiker und Bands wie „Lindenberg“, „Wir sind Helden“ und „Jan Delay“ stehen durchaus für eine kritische politische Einstellung. Oder eben die White Stripes.

      „White Americans, what? Nothing better to do?
      Why don’t you kick yourself out, you’re an immigrant too.
      Who’s using who? What should we do?
      Well, you can’t be a pimp and a prostitute too.“
      („Icky Thump“, 2007)

      Ist vielleicht immer auch ein Frage des Standpunkts. Ich habe bewusst kein Smartphone, keine Spielkonsole, keinen Facebook- und keinen Twitteraccount. Habe einfach nicht das Gefühl, dass ich da etwas Wesentliches verpasse. Dafür höre ich viel gute Musik, sehe viele guten Filme, lese gute Bücher, Magazine und Blogs. Die Auswahl ist in den vergangenen Jahren größer und besser geworden, ich kann mich wirklich nicht beschweren, ganz oft kann ich mich gar nicht entscheiden, weil alles so verlockend ist.

      Und wenn du meinst, dass es früher besser war, dann empfehle ich einen Blick in die deutschen Single Charts der 1970er, 1980er und 1990er Jahre. Da war so unglaublich viel Mist dabei, der vollkommen zu Recht in Vergessenheit geraten ist. Wir erinnern uns nur an das Gute, dass heisst aber nicht, dass wirklich alles besser war. Heutzutage ist es aber immerhin viel leichter, dass zu finden, was einen interessiert, auch wenn es vielleicht kaum jemand anderen schert.

      • Hmmm … ich kann nirgends die Textstelle entdecken, mit der ich ausführe, dass „früher“ alles „besser“ gewesen wäre. Ich sehe die Gegenwart und Zukunft der Popmusik auch nicht finsterer als Du selbst – Du belegst doch selbst empirisch, dass es für die Identitätsstiftung (Dein Topic hier) letztlich egal ist, ob die White Stripes oder Helene Fischer laufen. Im Hintergrund. Denn mehr war Popmusik noch nie: Hintergrund, Tapete, Ambiente oder „Soundtrack“ für Tanzen, Lachen, Autofahren, Meditieren, Arbeiten, Filme, Heiraten, Sex usw.

        Für sich alleine genommen und bis auf die Knochen inhaltlich/musikalisch analysiert – gibs ruhig zu – ist Popmusik wie Fastfood: Aromastoffe ohne Ende, vielleicht auch viele „natürliche“ Zutaten – je nach Zeitgeschmack –, in jedem Fall aber bei dauerhaft hohem Konsum nicht ohne schädigende Nebenwirkungen. In Maßen genossen jedoch – und das ist ja das Schöne an ihr – ein echter Leckerbissen zwischendurch. Ob ich dann die White Stripes oder Helene Fischer favorisiere, hängt von meinem individuellen Geschmack ab – ganz so wie die Entscheidung zwischen MacDonalds, Burger King, KFC, Subway, Nordsee oder der Bratwurst bzw. dem Döner an der Ecke. Also: locker bleiben!
        Ich habe mir schon oft überlegt, einfach mal meine alphabetisch sortierte Plattensammlung zu analysieren – da stehen dann z. B. Abba, AMM, And Also The Trees, Aphex Twin, Aphrodite’s Child und Albert Ayler im gleichen Fach. Oder wie wäre es mit den letzten Einkäufen? DJ Koze, Queens Of The Stone Age, Nina Simone, „The Acoustic City“, CSN&Y? Was würde das aussagen über „Popmusik“ und ihre Relevanz resp. „Identitätsstiftung“. Ich gehe ja nicht einmal so weit, das alles – wie Du – mit dem Attribut „gut“ zu belegen („… viel gute Musik, … viele gute Filme, … gute Bücher, Magazine und Blogs“). Zumindest nicht öffentlich.

        Nur an einer Stelle muss ich energisch widersprechen: Der Mist der früheren Jahrzehnte, „der vollkommen zu Recht in Vergessenheit geraten ist“, erweist sich manchmal aus zeitlicher Distanz gehört als sensationell, vielleicht sogar prophetisch, während das große Ding von damals heute nicht mal mehr Gähnen hervorruft. Und Geschmäcker und Horizonte ändern sich: Mein absolutes Hass-Ding Anfang der 1990er waren The KLF, die auf MTV und in den Discos in „Heavy Rotation“ liefen – schon beim Anblick der Videos kam mir die kalte Kotze hoch. Ich habe ein paar Jahre gebraucht, um den völlig überzogenen Witz hinter dem Ganzen zu verstehen – heute für mich mit das Größte und Irrwitzigste, was in der Popkultur je stattgefunden hat. Deswegen werde ich mit einem Zitat schließen von Bill Drummond, einem der beiden Masterminds von The KLF, aus seinem Buch „17“ (2008):

        „… standing at the end of an era, where all the recorded music that has ever meant anything to you or me or anybody else is speeding its way to irrelevance. The whole canon of recorded music that has been stockpiled over these past 110 years is going rotten, rapidly losing any meaning for anybody except historians and those who want to exploit our weakness for nostalgia.
        The very urge to make recorded music is a redundant and creative dead end, not even an interesting option, fit only for the makers of advertising jingles, ring-tones and motion picture soundtracks. The sheer availability and ubiquity of recorded music will inspire forward-looking music-makers to explore different ways of creating music, away from something that can be captured on CD, downloaded from the internet, consumed on an MP3 player; and the very making of recorded music will seem an entirely two-dimensional 20th-century aspiration to the creative music-makers of the next few decades. They will want to make music that celebrates time, place, occasion. There may be those who want to keep the craft of recorded music alive but we will think of them in the same way as we now think of those who work with bygone art forms, irrelevant in tomorrow’s world. …“

        • @Jochen: Du hattest Popmusik als „flachen Scheiß“ und „Müll“ bezeichnet, drum fand ich deine erste Ausführung etwas finster. Und du hattest das Indie-Sterben erwähnt und dass wir uns als Gemeinschaft der totalen Kommerzialisierung ausgeliefert haben. Daraus hatte ich abgeleitet, dass du die Zeit davor als besser empfunden haben müsstest. Außerdem kenn ich ein klein wenig deine musikalischen Präferenzen.

          Ich muss jetzt wiederum energisch widersprechen, dass Popmusik lediglich als „Hintergrund, Tapete, Ambiente oder Soundtrack” dienen kann. Auch der Vergleich mit dem Produktangebot von Fastfoddketten halte ich für nicht angebracht.

          Für mich ist Popmusik wie auch Musik und Kultur an und für sich nicht nur identitätsstiftend, sondern sinngebend. Ich habe mein ganzes Leben Musik gehört und mehr als ein halbes Leben Musik gemacht. Ich habe Songs geschrieben und gesungen, verschiedene Instrumente gespielt, Alben aufgenommen, Konzerte gegeben, Videos gemacht, musikwissenschaftliche Vorträge gehalten, darüber diskutiert, Texte verfasst, Reisen unternommen und mein Wissen als Lehrer weitergegeben.
          Musik ist für mich mehr als ein Aroma oder Zusatzstoff. Es ist meine Nahrung, mein Manna, mein Lebenselixier. Musik ist eines der wenigen Dinge auf dieser Welt, die für mich einen vollkommenen Sinn ergeben, mehr als jede Religion, Ideologie oder Wissenschaft. Ich könnte auf vieles verzichten, aber nicht auf Musik, auf keinen Fall. Und es ist für mich unwichtig, ob andere meine Vorlieben teilen. Ich denke, das kann man durchaus als identitätsstiftend oder Sinn gebend bezeichnen.

          Danke für das Zitat, sehr meinungsstark, aber leider auch ziemlich arrogant. Aufnahme und Musikproduktion sind eine hoch entwickelte und sehr wertvolle Kunst, die uns zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte dazu in Stande setzt vollendete Klangereignisse festzuhalten und an andere (auch künftige Generationen) weiterzugeben, für Klangkünstler eine technische Errungenschaft mit unfassbarem Potential. Wie kommt er darauf das abzuwerten oder beurteilen zu können was künftige Generationen wertschätzen werden und was nicht? Von KFL habe ich jedenfalls noch nie etwas gehört.

          • Das Zitat ist ja saustark!!!! Und doch seid ihr beide nicht weit auseinander ohne es vielleicht selbst zu bemerken…. Ihr streitet um Formen und die sind so variabel wie alles in der Zeit ob Sprache Rezeptionswege und Möglichkeiten usw. Aber hier geht es doch um ideen, die Emotionen wecken sollen, oder wozu wird Musik gemacht??? Wenn sie keine Emotionen wecken kann, ist sie umsonst!!!!
            Und da gibt es kein profan, unintellektuell oder emugge, was auch immer es gibt tausend Wahrheiten und die Diskussion um die richtige ist müßig, weil jeder die seine finden sollte. Ich maße mir nicht an eine Helene Fischer abzuurteilen, auch wenn ich sie Banane finde, verbieten verbietet sich, egal für was, nenn es Toleranz, nenn es postmodern, gib ihm Etiketten oder Schubladen, mir doch egal, werde glücklich, werde froh, belehre niemanden was die richtige fason sei!!! .. „A mind is like a parachute it doesn’t work if it’s not open.“ (Zappa)

    • ich finde ja schon, dass popmusik nach wie vor einer der wichtigsten bstandteile der popkultur ausmacht; musik alleine geht ja auch gar nicht, die beinhaltet doch immer auch modischen ausdruck in form von tanz, kleidung, technischen möglichkeiten und jede art darstellender kunst.
      im pop(ulären) versändnis von pop schon gleich igendwie und sowieso fast nur so; diese trennung mag ja definitorisch korrekt sein aber das popverständnis der poprezipienten bestimmt dann mal wieder wies läuft.

  3. Uppsala welch ein Diskurs, bin etwas überrascht dass ihr euch da scheinbar über eine Erscheinung entzweit, die eigentlich eins ist… Ich sehe dass auf dem Gebiet der Religion ähnlich es gibt kein richtig oder falsch kein besser oder schlechter vielmehr ein alles ist Pop, zur Empfehlung sei hier der Bruckmaier the Story of Pop, den ich leider immer noch nicht durchhab oder vielleicht zum Glück, weil ich mich so länger dran laben kann, tust mit nach und werft dann eure Steine weiter, falls ihr dann noch grenzen ziehen wollt
    Gute Nacht für heut

    • @Bernhard: Niemand will hier Grenzen ziehen. Wir diskutieren nur, ob Popmusik als identitätsstiftende Kulturform ausgedient hat. Auf’s erste klingt diese Behauptung plausibel, dann aber irgendwie auch wieder nicht und auf mich selber trifft es definitiv nicht zu. Wie sieht’s bei dir aus?

      Und: Who the fuck is Bruckmaier? And anyhow, who cares? Ich habe meine eigene Story of Pop.

      • @ Dennis naja auch die Rezeption kann man eingrenzen, is doch wurscht wer welche Medien nutzt oder nicht; vlt is gerade auch deswegen die Analogmode gerade so retropopulär, weil die neue Entdeckung der Langsamkeit hier verpoppt wird.
        Les den Bruckmaier, er versucht gerade dies nicht EINE story, die allgemeingültig ist, zu schreiben!
        Klar und logo hat jeder seine story und das ist gut so. Ich finde es erstaunlich, dass angesichts der immer größer werdenden Vielfalt an styles nicht nur in der Musik, doch oft das Gute hängenbleibt und auch wieder Mainstreams (http://www.amazon.de/Mainstream-Minderheiten-Kontrollgesellschaft-Tom-Holert/dp/3894080590) mehr oder minder groß entstehen – fast unglaublich, oder?

  4. @Dennis: Wow, dein bisher bester Text auf diesem Blog hier, Gratulation 🙂 Kann dir auch inhaltlich nur zustimmen: Das Zeitalter der Popmusik ist vorbei. Pop ist nicht mehr die Lokomotive, er reiht sich, um im Bild zu bleiben, in die Schlange der Wagons ein, die alle von der dicken Lokomotive namens Digitalisierung gezogen werden. Der Pop liefert der Lokomotive Digitalisierung schlicht Content – und ganz sicher *viel mehr* Content als der bescheidene, klapprige, abgenutzte Wagon, auf dem „Jazz“ steht oder die abstrakte Andeutung eines Wagons, auf dem „Kunstmusik“ steht.

    Was den Pop immer vor allen anderen Musikarten auszeichnen wird, ist seine „Niedrigschwelligkeit“ (d. h., die von dir erwähnten „drei Akkorde“) – Jazz oder gar die Kunstmusik sind da ungleich anspruchsvoller. Dennoch produzieren die beiden letztgenannten Genres nicht mehr bessere Musik als der Pop. Also könnte man schon sagen: Pop ist effizienter als alle anderen Musikarten, weil er es schafft, aus sehr wenig sehr viel zu machen, was sehr viele Menschen verstehen, sie begeistert, erfreut etc. In diesem Sinne teile ich deine anhaltende Begeisterung für Pop: es ist (potentiell) eine hocheffiziente, hochintelligente und hochanschlussfähige Kunstform.

    Aber sie hat eben auch ihre Grenzen: Komplexität bsp.weise lässt sich mit popmusikalischen Mitteln nicht so leicht ausdrücken (*natürlich* ist es möglich, aber Pop ist dafür eigentlich nicht gemacht). Kunstmusik dagegen ist „von Haus aus“ komplex (in der Realität aber leider oft einfach nur unnötig kompliziert und komplexbeladen), hat also hier einen leichteren Start – vorausgesetzt, das Publikum bzw. *ein* Publikum *interessiert* sich für die Darstellung von Komplexität in der Musik.

    Vielleicht werden das ja im 21. Jahrhundert mehr, weil Komplexität (d. h. hier: die Erfahrung inkommensurabler soziokultureller Heterogenität) nun mal für immer mehr Menschen Alltag ist – und da reichen die Beach Boys dann evtl. doch nicht mehr als authentischer Ausdruck des Zeitgeistes.

    Auf der anderen Seite gibt es natürlich immer die Versuchung, *hinter* die geschätzten Beach Boys zurückzufallen, weil *man* die böhse Gegenwart einfach nicht mehr erträgt, z. B. in den Musikantenstadl und seine angrenzenden Nebengebäude. Nicht, dass ich mir da Illusionen mache: Die populärste Musik wird immer die sein, die sehr schnell bei sehr vielen ganz unterschiedlichen Menschen ein inhaltlich stets unterbestimmtes Wir-Gefühl hervorrufen kann. Jazz und Kunstmusik (und bsp.weise auch deine Musik, Dennis) sprechen aber nicht zur Masse, sondern zum Individuum. Sie ist, in diesem Sinn, nicht sozial, sondern a-sozial (man könnte sogar sagen, in diesem Sinne machst du gar keine Popmusik).

    Da aber kein Mensch jemals ganz Masse sein kann bzw. ganz Individuum, wird immer Platz (und Bedürfnis!) für beides sein: Helene Fischer und Dennis Schütze. Nur eben nicht gleichzeitig auf einer Bühne.

    • @Stefan: Danke für deinen konstruktiven und sehr anregenden Kommentar.

      Besonders die letzten beiden Absätze haben mir zu denken gegeben. Ich habe für mich selbst nie definiert, welchen Musikstil ich mache oder machen will. Mit dem Begriff „Pop“ war ich immer vorsichtig (hat immer einen kommerziellen Unterton), meistens werden die Kategorien aber sowieso von außen vergeben. Ich muss z.B. seit Jahren damit leben, dass viele Leute meine Musik als „Countrymusik“ bezeichnen. Das kann ich bis heute nicht ganz nachvollziehen kann, habe ich doch über die Jahre durchaus andere Facetten erkennen lassen.
      Dagegen populär zu sein, hätte ich nichts einzuwenden. Habe mich nicht bewusst für die Obskurität entschieden, ist halt so gekommen und man muss dann das beste draus machen. Aber lieber als der ewige Geheimtipp wäre ich natürlich in den Charts, mir ist aber natürlich klar, dass das mit der Musik für die ich stehe nicht passieren wird. Schade eigentlich, hätte prinzipiell nichts dagegen gehabt mal mit Helene Fischer im Duett zu singen 😉

      Es bleibt die Frage: Ist unpopuläre Musik einfach nicht gut genug? Ich weiss, dass du diese Frage verneinst, aber ich werde im Laufe der Jahre immer unsicherer.

      Nicht teilen kann ich deine Aussage, dass Popmusik unterkomplex oder einfach ist. Das ist ein Irrtum, dem gerade Vertreter aus den Sparten „Jazz“ und „Klassik“ oft unterliegen, obwohl sie es besser wissen sollten. Anscheinend werden nur handwerkliche Kategorien wie Harmoniefolgen, Melodik und Virtuosität am Instrument in Betracht gezogen, vielleicht wird auch nur bewertet wie einfach es wäre einen Popsong nachzuspielen.
      Die Pop-Kategorien Innovation, Style, Sound, Produktion, Performance (um nur ein paar wenige zu nennen) sind allgegenwärtig, aber weniger griffig und fallen da gerne mal unter den Tisch. Ich kann aus langjähriger, eigener Erfahrung als Bandleader berichten, dass gerade Musiker, die Popmusik als „leicht“ zu machen einstufen bei der Umsetzung oft kläglich scheitern, weil es dabei auf Fähigkeiten ankommt, die man nicht in einem Lehrbuch nachlesen kann und die meines Wissens auch nicht in einem regulären Musikstudium gelehrt werden (zumindest an deutschen Msuikhochschule glaubt man ja auch, dass Popmusik einfach ist und deswegen gar nicht zu unterrichtet werden braucht)

      Ich denke, wenn man ins Detail geht, ist jede Art von Musik komplex und vielschichtig. Das habe ich auch bei meiner musikwissenschaftlichen Arbeit erfahren dürfen. In meiner Diss habe ich seitenweise über 12-taktige Rock and Roll-Gitarren-Solos philosophiert, das war überhaupt kein Problem, die Ansatzpunkte waren vielfältig, mir ist ständig noch was dazu aufgefallen, was betrachtet werden musste. Ist immer nur die Frage wie weit man gehen will, wie sehr man sich damit beschäftigen will.

      • @Dennis: Ich habe nicht gesagt, dass Pop „einfach“ (im Sinn von „kulturell minderwertig“) ist, ich habe von „Niedrigschwelligkeit“ gesprochen und das gerade als uneinholbaren Selektions*vorteil* des Pop gegenüber dem Jazz und der Kunstmusik hervorgehoben. Das sollte doch bitteschön ein Kompliment an den Pop sein: Er kommuniziert viel voraussetzungsloser als der musikalisch aufwändigere Jazz oder gar die musikalische Artistik „Kunstmusik“. Nochmal: Mehr Aufwand heißt doch hier gerade *nicht* automatisch besseres Ergebnis (sonst wäre Mahlers „Sinfonie der Tausend“ oder sowas das beste Musikstück aller Zeiten, ist es aber offensichtlich nicht). Dies nur zur Klarstellung.

        Und nochmal: *Natürlich* kann Pop beliebige Komplexität, Selbstreferentialität, Reflektiertheit, Dekonstruktivität etc. erreichen (Deep Freeze Mice, einiges von Zappa, Kleinhenz übernehmen sie bitte), aber es handelt sich hier um Sonder-Entwicklungen. Das Basis-Design von Pop ist der Song – und dessen Stärke besteht nun mal nicht in *formaler* Komplexität, sondern in einer gewissen Wiedererkennbarkeit und Erinnerbarkeit. Das sagt aber natürlich nichts über die *ästhetische* Qualität der Musik aus. Die ergibt sich immer jenseits der Akkorde. Zur Erläuterung ein Beispiel aus der Bildenden Kunst der Nachkriegszeit: Der Marilyn-Monroe-Siebdruck von Warhol ist visuell zweifellos schneller zu erfassen als ein riesiges Drip-Painting von Jackson Pollock – dennoch wird doch Warhols Arbeit gleichwertig neben die Pollocks gestellt (von vielen sogar darüber).

        • @Stefan: Ich weiß, du meinst es nicht böse, aber du sprichst von „einfach gemachter“ Popmusik und auf der anderen Seite von „aufwändigem Jazz“ und „artistischer Kunstmusik“, aber so kategorisch ist es eben nicht. Das Basis Design des Pop ist auch nicht der Song (das ist meist seine Form), sondern die Produktion. Und eine moderne Popmusikproduktion kann sehr, sehr aufwändig, artistisch und komplex sein. Bei meinen eigenen Indie-Produktionen fahren wir zum Teil schon 70-80 einzeln aufgenommene und zum Teil aufwändig nachbearbeitete Tonspuren. Bei professionellen Aufnahmen sind es oft über 200 und es wird meist jahrelang an einem Album gearbeitet. Das ist bereits seit den 1970ern nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Dagegen ist eine Big Band oder ein Orchester – ohne jede Häme – relativ übersichtlich, selbst wenn man außen vor lässt, dass es sich bei Popproduktionen gleichzeitig um einen technischen und kreativen Prozess handelt, wohin gegen bei Jazz und Klassik den beteiligten Musikern meist fertige Partituren oder oft genug bekannte Standards vorliegen.
          Ich kann deswegen beim besten Willen nicht verstehen, was bei Popmusik „niederschwellig“ sein soll. Das könnte man doch von „Für Elise“ oder „All Blues“ auch behaupten und würde trotzdem nicht daraus ableiten, dass das komplette Genre leicht zugänglich sei.
          Dass Popmusik einfach (zugänglich, zu machen, zu schreiben, zu produzieren, zu covern, zu hören, zu verstehen, zu klauen – you name it -) ist, höre ich immer nur von Leuten, die keine Popmusik machen, noch nicht im Studio waren, noch kein Album gemixt haben und sich nicht mit einem modernen Produktionsprozess auskennen. Ja, man kann mit drei Akkorden einen Popsong schreiben, aber man kann auch mit fünf Akkorden „Für Elise“ oder mit zwei Akkorden „So what“ begleiten, so what? Popmusik ist in keiner Hinsicht einfach. Punkt.

          • @Dennis: „Ich glaube daran, dass Popmusik weiterhin eine große Rolle in der Popkultur spielen wird, denn es wird immer wieder junge Wilde geben, die sich musikalisch ausdrücken müssen und nichts ist so leicht zu erlernen wie die dazu erforderlichen drei Gitarrenakkorde.“

          • Doch! Dennis, Pop ist einfach! Ok nicht produktionstechnisch, aber sie geht einfach ins Ohr und das zu bewerkstelligen ist wahrlich nicht einfach, aber hier kann ich Stefan gut folgen, wenn er den Jazz oder konstruiertere Formen der Musik als leichter verständlich und somit konsumierbar beschreibt, was sie ja auch meines Erachtens gerade DIE Definition des Pop wäre, auch den Warhol vergleich finde ich sehr passend…

          • @Dennis: Warum erreicht Lady Gaga mehr Publikum als Helmut Lachenmann? Weil es einfacher zu verstehen ist, worum es in ihrer Arbeit geht, bei Lachenmann steht man erst einmal vor einem Rätsel. Und das, obwohl zur Produktion eines Lady Gaga-Songs vermutlich 1.5 Millionen Tonspuren, ganze Serverfarmen und Heerscharen hochqualifizierter Toningenieure in Anspruch genommen werden – und zur Aufführung eines Lachenmann-Streichquartetts eben nur 4 Musiker, die seine Partitur in Klänge übersetzen können. Es gibt also keinen Zusammenhang zwischen „Aufwand“ und „Komplexität“. Hoch aufwändige Dinge können banal sein (ich spreche jetzt nicht von deiner Arbeit), relativ einfache Dinge komplex. Und *warum* ist Lady Gaga einfacher zu verstehen als Lachenmann? Weil sie sich möglichst vielen Menschen verständlich machen will und diese Menschen da abholt, wo sie sich befinden. Lachenmann hat komplett andere Intentionen. Ihm geht es um die Erweiterung des Musikbegriffs. Und diese *Intention* ist ebenso legitim wie die von Lady Gaga, findest du nicht?

  5. Ich ärgere mich fast ein wenig, erst jetzt die Zeit gefunden zu haben einen Kommentar zu verfassen – jetzt sehe ich mich mit verschiedensten Blickwinkeln konfrontiert und auf alle einzugehen wird mir nicht gelingen. Dennoch sei vorab gesagt, wie schön ich es finde, dass hier so angeregt über das Statement diskutiert wird.

    Ich bin in eben dieser Zeit groß geworden, in der neue Technologien den Konsum der Musik nachhaltig beeinflusst haben. Ich habe den Siegeszug von Napster und anderen Tauschbörsen „miterlebt“ und ein Stück weit durch meinen nicht vorhandenen Weitblick mitbefeuert.
    Ich habe aber auch miterlebt, wie in dieser Zeit Musik konsumiert wurde, und muss sehr deutlich widersprechen. Musik – auch oder gerade Popmusik – ist eine weiterhin treibende Kraft der, ich nenne es mal Jugendkultur. Warum?
    Ich nutze Facebook und habe auch einen Twitteraccount. Ich nutze die Medien sehr Stiefmütterlich – versteckt hinter Pseudonymen, keine privaten Daten etc. Ich lese aber viel auf den Netzwerken. Wir dürfen nicht vergessen, dass die neuen Medien, auch nur Kommunikationsmittel sind, und nicht das ersetzen worüber kommuniziert wird, was also Thema ist.
    Wenn ich heute Facebook öffne – und ich habe wahrlich nicht viele Freunde – sehe ich in der Timeline täglich Post´s über neue Musik, die geliked, geteilt oder gesonstwas wurden. Musik ist dermaßen präsent auf Facebook, dass ich mich zu der Argumentation hinreißen lassen würde, dass Musik gerade durch die Netzwerke noch mehr an Einfluss auf die Jugendkultur nehmen kann, als es früher der Fall war. Alles ist irgendwo immer verfügbar und wird Teil der Community und beeinflusst diese.
    Natürlich muss man festhalten, dass der Einfluss sich anders anfüllt, weil er oberflächlicher stattfindet, das mag sein. Es gibt keine politischen Demonstrationen mehr, die gefüttert von Protestliedern den Willen des Volkes widerspiegeln und so ihren Weg in die Köpfe bahnt. Aber nur weil diese „monumentalen Momente“ nicht mehr stattfinden, heißt das nicht, dass der Einfluss abgenommen hat.
    Die Generation, die heute Musik so konsumiert, kennt es nicht anders. Es ist ihr Weg diese kennenzulernen. Das muss man einfach respektieren und den Zeitgeist dahinter erkennen. Oder glaubt irgendjemand, dass auf Jugendfeiern keine Musik gespielt wird? Glaubt jemand, es wird eine Facebook Timeline an die Wand geworfen und alle lesen aufmerksam und still die Post´s. Natürlich nicht. Am Ende ist alles wie es immer war und die Jugendkultur lebt diese musikalischen Erfahrungen auf den neuen Medien aus. Musik bleibt absolut treibende Kraft, weil es immer noch das Sprachrohr der Unverstanden ist und immer bleiben wird. Vielleicht bin ich hier etwas einseitig in meiner Betrachtungsweise, es ist jedoch genau das was ich erlebt habe in den letzten knapp 15 Jahren, und was ich auf Feiern heute, mit fast 30 immer noch erlebe.

    Abschließend noch ein Satz zur Popmusik an sich. Ich liebe Popmusik und finde sie kommt in der aktuellen Betrachtung hier zu schlecht weg, weil man dazu neigt, die Musik abzustrafen, da sie wiederkehrende Elemente hat und „leicht“ herzustellen ist. Natürlich reichen oft 4 Akkorde um einen „Hit“ zu landen, aber anstelle dieses zu beanstanden, könnte man es auch als Qualitätsmerkmal sehen. „Don´t bore us – play the chorus!“.
    Wenn ich mir große „(Pop) Künstler ansehe, in Amerika (Bruce Springsteen, Elton John, Billy Joel, Queen), in Deutschland (Groenemeyer, Westernhagen, Xavier Naidoo), dann sind das wahrlich keine schlechten Musiker. Im Gegenteil – diesen Menschen gelingt es, binnen weniger Sekunden dem Hörer ein Gefühl zu vermitteln. Sie für drei Minuten zu unterhalten, sie vielleicht nachdenklich zu stimmen, ja manchmal traurig werden lassen. Popmusik ist für mich die einzige Musik die in der Breite dies schafft. Sie kann schlicht jeden erreichen und das auch aufgrund ihres einfachen Strickmusters.

  6. Dennis, Du müsstest Dich bei so einer Diskussion schon ein klein wenig mehr festlegen: argumentierst Du nun als Pop-Hörer oder als Pop-Produzent?
    „Well, you can’t be a pimp and a prostitute too.“ 😀
    Das ständige Hin und Her zwischen diesen Positionen in Deinen Antworten (ebenso wie das Verallgemeinern: „… Popmusik wie auch Musik und Kultur an und für sich …“ – also was jetzt? Popmusik? Musik? Kultur?) macht es mir leider unmöglich, einen Kommentar zu schreiben, der nicht sofort verdreht und rein negativ ausgelegt wird.

    Du kennst KLF nicht oder Karl Bruckmaier? Macht ja nichts, Basisinfos zu beiden kann man schnell googlen, noch schneller geht es über den Königsweg: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Sich stattdessen breitbeinig hinstellen und sagen: „Who the fuck is Bruckmaier? And anyhow, who cares?“ … ts, ts, ts, da spricht dann ja weder der Hörer noch der Produzent, sondern da randaliert der Ignorant. Darauf kann ich dann argumentativ überhaupt nicht mehr eingehen …

    … aber noch auf ein letztes hinweisen: Vor lauter Ge“pop“pe ist der eigentliche Hammer in der Bergmann-Aussage bisher ja noch gar nicht diskutiert worden, ich mache ihn hier gerne noch einmal deutlich durch eine Auslassung: … „das letzte Jahrzehnt war, in dem Musik die treibende Kraft der […] Musikkultur war“. Denn darum geht es ja, und ich weiss, das beunruhigt Dich noch viel mehr: Musikkultur ohne Musik!
    Har, har, har … (Kater Karlo).

    @ Stefan: Prima Bild mit Lokomotive und Waggons, ganz genau das trifft es!

    • @Jochen: Ich kann mich in meiner Argumentation nicht auf eine Rolle beschränken, bin nun mal sowohl Konsument, als auch Produzent, wie doch eigentlich die meisten heutzutage. Aber meine Position ist doch hoffentlich klar geworden: Ich verstehe Bergmanns Aussage, kann sie nachvollziehen und auch in meinem Umfeld wieder erkennen, aber für mich persönlich hat sie keine Gültigkeit. Und wenn ich die anderen Kommentare lese, scheint es anderen Menschen ähnlich zu gehen.

      Was KLF und Bruckmaier angeht, muss ich nicht den Output jeder obskuren Band vergangener Zeiten oder die Schriften jedes angeblichen Kritikerpapstes kennen um mitreden zu dürfen? Ich kann dir ohne das Internet oder meinen Bücherschrank zu bemühen aus dem Stegreif locker ein Dutzend Namen hinschmeissen, die wiederum du nicht kennst, das sind alles nur argumentative Streufeuer um den Gegner zu irritieren. In das neue Buch von B. habe ich ausschnittsweise im RS reingelesen, hat mich zu Tode gelangweilt, genau wie der aktuelle Diederichsen, den fand ich immer schon hoffnungslos überbewertet und brauche inzwischen eigentlich keinen mehr von der Sorte, der mir die Welt erklärt. Aber ich weiss natürlich, dass alle in den 80er und 90er Jahren sozialisierten Pop-Intellektuellen den Mann verehren, genau wie die 68er Generation ihren nervigen Adorno.

      Ich glaube, der Ursprung unseres Dissens liegt darin, dass wir eine unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Auffassung von der Bedeutung des Begriffs Popmusik haben. Ich verstehe darunter eigentlich alles was nicht Klassik, Jazz oder Folklore ist, außerdem muss es für mich nicht unbedingt bekannt oder kommerziell erfolgreich sein. Was ist deine Definition?

      • Lieber Dennis jetzt kategorisiertst du schon wieder nach Gutdünken ! Wieso sollte Jazz, klassik oder Folklore denn nicht poptauglich sein?
        Auch deine Hiebe in Richtung von Verehrung treffen nicht den Kern der Sache. Der gute Mann B – und das ist er, ok bei diedrichsen muss ich dir leider zustimmen- versucht eben nicht zu erklären wie es ist. Da reicht reinlesen eben nicht – sondern er gibt vielmehr, natürlich eine individuell geprägte Sicht seiner Story, aber auch den geschichtlichen hintergrund zur Entstehung von Pop, und die ist äußerst interessant und überraschend und treffend

        Read!

        • @Bernhard: Ok, das schweift jetzt wirklich weit vom eigentlichen Thema ab, aber ich kann das so nicht stehen lassen. Wenn ich Bruckmaier lesen muss, damit ich mitreden darf, dann musst du auch folgende Autoren lesen damit Waffengleichheit herrscht. Es sind allesamt etablierte Autoren aus dem Mutterland des Pop (USA), deren Texte zur Grundausstattung eines ernsthaften Popforschers gehören:
          Philip Tagg, Ken Stephenson, Walter Everett, Richard Middleton, Mark Cunningham, Piero Scaruffi, Elijah Wald, David Brackett, Richard Aquila, Charles Gillett, Arnold Shaw, Reebee Garofolo, Alan Lomax, John Broven, Philip Enis, Alex Ross, Allan F. Moore, Paul F. Berliner, Gunter Schuller, Peter Guralnick, Mark Prendergast, Greil Marcus, Hugh Barler & Yuval Taylor
          Gib mir Bescheid, wenn du halb durch bist, dann fang ich mit dem Bruckmaier an. Und dann bin ich gespannt, ob du danach die subjektiv gefärbten Geschichten von Bruckmaier immer noch so erhellend findest.

          • Durch, sag ich nur weil ich ungesehn Akzeptiere was die sagen ohne es selbst vertreten zu müssen…und du kannst sehr wohl mitreden, aber dir kein Urteil über einen Autor erlauben, den du nicht gelesen hast Punkt.
            Mir geht’s ja nicht darum recht zu haben, aber wenn du ihn nicht magst ist das ja auch ok, aber er kann eben für andere auch was zu sagen haben, ganz in dem Sinne der zwölf Wahrheiten.
            Kann doch jeder denken was er mag, aber auch den anderen selbiges tun lassen….

  7. @Stefan: Ich unterscheide nicht zwischen legitimer und illegitimer Musik, damit kann ich nichts anfangen. Ich frage mich nur, warum es in Deutschland so schwierig ist Kunstmusik, die keinen interessiert, als das zu bezeichnen, was sie offensichtlich ist: Uninteressant, langweilig, öde, irrelevant, unbedeutend, überflüssig, nicht bemerkenswert. Mit diesem Urteil müssen viele Musiker anderer Sparten leben (auch ich), das heißt nicht, dass sie aufhören müssen, vielleicht kommt ja irgendwann doch noch was dabei heraus, was andere bewegt.
    Aber wenn in Deutschland Kunstmusik keinen interessiert, dann heisst es gleich, das ist sehr komplex, zu schwer zu verstehen, da wird der Musikbegriff erweitert, da kennst du dich nicht genug aus, da musst du studiert haben, das ist zu hoch für dich, das kannst du gar nicht kapieren. Ja, genau!
    Ich bin nun schon eine Weile dabei und kenne diese maßlose Arroganz zur genüge. Im Grunde geht es darum, dass öffentlich alimentierte oder subventionierte Akademiker weiter ungestört ihr privates Hobby pflegen können.
    Wenn etwas niemanden interessiert, ist es vielleicht einfach nicht interessant. Könnte doch sein, oder?

    • @Dennis: „Ich unterscheide nicht zwischen legitimer und illegitimer Musik …“ Ich auch nicht. Aber zwischen langweiliger und interessanter schon. Und interessante Musik kann eben zweifellos auch außerhalb des Pop entstehen (z. B. „Music for 18 musicians“ von Steve Reich). Was die Arroganz speziell vieler deutscher eKomponisten betrifft sowie ihre Unverschämtheit beim Einfordern von Unterstützung aus Steuergeldern, „weil sie ja Hochkultur machen“, kann ich dir nur zustimmen: Nur weil jemand *behauptet*, „Hochkultur* zu machen und dies allein mit der Verwendung bestimmter Techniken (in die Geige blasen) bzw. Sujets (Texte von Samuel Beckett) begründet, ist es noch lange keine Hochkultur. Es ist lediglich ein bestimmtes *Genre* von Kultur, innerhalb dessen es interessante und langweilige Werke geben kann – wie überall.

      „Wenn etwas niemanden interessiert, ist es vielleicht einfach nicht interessant.“ Ich finde diese Perspektive für ein schöpferisches Individuum wenig hilfreich. Bin ich denn als Künstler, oder gar als Mensch, plötzlich „wertvoller“, wenn sich ab morgen plötzlich ganz viele Menschen für meine Arbeit interessieren? Bin ich dann ein „Versager“, wenn sich ab übermorgen wieder so gut wie niemand (mehr) für meine Arbeit interessiert?

      Wer sich als Künstler *ausschließlich* über das Interesse anderer definiert, der benutzt künstlerische Arbeit nur als Vehikel: Es geht ihm letztlich nicht um das Werk, sondern darum, aufgrund seines Werkes als *Person* geliebt zu werden. Eine gefährliche und auf Dauer selbstzerstörerische Sichtweise, wie ich finde, denn über das Publikum verfügen kann keiner. Es macht, was es will. Es ist unabhängig von dem, was du willst. Die Welt ist voll von dieser Art von Künstlern (ich schätze ihren Anteil unter allen schöpferischen Menschen konservativ auf 80 – 90%).

      Ich denke, je stärker das Geliebt-werden-wollen im Mittelpunkt künstlerischer Arbeit steht, desto schlechter für die Kunst. Der Künstler, den ich schätze, wirft, bildlich gesprochen, eine Flaschenpost ins Meer und hofft, dass eines Tages die Richtigen sie öffnen. Mehr geht halt nicht. Das ist hart, ich weiß. But you have to face it.

      • @Stefan: Ja, ich kann dir da nur auf ganzer Linie zustimmen, ich sehe es im Prinzip genauso wie du. In jedem Genre gibt es interessante und uninteressante, komplexe und einfache, aufwändige und simple Werke. Das ist eigentlich das, worauf ich die ganze Zeit hinaus will (sorry, hat etwas gedauert).

        Was deine Betrachtung aus der Sicht des Künstlers angeht, kann ich (als Betroffener) auch nur zustimmen. Aber wechseln wir doch einfach mal auf eine anderen Perspektive. Allgemein und von außen betrachtet könnte doch oft genug meine Aussage stimmen, dass Musik, die keinen interessiert, vielleicht einfach nicht interessant ist.
        Das soll übrigens im Umkehrschluss nicht heißen, dass Musik die viele Menschen interessiert automatisch auch interessant ist. Aber irgendwie würde es näher liegen als andersherum, oder?

        Ich muss allerdings zur Sicherheit einschränken: Das ist eine allgemeine Betrachtung. Individuell braucht sich natürlich niemand von außen vorschreiben zu lassen, was er interessant finden darf und was nicht. Darauf bestehe ich!

  8. Eine interessante Diskussion, zu der ich als Späteinsteiger gerne noch etwas beisteuern möchte.
    Zum einen Stefans Gedanke, daß „Kunst“ gemeinhin des Gefallen wegen produziert wird. Kunst kommt von Können und wenn jemand etwas besonders gut kann oder einen ausserordentlichen Einfall hat, dann will und möchte er es vorzeigen, fast wie ein Kind.
    Ich erinnere mich an die erste, vollkommen gelungene Zeichnung eines Frauenkopfs im Sand der damals ungeteerten Strasse: Wie musste ich das herzeigen!
    Als Künstler (Musiker) in späten Jahren will man natürlich glänzen. Aber der „echte“ Künstler produziert nicht ausschliesslich VOR für den allgemeinen Geschmack, sondern wirft was Neues in Spiel, etwas, was vielleicht nicht „verstanden“ wird. (Ich erinnere mich, mal bei einem Llabel nachgefragt zu haben, ob der Bruch in einem Musikstück, den ich schmerzhaft empfand, Absicht war oder Produktionsfehler) . In der bildenden Kunst gibt es da einige Beispiele des Nichtverstandenseins, wenn auch zugegebenermassen nicht viele. Im Schach gab es die als „hässlich“ angesehenen sogenannten indische Systeme, anfangs des 20.Jahrhunderts, die dem Theorieverständnis so entgegenliefen und die man vielleicht am liebsten verboten hätte.
    Ich denke, auch in den Wissenschaften gibt es beredte Beispiele, in denen manch künstlerische Ideen (und die waren es ja oft, die voranbrachten) erst spät berücksichtigt und angenommen wurden.

    Natürlich sollte Kunst auch verstanden werden. Einen Schlüssel sollte es dazu geben. Man kann „schwere“ Kunst nicht einfach so dem Publikum hinwerfen, sondern sollte sich bemühen, den Anstoß und die Idee transparent zu machen. Einen Hint gewissermassen anheim geben.

    Ich spreche hier immer auch von Musik.

    Dennis Aussage „dass Musik, die keinen interessiert, vielleicht einfach nicht interessant ist“ reizt mich doch ein wenig.
    Was ist eigentlich „interessant“? Musik, die mich emotional bewegt, mich mitreisst? Musik, die bestimmten Gestaltungsprinzipen genügt? Musik mit mir unbekanntem, unbequemen Konzept und Idee?
    Musik muss mich nicht mitreissen, fesseln oder ein großes Aha auslösen. Es kann auch sein, daß sie mich mehr intelektuell reizt, weil sie nicht gewohnten Mustern entspricht. Somit interessant für mich, vielleicht aber nicht fesselnd.

    Man bräuchte ein allgemeines Gütemerkmal von Musik. Kriterien, die ein für alle mal sagen, daß die Musik da ein Wurf ist. Aber da Musik als Ganzes lebt, wird es wohl solch allgemeine Kriterien nie geben können oder?

  9. @Gerhard: Wittgenstein würde sagen, dass es nahezu unendlich viele verschiedene Sprachspiele mit dem Begriff „interessant“ gibt und es gar keinen Sinn macht, hier allzu sehr zu differenzieren. Damit meint er *nicht*, dass die Bedeutung von „interessant“ beliebig sei, aber es ist nahezu unmöglich, herauszufinden, was jemand *genau* meint, wenn er sagt, er finde diese bzw. jene Musik „interessant“. Das gilt übrigens *nicht* für alle Begriffe, -10 Grad Celsius z. B. sind immer -10 Grad Celsius, aber gerade geschmackliche Wertungen unterliegen fast gänzlich dem *Zusammenhang*, innerhalb dessen sie geäußert werden. Und der ist nun mal immer ein anderer und niemals nie der selbe, ja nicht einmal der gleiche.

    Außerdem kann es schon deswegen kein „allgemeines Gütemerkmal von Musik“ geben, weil es ohne Hörer *gar* keine Musik gäbe (im Unterschied z. B. zur Bildenden Kunst, Skulpturen gäbe es auch ohne Betrachter, denn sie bestehen bsp.weise aus Bronze und könnten auch einfach unbeobachtet irgendwo verstauben, Musik aber besteht aus Schallereignissen, die von Menschen als „Musik“ bezeichnet werden – oder eben nicht). Vor Kurzem spielte ich jemand eine Komposition von mir vor, und er sagte ohne jede Ironie: „Ich höre Geräusche, mehr nicht. Ich höre keine Musik“. Es gab keine Möglichkeit, ihm zu widersprechen (außer diversen Beschimpfungen dieser Person, was ich aber aus Gründen, die hier nicht zur Debatte stehen, unterließ). Ich habe also als Musiker oder Komponist zwar Macht über „meine“ Musik, aber null Macht über den Hörer. Was er *genau* hört oder vielleicht auch nur hören *will* bzw. was er zu hören *glaubt*, entzieht sich gänzlich meinem Einfluss.

    Vielleicht mag ich deswegen auch Richard Wagner nicht (und stehe damit – wie ich immer wieder zu meinem Leidwesen erfahren muss – recht einsam in der Gegend herum), denn dessen Musik versteht sich vor allem auf die *Manipulation* des Hörers durch psychoakustische Effekte. Wagners (und übrigens auch Philip Glass‘) Musik ist auf auf ihren Wirkungseffekt hin optimiert wie Viagra auf die penile Erektion. Manipulation hat aber mit Kunst nicht viel zu tun (auch hier ernte ich immer viel Widerspruch, vor allem von der „Werbung ist Kunst“-Fraktion), obwohl man sich natürlich von wirklich qualitätvoller Kunst auch immer gerne ein bisschen überwältigen lässt – das zu leugnen, wäre Heuchelei. Wenn sich Musik aber in der Ausbeutung von Effekten (und das ist durchaus nichts „Triviales“!) *erschöpft*, büßt sie ihren Kunstcharakter ein, sie verspielt ihren Kredit und wird zur Bedürfnisbefriedigungsanstalt.

    Nicht, dass das etwas Schlechtes wäre, auch bsp.weise Pornografie befriedigt ja wichtige Bedürfnisse und es gibt zweifellos „gute“, also anregende und „schlechte“, also abtörnende Pornografie. Was *mich* bei vielen meiner Generationsgenossen abtörnt bis zum Ekel, ist, dass sie den Unterschied zwischen Bedürfnisbefriedigung und Kunsterleben soweit wie möglich verwischen wollen – und darauf bescheuerterweise auch noch stolz sind, weil es sich um einen „Fortschritt“ handle, „Bauch und Kopf“ zu versöhnen (oder wie immer die Argumentation dann gehen mag).

    Nee nee, das ist schlicht Selbstbetrug: Selbst der beste Porno, um mal im Bild zu bleiben, bleibt eine Wichsvorlage und hat damit seinen Zweck erfüllt. Nichts an ihm weist darüber hinaus (das gilt übrigens auch für Egoshooter). Und selbst die krampfigste Kunstanstrengung bleibt ehrenwert, wenn da jemand ernsthaft versucht hat, die eigenen (völlig berechtigten) „Bauch“-Bedürfnisse zu überschreiten (nicht etwa zu leugnen!) und etwas zu schaffen, was über ihn als endlos „Bedürftigen“ hinausweist.

    Erst wenn ich das Gefühl habe, dass dem Künstler seine Arbeit wichtiger war als er sich selbst, beginne ich diese als Kunst zu betrachten. Alles andere sind Vorstufen des Sich-selbst-in-Szene-Setzens, des Macht-über-andere-haben-Wollens oder schlichte Angeberei oder Größenwahn oder alles zusammen.

  10. Stefan, Deine Definition von Kunst gefällt mir.
    Nicht umsonst sind das die Reisser im filmischen Biografie-Genre, in denen sich der Künstler zu verwirklichen sucht – und zumeist sehr qualvoll auch.
    Van Gogh, viel zitiert, war eigentlich kein geborener Künstler. Seine Zeichnungen zu Anfang waren schlecht und ungehobelt. Aber: Er wollte irgendwo hin! Wie von Zauberhand bekamen die Zeichnungen Charakter und Leben und schliesslich schuf er ein Oeuvre, daß tatsächlich „zur Vorlage“ wurde. Nur war er zur Lebenszeit denkbar unerfolgreich.
    Ich denke hierbei auch an Hrdlicka: Der war so besessen, daß er Stein-Skizzen(!) in 2m Höhe schuf, geschaffen in einem einzigen wahnwitzig furiosen Tag!
    Ich weiß es auch nicht, wie es bei Morandi war. Der war Einsiedler und schuf seine Vasen und Flaschen Tag für Tag, immer wieder, in abertausend Variationen, nichts als diese Vasen und diese Flaschen. Nichts mehr wollte er. Ein Irrsinn und Zeichen von Genie. ….Und schau Dir mal diese Vasen an!

    Sich selbst in Szene setzen zu wollen, ist sozusagen unkünstlerisch. Was mich in diesem Zusammenhang immer wieder reisst und bedeutsam für mich ist, ist die Erinnerung an eine blanke Aussage von einem Meisterschüler von Beuys, der VEHEMENT von sich wies, ein „Künstler“ zu sein. Er sei Bildhauer!

    Es gibt auch so manchen regionalen Künstler von einiger Grösse, der unentdeckt ist, dessen Werke nach seinem Ableben auf Dachböden verschimmeln, aber der es nicht wollte oder dem es nicht beschieden war zu Lebzeiten Resonanz zu erzeugen.

  11. Ich habe die Diskussion auch mit viel Interesse verfolgt und mich die vergangenen Tage bewusst nur als Leser hier her verirrt, weil mich schlicht die Standpunkte interessiert haben, würde jetzt jedoch noch gerne (nachdem es sich etwas beruight hat…) einige Anmerkungen machen.

    Dennis hat es einmal kurz eingeworfen und ich sehe es genaus. Die Schwierigkeit in dieser Diskussion liegt in der Definition. (Was ist eigentlich Popmusik? Was bezeichnet bzw. erfasst die Popkultur etc.). Insgesamt hat sich wohl herauskristalisiert, dass vorallem der Wert von Kunst nicht messbar ist. Auf Tonträgern steht keine „Kallorientabelle“, die klar macht, wie viel Kilojoul Kunst diese Platte enthält. (Eine spannende Vorstellung, wenn es so wäre, nebenbei.)
    Ich habe (leider) all die benannten (wichtigen?) Buchautoren nicht gelesen, und auch eine oberflächliche Internet-Recherche brachte nicht die gewünschte Erhellung – weshalb ich auf meine eigenen „Stichproben“ zurückgreifen muss und demnach eher eine subjektive Wahrnehmung zu dem Thema habe.
    In all den Jahren des „Plauderns“ über Musik ist mir insbesonders ein Gespräch in Erinnerung geblieben. Meine Gesprächspartnerin erklärte mir, dass sie keine Musik hören kann, bzw. Musik nicht mag, die keinen eindeutigen Refrain hat. Übersetzt könnte man sagen, sie hört deshalb viel „Pop“ oder „Radiomusik“, weil sie eben genau diese einfache Struktur (Intro-Verse-Chorus-Verse-Chorus-Chorus-Outro) will und braucht.
    Das in einem früher Kommentar benannte „Fast-Food“ trifft es hier wohl ganz gut.
    Die Frage, die sich mir nur stellt, ist, ob die Kunst, die diese Person konsummieren will (sie sagte, sie liebt Musik und braucht diesen akkustischen Input auch), den Kunstbegriff, den insbesondere Stefan so schön umrissen hat, nicht vollkommen aus den Fugen wirft.

    Ehrlicherweise muss ich sagen, dass es auch nach längerem Nachdenken für mich keine eindeutige Position in der Diskussion gibt, weil ich sowohl den, ich nennen es mal „elitären“ Kreis der Kunstschaffenden (die andere Ansprüche haben) nachvollziehen kann, als auch den Blickwinkel der reinen Konsumenten, die (vielleicht auf Grundlage fehlenden „Wissens“) schlicht keinen Bock haben, sich auf andere Musik einzulassen.

    Abschließen möchte mit dem Zitat eines (für mich) ganz Großen der Popmusik-Geschichte: Gordon Sumner, besser bekannt unter dem Namen Sting. Sting hatte sich für eine Dokumentation (Das musikalische Gehirn) bereit erklärt, seinen Kopf in einem MRT scannen zu lassen, während er verschiedene „Musik“ hörte. Dies sah so aus, dass ihm sowohl eigene Stücke, als auch Klassik, Oper, Metal aber auch nicht aufgelöste Dissonanzen oder einfach „Die Katze auf dem Klavier“ vorgespielt wurde.
    Es stellte sich heraus, dass Sting keinen Unterschied machte in der Wahrnehmung ob ihm Musik gefiel oder nicht, wichtig war nur, dass es tatsächlich Musik ist. Die Katze auf dem Klavier sorgte für keine Reaktion der sonst stimmulierten Areale.
    Damit konfrontiert sagte er (nicht im genauen Wortlaut – es ist ein Gedächtnisprotokoll): „Ich höre zwar keine Oper, aber ich weiß, dass es Musik mit Qualität ist. Im Prinzip glaube ich, dass so lange ich erkenne, dass es qualitative Musik ist, ich diese auch hören kann und etwas empfinde“.
    Ich würde mich dem „persönlich“ so anschließen.

  12. @Simon: Danke für deinen Diskussionsbeitrag 🙂 Was ich in meinen vorhergehenden Kommentaren über die Bedingungen der Möglickeit von Kunst sagte, gerät durch die Äußerungen deiner refrainliebenden Gesprächspartnerin keineswegs unter Beschuss. Problematisch wird es erst da, wo Menschen mit dem Musikgeschmack deiner Gesprächspartnerin (sie bildeten übrigens zu allen Zeiten die Mehrheit UND DAS IST AUCH GUT SO UND ES IST VÖLLIG IN ORDNUNG, WENN SICH DAS NIEMALS ÄNDERN WIRD) „anspruchsvolleren“ Musikauffassungen den Mund verbieten wollen. Und zwar mit dem oft gehörten und ganz unschuldig klingenden Argument: „Mir gefällt’s nicht, und meinen (Facebook)-Freunden auch nicht, also *muss* es doch *objektiv* scheiße, langweilig und überflüssig sein, oder?.“ Dennis, liebäugelst du nicht ab zu zu mit dieser populistischen Position? – Simon, Musik mit Kunstanspruch ist (wie Kunst überhaupt) ein Reich der *Freiheit* und der Neigung, was mit dem Bedürfnis deiner Gesprächspartnerin nach „einfachen Strukturen“ (was immer das ist) durchaus zusammengehen kann – oft aber auch nicht. Musik die über „einfache Strukturen“ hinausgeht, bedarf gesellschaftlicher Toleranz, sie war zu allen Zeiten immer nur geduldet (UND DAS IST AUCH VÖLLIG IN ORDNUNG DENN NIEMAND KANN GEZWUNGEN WERDEN, MUSIK ZU LIEBEN, DIE ER NICHT MAG). Was mich nervt, ist also nicht der Geschmack deiner Gesprächspartnerin (ich respektiere ihn). Was mich nervt, ist, wenn jeglicher nicht-einfachen Musik (und dazu zähle ich bsp.weise den Song „Unsung Songs“ von Dennis Schütze) allein aufgrund ihrer Randständigkeit gleich die Existenzberechtigung abgesprochen wird („Was nicht mindestens 10.000 Klicks hat, taugt nichts.“). Eine solche Denke erzeugt eine gesellschaftliche Stimmung, die der Erfindungs- und Entdeckungsfreude nicht gerade förderlich ist und stattdessen immer „professionellere“ KünstlerInenn hervorbringt, die aber, wen wundert’s?, immer weniger zu sagen haben.

    • Diesem Gedanken kann ich nur zustimmen, wobei ich dafür ein einfaches Wort verwenden würde: Ignoranz.
      Es ist immer so, dass es in Ordnung ist zu sagen „das gefällt mir nicht“, daraus zu schlussfolgern, dass es demnach schlecht ist schlicht ignorant.
      Den Gegenpol zu diesen Menschen stellen für mich die – ich möchte nicht despektierlich klingen auch wenn es sich kaum vermeiden lässt – Pseudointellektuellen dar, die Kunst für sich beanspruchen und meinen, bewerten zu können was Kunst ist und was nicht. Ich glaube Dennis hat ähnliches schon einmal geschrieben.
      Ich erinnere mich gut an den Beitrag von Harpe Kerkeling der einen kompletten Saal mit „Hurz“ an der Nase herumgeführt hat. Zugegeben, auch hier spielten mehrere Faktoren eine Rolle (Gruppendynamik, self fulfilling prophecy etc.), dennoch zeigte es, dass etwas nicht bewusst „gut“ sein muss um als „gut“ wahrgenommen zu werden.
      Wahrscheinlich ist es wie alles im Leben. Zwischen dem Schwarz und Weiß (hier, Fast Food Radiohörer und Pseudointellektuelle Kunstliebhaber) gibt es unendlich viele Grautöne und deshalb nicht den Weisheit letzter Schluss.
      Trotzdem, die Diskussion ist spannend und sollte von jedermann geführt werden… Vielleicht würden so mehr Menschen Popmusik nicht abstrafen und gleichzeitig andere Menschen Musik am Rande der Gesellschaft nicht ignorieren.

  13. @Simon: Es ist oft gar nicht so leicht, einen Pseudo-Intellektuellen von einem Intellektuellen zu unterscheiden. Oft mischen sich beide Phänomene sogar in ein und derselben Person: Er/sie erzählt eine Weile lang kluge, gut nachvollziehbare Sachen – und plötzlich kommt, im selben seriösen Tonfall, der gröbste Bullshit, dann wieder interessante Einsichten usw. Was ich damit sagen will: In fast jedem Intellektuellen schlummert ein pseudo-intellektueller Poser, der gelegentlich mal bullshitten muss, was für mich aber kein Grund ist, Intellektualismus generell zu verurteilen.

    Man sollte sich also in keinster Weise einschüchtern lassen, wenn jemand mit kompliziert klingenden Worten irgendeine Definitionsmacht für sich beansprucht bzw. „herumhurzt“, sondern ganz schamlos alles nachfragen, was man nicht verstanden hat. Ist der Sprecher ein Intellektueller, wird er jede Einzelheit seines Argumentationsgangs erklären können, ist er ein Bullshitter, wird er ins Stottern kommen oder ausweichend auf Dritte verweisen à la „Bevor du hier mitreden kannst, musst du erst mal das Buch X von Y lesen.“

    Bitte ihn im letzten Fall einfach darum, die relevanten Thesen aus diesem Buch X doch bitte HIER UND JETZT KURZ UND VERSTÄNDLICH zu referieren. Kann er das nicht oder sagt er etwas wie „Also dazu habe ich jetzt wirklich keine Zeit.“ oder „Das musst du schon selbst lesen“, auch gerne „Dafür ist jetzt hier nicht der Ort.“ oder gar „Ich weiß nicht, ob du schon so weit bist.“ – dann ist er ganz sicher ein Bullshitter, aber kein seriöser Intellektueller. Er mag das Buch zwar wirklich gelesen haben, aber er hat ganz offenbar nichts Mitteilbares verstanden. Also hat er *gar nichts* verstanden. Denn alles, was ich verstanden habe, kann ich anderen in klarer, verständlicher Sprache mitteilen, auch wenn es um komplexe Sachverhalte geht, da beisst die Maus kein Faden ab!

    • Aber Stefan: Gibt es wirklich den Menschen, der nur Gefeiltes und Durchdachtes von sich geben kann? Nein, es MUSS den Menschen geben, der auch Seichtes, Triviales – und – Falsches „anzubieten“ hat, neben all dem Großen, was er vielleicht verkünden kann.
      Der Pseudointelektuelle so meine ich, meint zu allem was sagen zu müssen und zu können. Der, der sich noch kein Bild machen konnte und Selbstdarstellung in grösserem Umfang nicht bedarf, schweigt lieber.
      Das Sammeln intelektueller Inhalte ist per se noch kein Grund, jemand Unlauteres zu unterstellen. Will er das Angesammelte aber als Waffe verwenden, um sich nicht klein fühlen zu müssen, dann kann man den Austausch mit ihm auf Dauer vergessen.
      Primär sollte das nackte Interesse „am Ding“ sein.

      Aber was sage ich: Wir alle werden von einem Ego regiert, einem Ego, das von einem Sich-präsentieren, Gewinnen, Macht ausüben ect beseelt ist. Nähme man das Ego aus dem Menschen „raus“, dann wäre er nur ne Hülse ohne Überlebenschance.
      Deshalb: Ego darf sein, aber BITTE nicht zuviel.

    • Finde ich nun doch etwas anmaßend zu wissen und zu urteilen was denn nun Intellektualismus sei oder nicht. Prinzipiell hat doch erst mal jeder das Recht seine Meinung kund zu tun auch wenn sie nur durch Geschmack begründet ist und nicht durch welchen Überbau auch immer. Mir sind jedenfalls authentische Leute lieber, die nicht begründen können, als solche, die die Interpretationsweisheit mit allzu großen Löffeln gefressen haben, deshalb auch noch mal ein link (zur Zusammensetzung nicht nur von Pop, höhö) https://m.facebook.com/story.php?story_fbid=10152593958469549&id=173987854548

  14. Heute wurde ich von einem Bekannten auf ein Interview des britischen Kulturwissenschaftlers Mark Fisher in der aktuellen Ausgabe der deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ hingewiesen in dem dasselbe Thema verhandelt wird. Es mündet in der Schlusssatz: „Es gibt viele Anzeichen dafür, dass Popmusik ihre zentrale kulturelle Rolle verloren hat. Dass sie nicht mehr so wichtig ist und nie mehr so wichtig werden wird, wie sie war. Verschwinden wird sie aber nicht, da bin ich mir sicher.“ (Mark Fisher)

    Hier der Link zum Artikel: http://www.zeit.de/kultur/musik/2014-07/mark-fisher-popkultur-retro-musik/komplettansicht

    Empfehlenswert auch die an das dortige Interview anschliessenden Kommentare, so z.B. Benedikt Bentler: „Einspruch: Pop ist tot – es lebe die Nische
    Dass Popmusik heute nichts neues mehr hervorbringt, ist nicht unbedingt Problem der Musik, sondern vielmehr der Rezeption. Es gibt ja immer noch Neues, nur diese „neue“ Musik hat eben kein Pop-Potenzial.“

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