Ist es noch Pop, wenn man es nicht kaufen kann?

In verschiedenen Medien wurde berichtet, dass der afro-amerikanische Musiker Kanye West am 14. Februar 2016 sein neues Album „The Live of Pablo“ veröffentlicht hat. Das klingt interessant, dachte ich mir, da solltest du mal reinhören. Bei Amazon kann man das Album weder als CD, noch als Download kaufen, es ist da noch nicht einmal gelistet, bei iTunes ebenfalls nicht und im stationären Ladenverkauf steht es – entgegen der ursprünglichen Ankündigung – auch nicht zur Verfügung. Kurz nach der Präsentation ließ Kanye West dazu über soziale Medien mitteilen, dass sein neues Album exklusiv durch sein eigenes, digitales Vertriebsportal Tidal erhältlich wird und zwar nicht als CD, auch nicht als Download, sondern einzig und allein als Stream. Dazu muss man allerdings Kunde/Abonnent bei Tidal sein, anders geht’s nicht.

Das ist eine neue Art des Musikvertriebs: Popmusik, die nicht mehr für jedermann zum freien Kauf zu Verfügung steht, sondern nur durch den Abschluss eines (zumindest für eine gewisse Zeit) bindenden Abonnements hör- und nutzbar wird. Weil man nicht Downloaden kann, kommt hinzu, dass man zwingend eine Internetverbindung braucht um das Album anhören zu können, am besten ein mobiles Smartphone, sonst kann man das Album nur am Rechner und nicht z.B. im Auto hören. Das sind mir persönlich bereits zu viele Einschränkungen bzw. Bedingungen, da bin ich raus. Das ist schade, irgendwie auch ärgerlich und ich frage mich: Ist es noch Popmusik, wenn man es nicht einfach kaufen und hören kann?

War nicht mal ein definierendes Merkmal von Popmusik, dass sie kommerziell verfügbar und bestenfalls weit verbreitet sein sollte. In der Berichterstattung wurde dieser Umstand nicht kommentiert (z.B. SZ). Wie übrigens auch immer öfter über neue Serien auf Pay-TV-Kanälen berichtet wird, die es nur als Abonnent zu sehen gibt. Mir nützen diese neuen Musik, Film, TV-Serien und die Berichterstattung darüber nicht viel, wenn ich jedes Mal ein Abo anschließen muss um mir einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Ich halte das für nicht zumutbar.

Die soziokulturelle Segmentierung scheint nun auch im digitalen Vertrieb angekommen zu sein. Nachdem sich Anbieter wie der stationäre Handel, Amazon und iTunes in den zurückliegenden Jahren Mühe gegeben haben ihren Kunden ein möglichst breites Warensortiment zu bieten (oft genug gegen den erklärten Willen von Label und Künstlern), versuchen neue Anbieter sich durch ein exklusives, extrem selektiertes Angebot davon abzuheben. So bilden sich abgeschottete Inseln, Gated Communities, die sich gegenseitig kaum noch (er)kennen, ja, vielleicht gar nicht kennen wollen. Die Vielfältigkeit ist zwar eventuell noch vorhanden, aber für den Einzelnen kaum noch praktikabel, it’s not obtainable. Wenn man sich für einen Anbieter entscheidet, ist das gleichzeitig eine Entscheidung gegen die Inhalte anderer Anbieter. Popkultur verliert durch diese massive Zugangsbeschränkung ihre Allgemeingültigkeit, ihren Wiedererkennungswert, ihre überhierarchische Deutungskraft, die Diversität von Musik und Kultur wird immer schwerer und irgendwann gar nicht mehr nachvollziehbar.

Wenn Pop nicht verfügbar ist, kann Pop kein Pop mehr sein. Es könnte sein, das die Ära der Popkultur, so wie sie wir kannten, gerade zu Ende geht und in eine neue Phase übertritt.

15 Gedanken zu „Ist es noch Pop, wenn man es nicht kaufen kann?

  1. Ein weites Thema.
    Die ausdifferenzierte „Formatsteuerung“ ist manchmal ein Ärgernis, aber es gibt ja auf der anderen Seite unendlich viele Künstler, insofern fühle ich mich speziell nicht gebunden.

    So manchen Info-Pod aus den Radiosendern würde ich übrigens gerne downloaden, um ihn im primär im Auto zu hören. Schade, daß das oft nicht geht.

    Von einem Künstler weiß ich, daß man das Zugangsrecht für sein Label-Portal für ein Jahr kaufen kann. Jede Woche gibt es frisches Material. Aber ich will mich garnicht so exklusiv binden. Was weiß ich, ob mich die „Erzeugnisse“ in einem halben Jahr noch mächtig interessieren? Zudem kann man im Falle einer Mitgliedschaft neben diesem spezifischen Label-Material kaum noch viel anderes anhören. Ich möchte offen sein für alle möglichen Einflüsse.
    Und das Material einfach mal so wöchentlich downzuloaden, ohne es richtig anzuhören, ist auch nicht mein Fall.

  2. neue zeit definitiv, und dazu gehören neue medien – wie immer – auch wenns nervt is halt so, als in den 90ern die cd kam dachte alle das wär…pfeifendeckel, wer keine cd kaufte hatte auch pech; ok das ändert sich nun erneut, die alten formate haben dennoch bestand teilweise ein revival; ich persönlich habe gerne eine LP in der hand und im schrank (artwork blabla) aber dennoch möchte ich nicht auf den download verzichten (habe sogar schon einen fehlenden download moniert und von jazzern, die das gar nicht kannten nachgeliefert bekommen – geiler service!!!) podcast kann jeder mit smartphone im auto hören, der sich nicht der technischen entwicklung verschliesst, geht eben aus ärglichen rechtlichen gründen im rundfunk nicht anders, nervt wie vieles andere geht aber….
    es ist doch wie überall sonst auch eine multiplizierung in formaten, stilen, medien und nun auch kanälen der verfügbarkeit, aber is da wirklich so viel anders???? top 40 leiert weiter im radio, nischen gibts weiter vielleicht bietet das der cdrom oder audiocassette neue möglichkeiten .-)

  3. Quote: „Wenn Pop nicht verfügbar ist, kann Pop kein Pop mehr sein.“

    Hui, das ist ein Statement, das es zu diskutieren lohnt. Wobei hier ganz am Anfang die Definition von „Pop“ steht.

    Quote: „War nicht mal ein definierendes Merkmal von Popmusik, dass sie kommerziell verfügbar und bestenfalls weit verbreitet sein sollte.“

    Mir fehlt hier ein wenig die einschlägige Literatur und auch eine schnelle Internetsuche brachte keinen Erfolg. Soweit ich es überblicken (kann), gibt es keine echte Definition für Pop. Wenn du anführst, dass eine Verfügbarkeit gegeben sein muss, dann widerspricht das nicht dem Vermarktungsweg von Kanye West – im Gegenteil. Die Verfügbarkeit ist 24/7, von überall auf der Welt. Es ist lediglich das richtige „Device“ notwendig und das war schon immer so. Eine Platte braucht einen Plattenspieler, eine CD einen CD Spieler. Kanye West braucht einen Internetfähiges Gerät (Smartphone, Tablet, Computer etc.)
    Ich würde also aus dieser Perspektive widersprechen. Die Verfügbarkeit wird hier nicht beschnitten.

    Das „unsere“ jetzige Pop-Kultur im Umschwung ist, sehe ich aber genauso. Nur sehe ich es nicht so negativ. Ich erlebe dies in einer anderen Branche (Computerspielemarkt) schon länger und bin deshalb wohl etwas sattelfester in der Wahrnehmung. Dort geht der Vertrieb von der Software (dem Spiel) über den Einzelhandel, seit Jahren massiv zurück. Spiele müssen jederzeit zugänglich, up to date und downloadbar sein. Nur so sind die Titel erfolgreich. Natürlich ist mir bewusst, dass die Spiele schon von der Grundanlage näher am Computer und deshalb am Internet sind als Musik. Dennoch hatte die Spieleindustrie ein ähnliches Problem, wie die Musikindustrie jetzt. Rückläufige Verkaufszahlen und kein Mittel gegen Raubkopien. Der Unterschied ist nur, dass die Spieleundustrie reagieren musste, und vor Jahren reagiert hat. Die Musikindustrie stagniert seit Jahren und die wenigen Verbesserungen der letzten Jahre, hinken anderen Branchen immer noch massiv hinterher.
    Es ist daher für mich nur nachvollziehbar, dass erfolgreiche Künstler so reagieren. Dennoch halte ich es für falsch, denn wie du richtig formuliert hast. Der Konsument wird gespalten und entscheidet sich für eine Abonnement und entzieht sich so anderen Produkten. Hier liegt die Hürde, die die Musikindustrie – mit all seinen Labels, Künstlern, Händlern etc. – nicht vermag gemeinsam zu nehmen. Jeder versucht allein darüber hinweg zu springen und am Ende werde alle einzeln mehr schlecht als recht ins Ziel gelangen.

    Ich würde die These etwas sperrig so formulieren:

    Pop ist Pop wenn:
    1. Die Ware von einem überwiegenden Teil der Gesellschaft konsumiert werden will
    2. Die Zugänglichkeit für einen überwiegenden Teil der Gesellschaft gegeben ist und
    3. die Ware die gesellschaftliche Wahrnehmung beeinflusst.

    Puh. Das war jetzt wieder viel mehr als gewollt 🙂

  4. Danke für eure ausführlichen Kommentare. Ich erkenne in den neuesten Entwicklungen allerdings mehr als einen bloßen Formatwechsel. Die kommerziellen Bedingungen sind bei Single, LP, CD vergleichbar. Man geht in den Laden oder bestellt beim Versandhaus seiner Wahl, kauft das Produkt, nimmt es mit nach Hause, kann es dann frei nach belieben wann und wo man will anhören, überspielen, verleihen, etc. Mit dem Download wurden diese Möglichkeiten schon etwas eingeschränkt, weil man sich bereits anmelden muss um Zugriff zu bekommen, immerhin hatte man aber grundsätzlich noch die Möglichkeit eben auch CDs zu erwerben. Das Abomodell der Streamingdienste hat diese Wahlmöglichkeit ziemlich eingeengt. Ich erwerbe nicht mehr das Medium oder den Datensatz, sondern das Recht die Musik für einen begrenzten Zeitraum zu nutzen. Das ist etwas anderes und daraus ergibt sich aus meiner Sicht der Paradigmenwechsel. Jetzt kommt noch erschwerend hinzu, dass man nicht mehr die freie Wahl hat bei welchem Streamingdienst man ein Abo abschließt, wenn man bestimmte Musik hören möchte. Der Vertrieb wird segementiert, was früher das Label war ist jetzt der Abieter. Wenn ich Kanye West hören will, muss ich mit Tidal eine bindende Geschäftsbeziehung eingehen. Ich zahle für die Möglichkeit zu hören, nicht mehr für das Musikprodukt. Zusätzliche werden Daten von mir erhoben und wenn ich das Abonnement beende, erlöschen alle Zugriffsrechte inkl. Playlisten etc. vollkommen und es bleibt nichts als die bloße Erinnerung.
    Dadurch wird es in Zukunft (noch) weniger Gemeinsamkeiten in der Wahrnehmung populärer Musik geben. Und wenn am Ende jeder etwas anderes hört, kann man die Inhalte nicht mehr populär nennen, das ermöglicht nämlich nur eine einfache kommerzielle Verfügbarkeit. Es wird immer mehr geschmacklich Inseln geben, die sich selbst genug sind und das ist eigentlich genau das Gegenteil von dem, was wir uns von der digitalen Revolution einmal erhofft hatten (Remember: Demokratisierung, flache Hierarchien, niedrige Zugangshürden, freie Verfügbarkeit von Wissen und Information, Beteiligung an der Wissensgesellschaft, lebendiger Diskurs, Selbstbestimmung, Freiheit)

    • Puh, Du zeichnest ja ein düsteres Bild.
      An 99 % der Musik, die mich interessiert, komme ich, so denke ich, persönlich ran.
      Ich kann mir für jede erdenkliche Gruppe ein Bild machen. Daß ich an einzelne Dinge nicht mehr ran kommen könnte, juckt mich bei der mittlerweile horrenden Vielfalt der Outputs in der Musik nicht wirklich.
      Inselmässiges Hören ist m.E. per se gegeben. Mit wem kann ich mich denn über meine gesamten oder auch nur einen Teil meiner musikalischen Interessen austauschen? Mit niemandem! Mein musikalischer „Abdruck“ entspricht sozusagen fast einem genetischen Abdruck. Er ist die Hörerfahrung von abertausenden Stunden.
      Die Frage ist eher, wie kriege ich es geregelt, soviel Musik bewusst und aufmerksam anzuhören, daß es vorangeht. An manchen Tagen höre ich z.B. kaum etwas.

  5. …nach meiner erfahrung mit der jungen generation haben die ohnehin schon ein komplett anderes rezeptionsverfahren; das medium spielt gar keine rolle mehr; es wird on demand gehört, wenns out ist wird der song vom smartphone gelöscht – kennichehschon zit. – da auch gestreamte inhalte ohne probleme mitgeschnitten werden können, was auch passiert, werden diese auch zB über whatsapp umgehend getauscht, hats einer habens alle, die es wollen, insofern kein grosser unterschied zu meiner jugend in der ich 10er packs cassetten an meine freunde zum aufnehmen weitergegeben habe und selbiges bekam.
    der pop ist tot es lebe der pop!!!

  6. @alle: Gutes Debattenniveau hier, vielen Dank.

    Kanye Wests Geschäftsmodell – wenn ich es richtig verstehe – scheint mir ein turbo-neoliberales zu sein (Ist es evtl. von Carsten Maschmeyer inspiriert? Ach nee, wohl doch eher von Donald Trump). Bisher kaufte man den Tonträger / die Datei *anonym*, damit war die Sache erledigt. Hier erwirbt man lediglich eine *zeitlich beschränkte Lizenz, sich die Musik anzuhören* und muss darüber hinaus auch noch persönliche Daten (Lebensalter, Wohnort etc.) preisgeben, die dann dazu dienen, einen den Rest des Lebens zum Target von Marketingmaßnahmen des Providers zu machen. Nach Auslauf der Lizenz ist man zwar ärmer, hat aber keine fassbare Ware erhalten, nicht einmal eine Datei. Der Provider hat nun doppelt kassiert (Lizenzgebühr und persönliche Daten), musste aber exakt nichts Beständiges dafür liefern. Dennoch ist alles „rechtens“ zugegangen und der Kunde darf sich nicht beschweren, denn es wurde ja „mit offenen Karten gespielt“. Faszinierend!

    Fragt sich, ob sich das noch toppen lässt. Wie wäre es damit, eine Option auf eine zeitlich beschränkte Hörlizenz für ein kommendes Album von Mr. West anzubieten? Selbstverständlich wäre diese Option günstiger als die spätere tatsächliche Lizenz, sonst hätte der Kunde ja keinen „Vorteil“. Sollte Herrn West aber nichts einfallen und kein Album zustandebringen, verfielen diese Optionsscheine natürlich, aber wie heißt es doch so schön: No risk, no fun. Das Prinzip „Money for nothing“ wäre damit fast perfekt umgesetzt und nur noch durch den klassischen Straßenraub zu überbieten. Aber der ist ja verboten.

  7. Nachbemerkung: Ende letzter Woche, kurz nach Veröffentlichung des Blogartikels wurde gemeldet, dass ausgewählte Warenartikel des Onlineversenders Amazon nur noch für Primekunden erhältlich sind, d.h. es gibt Waren, die sind gelistet, aber nur für den Kunden nur käuflich zu erwerben, wenn gleichzeitig auch ein Abonnent des Amzon-eigenen Dienstleistungssystems Prime ist. Stichwort: Gated market communities, es schreitet voran.

    Man muss als Musikkonsument mittlerweile Abonnent von Prime, Apple Music, Spotify, Netflix und Tidal und eventuell noch ein paar anderen Diensten sein, um halbwegs Zugang zum aktuellen, popkulturellen Angebot zu haben. Dazu kommt noch die deutsche Zwangsgebührenerhebung der öffentlichen-rechtlichen Sender. Die Wahlfreiheit wird dadurch massiv eingeengt (und eben gerade nicht erweitert, wie versucht wird der Öffentlichkeit weiszumachen), die Abhängigkeiten verstärken sich, man muss sich für bestimmte Anbieter entscheiden und ist dann bis auf weiteres an deren selektive Inhalte gebunden. Die Zeiten haben sich definitiv geändert, nicht nur die Formate.

    • @Bernhard: Okay, das habe ich jetzt verstehen können. In der aktuellen Wochencharts von Media Control ist er in Deutschland mit keiner Single vertreten und liegt mit dem Album auf Platz 70 (= bisherige Spitzenposition). Das rechtfertigt auf keinen Fall den Hype, der um ihn gemacht wird. Würde auch zu gerne wissen, wie ein Album, das nirgends gekauft werden kann (nur auf einer Plattform außerhalb der BRD gestreamt), ausgerechnet in den deutschen Verkaufscharts einen Platz belegen kann. Lässt West Media Control in die Bücher sehen und gibt noch dazu an von welchem Land aus zugegriffen wurde oder wie funktioniert das bitte?

      http://www.charts.de/

  8. @Dennis habe das wie geschrieben nur in einem Tweet von „ihm“ gelesen; und nicht geprüft (bin ja kein doc music wie du knickknack) und vermute, dass es sich deshalb auf die US bezieht, da mich seine music ohnehin nicht interessiert habe ichs nur gepostet, weil ich mich an deinen blogeintrag erinnert habe und das dann wiederum popmusikalisch sehr interessant fand…

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