In den letzten Jahren erleben Malbücher für Erwachsene erstaunliche Auflagen. Federführend sind dabei die Malvorlagensammlungen von Johanna Basford, die Titel tragen wie z.B. „Mein verzauberter Garten“ (2013), „Mein Zauberwald“ (2015) oder „Mein phantastischer Ozean“. Von dem sensationellen Verkauferfolgen profitieren sogar Buntstifthersteller und kommen mit der Produktion kaum noch hinterher. Es sitzen also erwachsene Menschen zu hause und statt in die Glotze, den Bildschirm, den Second Screen oder das Smartphone zu starren, kolorieren sie zur Entspannung filigrane s/w-Zeichungen. Der nächste logische Schritt ist dann wohl das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und aus diesem Grundgedanken hat die US-amerikanische Mathematiklehrerin Anna Weltman (natürlich aus dem dauerkreativen Kalifornien!) das Konzept „Kritzel dich zum Mathe-Genie!“, so der Untertitel der deutschen Ausgabe, entwickelt. Nicht ganz so reißerisch ist der Untertitel im amerikanischen Original, der lautet: „A smart art activity book“ und das kommt der eigentlichen Sache schon ziemlich nah.
Durch unterschiedliche Aufgaben wird der Leser/Ausmaler an diverse mathematisch geordnete Muster herangeführt. Zur Ausführung braucht man neben grundsätzlichem Interesse und Geduld einen Winkelmesser/Zeichendreieck (vulgo: Geodreieck), Zirkel, Klebeband, Karopapier, Blankopapier, Pauspapier und eine Schere. Für die Ausführung wurde unter der Aufgabenstellung und einem Beispiel immer etwas Platz gelassen, sie lassen sich aber in Analogie oftmals bis in die Unendlichkeit fortführen. Heraus kommen dabei recht schematische, zum Teil aber auch erstaunliche Gebilde, denen freilich immer ein mathematischer Algorithmus zugrunde liegt. Mit der Idee einer freien Kunst hat das nicht sehr viel zu tun, dafür sind die Regeln zu starr, es wirkt manchmal eher so wie Fliesenlegen für Fortgeschrittene. Ein Mathe-Genie wird man dadurch vermutlich nicht, es ist aber ganz erfreulich, dass mathematische Zusammenhänge bildlich und ästhetisch dargestellt werden ohne irgendeinem Nutzen oder einer Notwendigkeit zu genügen, sondern einzig allein dazu dienen, sich an den resultierenden Mustern zu erfreuen. Mathematische Ästhetik oder ästhetische Mathematik? Egal, wem das Freude bereitet, der soll sich an diesem harmlosen Vergnügen delektieren! Und vielleicht kommt einem bei der ganzen Entspannung und Ordnung doch noch ein genialer Gedanke.
„Das ist kein Mathebuch“ hat 96 Seiten, erscheint bei Knesebeck und kostet 12,95 €.
Wie so oft: Ich misstraue dem Gedanken, etwas Komplexes wie Mathematik durch Quasi- Veranschaulichung greifbar zu machen. Der Mathematiker selbst wird wohl nicht in diesen Kategorien denken. Er untersucht etwa konkrete mathematische Räume , ohne Abbilder und Schemata davon fertigen zu wollen. Das braucht er hierfür nicht. Mathematik wird mathematisch betrieben, so mein Verständnis.