Familiengeschichte(n): Berlinbesuch (2016)

Das letzte Wochenende habe ich verlängert und einige Tage in Berlin verbracht. Schon lange stand an, dass ich einige entfernte Verwandte besuche. Habe hier und hier ja schon berichtet, dass ich seit Anfang letzten Jahres zur eigenen Familiengeschichte recherchiert habe und dabei einige erstaunliche Dinge entdecken durfte. Seitdem konnte ich einiges präzisieren und genauer datieren. Infolge der Kontaktaufnahme mit Verwandten wurde mir noch mehr erzählt und zugetragen und nun war es eben auch mal geboten sich persönlich blicken zu lassen, sich zu treffen und auszutauschen. Ich hatte im Vorfeld die verschiedenen Termine einigermaßen unter einen Hut bringen können. Am Mittwoch ging’s in aller Frühe mit dem ICE los von Würzburg Richtung Berlin und ohne Umsteigen ist man da in erstaunlich kurzer Zeit. Bei Ankunft dachte ich mir, ach komm, Berlin ist doch auch nur ein Dorf, die Strecke vom HBF nach Kreuzberg mache ich zu Fuß, da sehe ich wenigstens was von der Stadt. Also via Reichstagsgebäude, Brandenburger Tor zur Friedrichstraße in das Kulturkaufhaus Dussmann, Bücher (auch gut sortierte, englischsprachige), CD-Abteilung, Kartenvorverkauf, Notenabteilung, danach noch kurz Programm im Admiralspalast checken (leider tote Hose), kleiner, kulinarisch wertvoller Snack im Peter Pane, schon waren die ersten Stunden vergangen und ich nicht mal halb am Ziel. Also weiter zu Fuß zum Stadtschloss (immer noch im Bau), Straßenmusik am Domvorplatz anhören, Hack’sche Märkte, Beatbox und Karaoke am Alexanderplatz, Durchmarsch durch’s Nikolaiviertel, dann zog sich’s etwas nach Kreuzberg, aber irgendwann war ich tatsächlich da und fand auch gleich meine Übernachtungsplatz in der Oranienstraße. Hatte die Strecke etwas unterschätzt und war ziemlich geschafft, vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich während der ganzen Lauferei vier Flaschen guten Frankenwein als Mitbringsel im Rucksack hatte, habe aber der Versuchung widerstanden sie im Laufe der anstrengenden Wanderung selbst zu trinken.

Am Freitag habe ich mir ein Fahrrad bei der Regenbogenfabrik, einem alternativen Kinder-, Kultur- und Nachbarschaftszentrum mit etwas in die Jahre gekommenem 80er-Alternativ-Flair, geliehen, damit bin ich über’s Wochenende durch die Kieze geradelt. Ziemlich bald wurde mir allerdings klar, dass meine komplette Alt-Berliner Verwandtschaft im vormaligen West-Berlin wohnt und ich von Kreuzberg aus fast jeden Tag einmal quer durch die Stadt fahren musste (Hallo Gleisdreieck!), naja, egal, sieht man wenigstens was von der Stadt, zum Teil allerdings mehr als mir lieb war. Ich besuchte nachmittags meine Tante und nach einem willkommenen Mittagssnack und anschließendem Kaffee und Kuchen unterhielten wir uns sage und schreibe ca. sieben Stunden am Stück, bevor ich wieder in meinen Stadtteil zurückfuhr. War ein sehr herzliches und intensives treffen, bei dem ich viel über die Familie und mich erfahren habe. Guter Start.

Am nächsten Tag traf ich meine Großcousine und ihren wunderbaren Lebensgefährten zuerst bei einem Trödelflohmarkt am Fehrbellinger Platz, danach in ihrem stilvoll gestalteten und mit viel persönlicher Kunst ausgestattetem Zuhause. Wir aßen, tranken und quatschten bis in die Nacht und waren in der Zeit so zusammengerückt, dass sie mir zu vorangerückter Stunde freundlicherweise anboten dort zu übernachten. Kurz wägte ich ab, es war ein langer Weg mit dem Rad zurück, aber war mir dann doch lieber, als meine Kreuzberger Gastgeberin im Ungewissen zu lassen (hatte kein Tel.# dabei). Es fiel mir schwer mich loszureißen, bin aber durch die Nacht von Charlottenburg nach Kreuzberg geradelt und war bei Ankunft durch die kühle Luft und die körperliche Anstrengung auch wieder komplett nüchtern ;-). Interessant übrigens, dass ich ohne Licht quer durch die Stadt fuhr und mich auf dem langen Weg weder irgendjemand zurechtwies oder anhupte und ich auch nicht von der Polizei rausgezogen wurde, nicht mal dann, wenn ich Polizisten oder Polizeiautos direkt, ohne Beleuchtung und bei roter Amperstellung passierte. Ditt is Berlin, wa, dermaßen unbehelllicht bzw. unterbelichtet wäre ich jedenfalls in meiner bayerischen Heimatstadt nicht mal bis zur nächsten Straßenkreuzung gekommen ohne mir Ärger einzuhandeln.

Am Sonntag war ich dann bei meinen Großcousins zum Frühstück eingeladen. Beim Aufstehen spürte ich noch die Vorkommnisse des Vorabends in den Knochen. Egal, auf’s Fahrrad und entlang der mir mittlerweile vertrauten Tangente „Gneisenaustraße – Yorckstraße – Hohenstaufenstraße“ zum verabredeten Ort, habe ich auch gleich gefunden, diesmal war’s erstmal eine reine Männerrunde. Einen kannte ich schon, den anderen gar nicht, fühlte sich aber gleich wie Familie an und wir quatschten, als wenn wir uns schon ewig kennen würden. Das scheint übrigens das zentrale und gemeinsame Merkmal meiner Familie zu sein: Quatschen bis der Arzt kommt, zu Kaffee und Kuchen, Likörchen, Wein oder Bier, die Themen gehen uns nicht aus und gewürzt wird das ganze mit guten Geschichten und feinem Humor, die Stunden vergehen, irgendwann ist es draußen dunkel und ich hatte jedes Mal den Eindruck, ich bin doch gerade erst gekommen, wie konnte die Zeit nur so schnell vergehen?

Von meiner Großcousine und –cousins habe ich zum Abschluss jeweils noch wertvolle Aufzeichnungen, Urkunden, Briefe, Fotos und andere Dokumente vertrauensvoll übereignet bekommen, darunter Abstammungsurkunden, die bis ins sehr frühe 19. Jahrhundert zurückreichen und Autographe meines berühmten Urururgroßvaters Johann Nikolaus Eduard Schütze (*1799) und persönliche Tagebuchaufzeichnungen meines Urgroßvaters Ludwig Hermann Schütze (*1869), dessen Lebensführung eine ganz besondere Wirkung auf mich ausübt. Die Texte sind alle in altdeutscher (?) Schreibschrift verfasst und ich brauche jetzt Zeit und Muse um die Texte zu sichten und zu entziffern. Bin aber guten Mutes, dass ich mich da einlesen werde, bin ja immerhin Nachkomme und Namensträger und werde die Hinterlassenschaft in Ehren halten.

4 Gedanken zu „Familiengeschichte(n): Berlinbesuch (2016)

  1. hier schreibt die grosscousine….ja, es war sehr besonders Dennis endlich kennenzulernen….auf Anhieb sehr vertraut…..seltsam ist das….und es gibt noch viel, viel Stoff zum erzählen…darauf freue ich mich jetzt schon….
    Danke, lieber Dennis, für die schönen, anregenden Stunden….
    und wie schön, dass du meinen Freund mochtest…..
    herzlich und liebe Grüsse
    die Grosscousine

  2. Nun bin ich allerdings neugierig: was genau wurde denn erzählt? übrigens habe ich ein Jahr in der Oranienstrasse gewohnt, direkt neben dem legendären SO 36. Das waren Zeiten: Hausbesetzer, Strassenschlachten, und immer wieder versperrte mir die Mauer den Weg.
    Verwandte (als Familienforscher kannst Du mir vielleicht die richtige Bezeichnung sagen?) aus California.

    • @Christine: Danke für den Kommentar und willkommen auf diesem Blog. Ist schwierig die mehr als 20h Gespräche zusammenzufassen und wäre hier wohl auch nicht der richtige Ort. Ich kann jedenfalls sagen, dass ich gar nicht so viel beisteuern musste, meine freundlichen Gastgeber haben erzählt und erzählt und dabei ging’s quer durch’s Gemüsebeet. Beim nächsten Mal sollte ich vielleicht mal einen Recorder mitlaufen lassen, aber dann wird’s auch gleich wieder zu verbindlich und formell.

      Kreuzberg vor dem Mauerfall muss ein ganz eigener Kosmos gewesen sein. Für mich sah’s heutzutage aus wie eine perfekte Synthese zwischen gestriger Alternativ- und zeitgenössischer Kommerzkultur. Gentrifikation konnte ich nicht erkennen, wäre aber vielleicht eine Lösung, wenn man den so hochgelobten Berliner Gammelstyle irgendwann überwinden wollte. War nicht so meins, bin anscheinend im Herzen bereits ein spießiger Bayer, evtl. auch ein zurückgebliebener Franke. Nicht so „Mia san mia“, sondern eher „Der Club is‘ a Depp!“.

  3. Die Stadt Berlin war schon immer dreckig und vorlaut, aber die Menschen sind herzlich. Dein Blogartikel scheint diese Ansicht zu bestätigen. Nachdem ich so hin und her geeiert bin tut es mir natürlich jetzt leid nicht mitgefahren zu sein. Die ganze Mischpoke auf einmal zu treffen und die Gesprächsatmosphäre mit allen zu teilen, das hat schon was. Schließlich habe ich auch ein paar Wurzeln da.
    Vater Schütze

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