Früher/ Heute: Musikalische Umrahmung

Früher lief das so: Die Leute hatten dich auf einem Stadtfest oder einer privaten Feierlichkeit gehört und gesehen, eine CD gekauft, eine Karte mitgenommen oder sich einfach nur den Namen gemerkt. Monate oder Jahre später kam dann ein Anruf über Festnetz und sie erzählten wie positiv sie das noch Erinnerung hätten und dass sie auch bald heiraten oder etwas zu feiern hätten. Man erzählte wie das so laufen könnte, meisten mit den zukünftigen Bräuten, die Herren waren an den organisatorischen Feinheiten eher selten interessiert. Man tauschte Telefonnummern und Adressen aus, sendete die aufwändig produzierte CD mit Info oder Kärtchen und einem persönlichen Gruß per Post zu. Ein paar Wochen danach wurde wieder telefoniert und der Termin fix gemacht. Einige Wochen später noch einmal um Anfang und Endzeiten festzulegen, Musikwünsche abzuklären und Feinheiten zu besprechen. Zum eigentlichen Termin kannte man sich dann schon etwas, hatte ein Verhältnis zueinander, war über einige Besonderheiten der engeren Verwandtschaft und Freunden informiert. Beim Fest wurde erst etwas gegessen und getrunken, dann viel getanzt und zwischendurch ein paar lustige Spielchen gemacht. Am späten Abend kamen beschwippste und enthemmte Gäste auf uns zu und erzählten seltsame Geschichten oder verlangten ungewöhnliche Dinge von uns. Es wurde viel und laut gelacht, gesungen, gegröllt und geschrien. Es war feucht-fröhlich und deftig. Wir bekamen gutes Essen und Getränke, Bier, Wein, Schnaps, whatever. Am Ende eines solchen Abends waren wir erledigt und durchgeschwitzt, müde, glücklich, zerzaust und konnten kaum noch sprechen, weil wir so lange und laut gesungen hatten. Wir fuhren nach hause, erzählten uns während der Fahrt noch lustigste Beobachtungen oder ahmten skurrile Gespräche nach. Am nächsten Tag schliefen wir bis um 12.00 und befanden uns dann in der sprichwörtlichen Muggerstarre. Erst am Montag waren wir wieder ernsthaft ansprechbar.

Heute läuft das so: Man bekommt eine kurze, freundliche Mail mit einer Terminanfrage und Gagenvorstellung. Die beantwortet man schriftlich. Man muss nichts erklären, Telefonat ist nicht erforderlich. Eine CD braucht man nicht zuzuschicken, viele Interessenten besitzen gar keine Abspielmöglichkeit mehr. Dafür haben sie die Musikvideos im Netz gefunden und angesehen. Dann wartet man ein paar Tage oder Wochen und bekommt entweder nie wieder eine Antwort oder ohne weitere Nachfrage eine offizielle Zusage. Manchmal wollen sie noch einen Vertrag, macht man fertig, druckt man aus und wird zugeschickt, oft reicht auch nur die Mailkorrespondenz. Monate später, kurz vor dem angesetzten Termin, mailt man noch mal, ob alles klar ist, ob sich noch was verändert hat. Normalerweise nicht, alles läuft genau nach dem Plan, der Monate vorab erstellt wurde. Hin und wieder bekommen wir Exceltabellen mit minutengenauen Abläufen und inhaltlichen Angaben. Zum Termin erscheinen wir pünktlich, werden kurz begrüßt, bauen leise auf und es geht wie vereinbart los. Natürlich zurückhaltend und instrumental, die Gäste sollen sich beim Essen nicht gestört fühlen und sind froh, wenn wir oft und lange Pausen machen. Das Essen zieht sich über 4-7 Gänge und dauert 3h oder länger. Wenn nach 23.00 das Dessert abgeräumt wird, wird der Eröffnungstanz präsentiert, der evtl. über Wochen mit einem Choreographen einstudiert wurde. Dafür zücken die Gäste Kameras, Smartphones und Tablets um es für die Nachwelt festzuhalten. Wenn das rum ist, wird oft nicht getanzt, wie man es erwarten könnte, sondern die Gäste inkl. Brautpaar setzen sich wieder auf ihre Plätze, schauen auf ihre Smartphones, bestellen vielleicht einen Kaffee. Manchmal kommt dann in der nächsten Pause jemand auf uns zu und fragt, ob wir mal „was fetziges, tanzbares“ spielen könnten, obwohl wir gerade eine halbe Stunde lang fetzige, tanzbare Musik gespielt haben. Wenn wir freundlich bejahen und genau das machen, tanzt später trotzdem keiner. Um 24.00 Uhr kommt der Mitternachtsimbiss, die ersten Gäste sind längst gegangen, ein paar ältere Paare haben doch noch etwas getanzt, die Leute sind nüchtern und freundlich, die Atmosphäre ist gedämpft, das Servicepersonal entspannt sich, schaut aber regelmäßig auf ihre Smartphones nach der Uhrzeit. In der nächsten Pause werden sie uns fragen, wie lange wir gebucht sind. Wir spielen die letzte Nummer und moderieren ab, die letzten Gäste wirken erleichtert, holen ihre Mäntel, lächeln uns beim rausgehen zu. Wir packen zusammen, die Auftraggeber bedanken sich herzlich und betonen, dass der Abend genauso gelaufen ist, wie sie es sich vorgestellt und geplant hatten. Ich denke mir, „Wirklich?“ und sage: „Das freut mich zu hören!“ Es ist spät, aber wir sind nicht müde, eher erschöpft. Das kommt davon, dass wir den ganzen Abend angespannt und aufmerksam auf einem Platz gestanden und zurückhaltend vor uns hingespielt haben. Da wird man die Energie nicht los, es staut sich immer mehr an. Wir fahren nach hause. Wir haben nicht geschwitzt, wir sind stocknüchtern, unsere Stimmen sind intakt, aber wir schweigen.

12 Gedanken zu „Früher/ Heute: Musikalische Umrahmung

  1. Ich hoffe ich erkenne hier eine Neigung zur Glosse in dem Text, denn es werden doch bitte nicht alle Hochzeiten so ablaufen. Das wäre unendlich traurig. Das die CD nicht mehr Teil der Wahrnehmung ist, ist das eine. Dass die Hochzeiten zu steif-stoischen Prunksitzungen mit Dienstplan verkommen, und ein Absitzen der Zeit dem Wunsch des Paares entspricht (oder vorgeben zu entsprechen), ist einfach nur niederschmetternd traurig.

    Nun durfte ich dich ja selbst auf einer Hochzeit erleben und kann mit Gewissheit sagen, dass es dort nicht so war. Wenn es aber mittlerweile tatsächlich so ist, dass es nur noch um den Schein der Hochzeit geht und alle damit zufrieden sind, dass es dem Anlass entspricht, dann habe ich endgültig den Bezug verloren…

    • @Simon: Als Glosse war das nicht gemeint, eher als Pointierung. Natürlich lässt sich das nicht verabsolutieren, nicht jede (Hochzeits-) Feier ist heutzutage so, aber es sind deutliche Tendenzen zu erkennen.

      Ich vermute, dass die meisten solcher Feiern längst ohne Band stattfinden. Die investieren das teure Geld lieber in Brautschuhe, Tischgedecke oder eine Limousine. Selbst DJs geraten ja durch anwenderfreundliche Playlists der Streamingdienste zusehends unter Rechtfertigungsdruck.

      Ich will übrigens nicht klagen oder mich beschweren. Nach einem wie oben beschriebenen Abend denke ich immer nur: Wir hätten euch so viel mehr für euer Geld bieten können, wenn ihr uns gelassen und mitgemacht hättet.

  2. Ja, ja kenn ich auch. Schön ist, wenn jemand der Gäste auf dich zukommt und dich bittet doch ein bisschen leiser zu spielen.
    Oder wenn dich das Küchenpersonal in der deiner Pause darum bittet ein paar Messer für den Hauptgang aufzupolieren, weil „du ja grad Zeit hast“. Letztens hab ich Einen getroffen, auf dessen Hochzeit wir vor „hundert Jahren“ gespielt haben. Erst hab ich ihn nicht erkannt, dann, auf meine Nachfrage wie es denn so liefe, meinte er nur, „ach wir sind schon wieder lange geschieden.“ Na dann……Ist schon außergewöhnlich inspirierend so ein Hintergrundabend.

    • Mein Bruder hat vor 25 Jahren in Las Vegas geheiratet. War eine Sache von 20 Minuten.
      Seine Frau war voll dafür, war wahrscheinlich ihre Idee.

      Heutzutage macht man aus allem einEVENT.
      Das Ganze muß mächtig daherkommen, irgenwie etwas super Besonderes werden.

      Dabei weiß es doch jedes Kind: Wir sind ALLE sterblich, haben unsere Fehler, haben unsere deftigen Mitbringsel (aus der Kindheit), greifen fehl, sind menschlich.

      Ein Freund von mir hat auf seiner Hochzeit gesagt: „Ich werde mir Mühe geben“.
      Ehrliche Haut!

      • @Gerhard: Hast du Erfahrungen mit musikalischer Umrahmung durch eine Live-Band bei gesellschaftlichen Anlässen gemacht? Fällt dir da auch eine Veränderung der Rahmenbedingungen auf?

        • Ich kann mich an nur zwei Fälle erinnern in den letzten 6 Jahren.
          Erst letzten Spätsommer eine gute Sache erlebt – das fand draussen statt. Es wurde kräftig getanzt und man unterhielt sich mit den Musikern.
          Das extra Programm zuvor drinnen für das Hochzeitspaar verfolgte ich nicht.
          Im Großen und Ganzen war das eine richtig lockere Sache.

  3. Ha, unsere Hochzeit mit den Musikstudenten liegt auch bald 14 Jahre zurück und war zum Glück eine der Kategorie „Früher“. Die Band hatte sogar heimlich „Can’t Take My Eyes Off You“ einstudiert, damit ich meiner Braut was vortragen konnte.
    Und das Beste: es gibt keinen Film, nur wacklige vordigitale Fotos und haufenweise wunderbare Erinnerungen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert