Buch: „Gebrauchsanweisung für das Leben“ von Andreas Altmann

Andreas Altmann, der deutsche Reisejournalist und Buchautor, widmet sich im vorangeschrittenem Alter philosophischen Betrachtungen über Liebe und Leben. Ging es bei „Frauen. Geschichten.“ (2015) um sein persönliches Verhältnis zum anderen Geschlecht, so greift er bei der aktuellen Veröffentlichung noch etwas höher. „Gebrauchsanweisung für das Leben“ (2017) heißt das Buch aus der etablierten Piper-Reihe für die Altmann vor ein paar Jahren schon mal die „Gebrauchsanweisung für die Welt“ (2012) beigesteuert hatte.
Dass es eine verbindliche Gebrauchsanleitung für ein individuelles Menschenleben nicht geben kann, weiß Altmann natürlich selbst und macht das im Vorwort auch gleich unmissverständlich klar. Altmann schreibt jeweils ein Kapitel zu den Stichworten Kindheit, Paris, Gier, Abenteuer, Andere, Angst, Eros, Religion, Schmerz, Heimat, Frauen, Einsamkeit, Arbeit, Sprache, Tod, Liebe, Mut. Dazwischen platziert er unter der Überschrift „Ein Moment im Leben“ kleine Begebenheiten mit großer Bedeutung. Zusammengenommen ein einleuchtendes und vielversprechendes Konzept, so weit so gut. Doch dann folgt das unvermeidliche, also genau das, was man als Altmann-Leser hätte erwarten können, denn der Autor fällt in seine altbekannten Muster zurück. Beim Thema Kindheit geht es um Altmanns Kindheit, bei Paris um sein Verhältnis zur französischen Hauptstadt, bei Angst um seine Angst, bei Eros um seine Sexualität, bei Religion um sein Verhältnis zu Glaube (insbesondere Christentum), bei Frauen um seine Sicht auf’s andere Geschlecht (s.a.: „Frauen. Geschichten“), bei Arbeit um seine Arbeit als Reisender und berichtender Schreiber etc. pp.
Altmann hat viel erlebt und erfahren, ist ein guter Beobachter, ein eloquenter Erzähler und poetischer Schriftsteller. Seine Erlebnisse und Geschichten sind interessant und spannend und intelligent und außergewöhnlich und berührend und inspirierend. Aber: Sie handeln immer nur von Altmann selbst und seiner persönlichen Wahrnehmung des eigenen Lebens. Seine Schriften geraten so zunehmend zur nicht mehr enden wollenden Auswahlautobiographie, die in repetitiven Spiralen um sich selbst kreist.

Leser, die mit seiner Sicht auf die Welt bereits vertraut sind, springen seine immer wiederkehrenden Dauerthemen förmlich ins Gesicht: Seine bedrückende Kindheit im erzkatholischen Altötting als Sohn eines etablierten Devotialienhändlers, die spießige, unerträgliche geistige Enge des Elternhauses, die häuslichen Misshandlungen, sein Aversion gegen jede Art des religiösen Glaubens, seine allgemeine Ruhe- und Rastlosigkeit, seine Unfähigkeit sich zu binden, seine bewusst propagierte Kinder- und Familienlosigkeit und es geht immer so weiter. Ja, ja und nochmals ja, das ist in Anbetracht seiner Biographie alles nachvollziehbar und zum Teil sogar plausibel, aber es wirkt wie eine maßlose öffentliche Gesprächstherapie, manchmal (und das dürfte ihm selbst missfallen) wie eine massive Form der ideologischen Missionierung (dürften doch die Lebensentwürfe der meisten seiner Leser etwas anders angelegt sein). Man hat das alles in seinen zurückliegenden Veröffentlichungen bereits mehrfach und in allen möglichen Varianten erklärt bekommen und langsam reicht es. Die treuen Leser sollten es mittlerweile kapiert haben. Die klassische Altmann-Masche wird hier zunehmend vom Markenkern zum Problem. Er schreibt nicht über „das Leben“, sondern wie gewohnt über sein Leben. Das kann er wirklich gut (jahrelange Übung), aber diese Geschichten ist auserzählt, da kommt wenig unerhörtes dazu. Der Mann braucht dringend neuen Stoff, bereits mit seinen letzten beiden Büchern kratzt er inhaltlich an der Schwelle des Altersstarrsinns („Hab’ ich euch eigentlich schon davon erzählt, als ich mal…“). Es sind keine neuartigen Perspektiven oder Erkenntnisse mehr dabei. Da hilft wohl auch eine weitere Reise oder erotische Begegnung nicht mehr weiter.

Wo bei gewöhnlichen Menschen im Laufe eines Lebens Freunde, Familie, Kinder und Enkel neue Entwicklungen, geistige Wandlungsfähigkeit und alternative Handlungsweisen förmlich erzwingen, herrscht bei Altmann rückwärtsgewandter Stillstand, getarnt freilich durch hyperaktiven Aktionismus (Reisen, Schreiben, Buch, Lesungen) in immer wiederkehrenden Erfahrungen derselben Art in nur minimal voneinander abweichenden Varianten.

Schwer zu sagen, ob er aus dieser Falle nochmal rauskommt oder ob er einfach für immer so weitermacht und demnächst die x-te, weitere Ausgabe seiner autobiographischen (Selbst-) Betrachtungen vorlegt. Vielleicht sollte er mal was neues versuchen, bei einer Frau bleiben, ein Kind zeugen, einen Baum pflanzen, das literarische Genre wechseln oder einfach mal eines seiner eisenharten Prinzipien über den Haufen schmeißen. Als interessierter Leser, der seine Werke seit Jahren verfolgt, wünscht man ihm etwas mehr Ruhe und Gelassenheit, etwas mehr Entspannung, altbayerische Wurschtigkeit und inneren Frieden.

Es kann nämlich auch schön sein mit vertrauten Menschen an einem liebgewonnenen Ort zu leben und nicht jeden Tag auf- und anregende Dinge an ständig wechselnden Orten erleben zu müssen. Die meisten Menschen haben durchaus ehrenwerte Ideale, aber ihr Alltag ist bestimmt von halbgaren Kompromissen und ständigen Provisorien aus welchen Gründen auch immer. Damit klarzukommen, mit seiner eigenen Unvollständigkeit, das ist das wahre Heldentum. Man bindet sich, übernimmt langfristige Verantwortung, erledigt undankbare Aufgaben, fügt sich bis zu einem gewissen Grad den Bedingungen und Erfordernissen des eigenen Schicksals, muss einen Teile seiner Selbstbestimmung aufgeben und manches nehmen wie’s eben kommt. Das muss nicht immer gleich bedeuten, dass die Betroffenen unerfüllt und unglücklich sind. Nein, lieber Herr Altmann, mir fehlen bei ihren Ausführungen die Themen Lebenspartner, Kinder, Enkel, Alltag, Leidenschaft, Durchhaltevermögen, Irrwege, Zufall, Fügung, Zufriedenheit, Gegenwart, Zukunft und noch so einiges mehr.

Fazit: „Gebrauchsanweisung für das Leben“ ist eine „Gebrauchsweisung für mein Leben“ aus Sicht des dauerhaften Komplettaussteigers Andreas Altmann. Anders, alternativ, antibürgerlich und gegen jede Konvention erzählt er frei assoziierend von Erlebnissen aus seinem Leben. Altmann ist aufrichtig und ehrlich, immer wieder stehen ihm aber auch Egozentrik und Eigenliebe im Weg. Schreiben kann er, aber ihm geht auf seine alten Tage der Stoff aus. Ein weiteres Buch auf Grundlage seiner Biographie kann er sich sparen, es ist alles erzählt, was man als Leser wissen und nicht wissen will. Hoffentlich schafft er es für zukünftige Projekte neue Themen zu entdecken. Das wäre dann mal willkommene und erfreuliche Abwechslung für die Leser, die ihn nach wie vor schätzen.

Das Buch hat 232 Seiten, erscheint bei Piper und kostet 15€.

2 Gedanken zu „Buch: „Gebrauchsanweisung für das Leben“ von Andreas Altmann

  1. Klasse – eine liebevoll-gründliche, unterhaltsame, anschauliche Rezension des Buches! Ja, so langsam kennt man die Themen von Andreas Altmann … „Heldentum“ umfasst in der Tat doch noch ein wenig mehr! 😉

    • @CJB: Danke für den Kommentar und willkommen auf diesem Blog. Hier wurden noch mehr Bücher von A. Altmann von mir rezensiert, findet man über die Suchfunktion.
      Eigentlich lese ich seine Texte ja ganz gerne, ich hoffe er kriegt auf seine alten Tage nochmal die Kurve, das würde mich freuen. Mal sehen, was als nächstes kommt.

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