“I write songs and I sing like a bird,
I play licks on my guitar like you ain’t never heard,
But I’m down on my luck, things are just a little slack,
I got a quarter in my pocket and a shirt on my back,
But you buy me some supper, give me a place I can sleep,
And I’ll sing you some songs, that’ll knock your hat in the creek.”
[“Tupelo, Mississippi Flash”]
Jerry Reed war ein US-amerikanischer Sänger, Songschreiber, Schauspieler, allem voran aber ein Ausnahme-Fingerpicker, der vollkommen neue Maßstäbe setzte. Geboren 1937 in Atlanta, Georgia, verbrachte er die ersten Jahre seiner Kindheit getrennt von seinen Eltern in Pflegefamilien und Kinderheimen. Das Gitarrenspielen brachte er sich auf einer billigen spanischen (klassischen) Gitarre selbst bei. Nach der Highschool machte er mit 18 Jahren seine erste Aufnahme, viele weitere obskure Singles bei kleinen Firmen sollten folgen. Erst 1967, (Reed war da schon 30 Jahre alt) wurde sein legendäres Debutalbum “The Unbelievable Guitar and Voice of Jerry Reed“ (RCA Victor) veröffentlicht und setzte ihn ein für allemal auf die musikhistorische Landkarte. Das Album enthielt die späteren Klassiker „Guitar Man“, „US Male“ und das virtuose Meisterwerk „The Claw“. Innerhalb weniger Monate folgten weitere Alben wie „Nashville Underground“ (1968) mit Tracks wie „A Thing called Love“ und „Tupelo Mississippi Flash“, im selben Jahr „Alabama Wild Man“ (1968) mit den herausragenden Titelsong, „Love Prints“ oder seiner phänomenalen Interpretation des alten Traditionals „House of the Rising Sun“. Viele weitere Alben mit vielen Hits sollten folgen.
„A little four-piece band was jammin‘, so I took my guitar and I sat in, I showed ‘em
what a band would sound like with a swingin’ little guitar man, show ’em son.“
[„Guitar Man“]
Reeds Gitarrenspielstil schloss an an bestehende Traditionen, setzte sich aber auch radikal von ihnen ab. Sofort erkannt und anerkannt wurde das von dem Übergitarristen und Musikproduzenten Chet Atkins, der Reed protegierte, förderte, animierte und produzierte. Künstlerischen Ausdruck fand die Zusammenarbeit und enge Freundschaft in den beiden Instrumentalalben „Me and Jerry“ (1970) und „Me and Chet“ (1972). Reed spielte von Anfang an und hauptsächlich klassische nylonbesaitete Gitarren, verwendete kein Plektrum, sondern zupfte (pickte!) mit Fingern und mit einem Daumenpick aus Plastik. In sein selbstentwickeltes, originäres Spiel integrierte er amerikanisches Fingerpicking, Bluesphrasen, rock & rollige Doublestopps, klassische Arpeggien, Banjorolls, Stringcrossing, Funklines, er verwendete Folk- und Bluesakkordfolgen, erweiterte Jazzharmonik und barocke Zweistimmigkeit (!). Dass es ihm gelang diese unfassbare Vielseitigkeit selbst zu entwickeln und unter der Überschrift Countrymusik als gut gelaunte Unterhaltungsmusik zu präsentieren, darf rückblickend wohl als musikhistorisches Wunder und als gütige Fügung des Schicksals angesehen werden. Hilfreich waren dabei Reeds bodenständigen, zeitgemäßen und oft sehr witzigen Songtexte und seine kumpelhafte, nahbare Präsentation seiner Musik in Fernsehshows und bei Konzerten. Dabei rückten seine unbestrittenen gitarristischen Qualitäten oft genug in den Hintergrund, vielleicht auch deswegen, weil er selbst sich darauf nicht allzu viel einbildete. Zu seinen herausragenden Instrumentalkompositionen musste er zu Beginn seiner Karriere von seinem Mentor Chet Atkins angeblich geradezu gedrängt werden.
https://www.youtube.com/watch?v=HQaEmRB9p4c
Nach Noten oder Tabs seiner Musik suchte man in der Vor-Internetzeit nahezu vergeblich. Selten gab es mal eine Transkription in einem Gitarrenmagazin, von Buster B. Jones erschienen in den 1990ern Instruktionsvideos auf VHS, später DVD, die musste man allerdings erstmal finden und dann in den USA bestellen. „The Guitar Style of Jerry Reed“ (1994) von Craig Dobbins mit einem Interview und vielen Insiderinformationen (alternative Stimmungen) erschien erstmals beim großen Verlag Hal Leonard. Craig Dobbins bietet auf seiner Webseite (craigdobbins.com/index2.html) die Zusammenstellungen „Reedology: The First 10 Albums mit Auszügen aus den ersten zehn Studioalben an, außerdem hat er mit „The Jerry Reed Collection“ einige Tracks vom Album „Pickin‘“ im Angebot. Bei Youtube machte ab 2009 Phil Hunt (muzikman74) mit etlichen originalgetreuen Re-Works auf sich aufmerksam und präsentierte dazu auch einige kostenlose Erklärvideos. 2017 folgte als vorerst neueste Buchveröffentlichung „Jerry Reed. A step-by-step Breakdown of his Guitar Styles & Techniques“ von Dave Rubin. Letzte Quelle sind die hochwertigen Kompletttranskriptionen der französischen Transkripteure Francois Leduc (francoisleduconlinelibrary.com) oder Valentin Voyen (transcriptionslibrary.com), die man zum Teil auf Youtube mit unterlegter Originalaufnahme findet und/oder als PDF kostenpflichtig bestellen kann.
Sinnvoll ist bei Transkriptionen von Reeds Musik eine Kombination aus Notenschrift und Tabulatur, weil man seine Spieltechnik nicht gut entzifferbar allein in Noten darstellen kann. Griffpositionen und Fingersätze sind hier alles entscheidend für Spielbarkeit, Sound, Effekt und Groove. Er verwendet u.a. alternative, sehr individuelle Stimmungen, Leersaiten in hohen Lagen, Stringcrossing und zusätzlich etliche Tricks und Kniffe, für die es teilweise noch gar keine Namen gibt (z.B. das kontinuierlich nach oben schieben des Kapodasters in den Zwischenteilen von „Tupelo Mississippi Flash“).
„Well, I worked all them joints from the east to the west,
Never making no money and a starving to death,
A living on coffee and cold sardines,
Soda crackers and pork n beans.
But I finally went to Music City USA,
Said I’m the Alabama Wild Man and I’m here to stay,
Took my guitar and showed ‚em what I’m talking about,
So we made a little record and we put it out.“
[“Alabama Wild Man”]
Es ist sehr lohnenswert Reeds Stücke zu erlernen, nachzuvollziehen wie er beim Arrangement vorgeht, wie musikverliebt, virtuos, variantenreich, geschmackvoll, humorvoll und kreativ er sein Spiel gestaltet ohne jemals in Effekthascherei zu abzugleiten. Ein bescheidener Meister und wahrer Erneuerer seines Fachs. Interessant auch, dass er ein Zurechtleger war, ein Komponist, kein Improvisateur, auch wenn es bei Mitschnitten manchmal so wirkt, weil er ein entfesselter Performer und Entertainer war, sein Spiel ist indes immer vorbereitet und kontrolliert, so gut wie nie weicht er von einmal festgelegten Passagen ab. Ähnlich übrigens wie bei seinen Songtexten und Ansagen, sie wirken immer leicht und beschwingt, wie gerade aus dem Ärmel geschüttelt, mit Pausen und eigenen Lachern, sind aber dramaturgisch und bzgl. Pointen messerscharf auf den Punkt gebracht.
“Well, now I’m driving, the Cadillac’s a city block long,
The Alabama Wild Man could do no wrong,
‚Cause I’m selling them records,
And I’m working them shows,
And people love me everywhere I go.”
[„Alabama Wild Man”]
Jerry Reed war ein US-amerikanischer Ausnahmekünstler mit vielen herausragenden Talenten. Schön, dass wir heute viele seiner Gitarrenspielinnovationen nachvollziehen und nachspielen können. Lasst uns sein musikalisches Erbe hegen und pflegen, spielen und in Ehre halten! Er war einer von den ganz, ganz großen Meistern seines Fachs und verdient es der Nachwelt in jeglich erdenklicher Form erhalten zu bleiben.
“I got talent boy, see back home they call me the Tupelo, Mississippi Flash.”
[“Tupelo, Mississippi Flash”]