Das Buch „Wie überlebe ich als Künstler?“ von Ina Ross ist im September 2013 im transcript-Verlag erschienen und trägt den Untertitel „Eine Werkzeugkiste für alle, die sich selbst vermarkten wollen“ (ISBN 978-3-8376-2304-8, 19,80 €). Die Autorin ist studierte Kulturwissenschaftlerin, arbeitete u. a. als Managerin der Bauhaus-Akademie und ist aktuell künstlerische Mitarbeiterin an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin, Schwerpunkt: Projektmanagement und Marketing für Künstler.
Im ersten Kapitel wird in aller Kürze ein Setting inszeniert: Frisch gebackene Absolventen der Schauspielschule fragen die Dozentin um Rat bzgl. der Vorgehensweise zur eigenen Vermarktung. Dies rechtfertigt im weiterem Verlauf den kumpelhaften, teilweise etwas distanzlosen Tonfall des Textes (Leser wird mit „Ihr/Euch“ angeredet, viele persönliche Meinungen, Anekdoten, Interviewpartner sind offensichtlich Freunde oder wenigstens Kollegen).
Der Text ist insgesamt übersichtlich strukturiert, wird durch Illustrationen, comicartige Zeichnungen und viele Sprechblasen aufgelockert und hat knapp 190 Seiten Umfang (kein Anhang oder Stichwortverzeichnis). In den Hauptkapiteln geht die Autorin drei Fragen nach: Wie mache ich mich bekannt? Wie finanziere ich mich? Wie organisiere ich mich?
Im ersten Teil („Wie mache ich mich bekannt?“) geht es um die richtige Formulierung und Verteilung von Presseankündigungen, Social Media als Marketing-Tool und das budgetfreundliche „Guerilla-Marketing“. Insgesamt interessant zu lesen, allerdings bestätigen nahezu alle Interviewpartner diverser, prominenter Presseorgane, dass sie auf Presseankündigungen per Mail nicht reagieren oder diese erst gar nicht bei ihnen ankommen. Auch die Guerilla-Marketing-Empfehlung (Werbesprühen auf Gehwegen) funktioniert anscheinend nur in Berlin, in den meisten anderen Städten wird die Aktion als Ordnungswidrigkeit gewertet und es könnte ein saftiges Bußgeld für den Künstler folgen.
Der zweite Teil („Wie finanziere ich mich?“) behandelt das Thema Finanzierung von (Kunst-) Projekten. Die Autorin empfiehlt die drei Bereiche Mäzene, Sponsoren und den Staat (Kulturförderung von Kommune, Land, Bund). Auch hier greifen die Vorschläge nur teilweise. Insbesondere Stiftungen und Sponsoren sind auf der Suche nach arrivierten/etablierten und/oder hochbegabten Künstlern, die möglichst international tätig sein sollten und deren Werke hohe gesellschaftliche Relevanz haben. Für die meisten jungen Indie-Künstler dürften diese Anforderungen bereits das Ende sein. Bleibt noch (Kultur-) Förderung der Stadt oder des Bezirks, aber auch hier geht es um Relevanz für die Region, genaue Kostenaufstellung und Beantragung lange Zeit vor dem Projekt, auch hier wird vorzugsweise mit arrivierten Organisatoren, Vereinen, Institutionen verhandelt, das bestätigen wiederum die verschiedenen Interviewpartner der Autorin. Wenig hilfreich also für junge Berufseinsteiger, höchstens in dem Sinne, dass sie hier erfahren, was sie sich gleich sparen können. Die Variante, seine Projekte selbst zu finanzieren, spricht die Autorin übrigens nicht an, alle drei Modelle gehen davon aus, dass fremdfinanziert wird. Warum das naheliegende Modell „Ich verdiene Geld mit meiner Kunst und investiere in mich selbst“ nicht angesprochen wird, verwundert, wäre es doch die einfachste Grundlage für das tagtägliche Überleben eines Künstlers.
Der dritte Teil („Wie organisiere ich mich?“) ist der kürzeste des Textes (24 Seiten inkl. Diagrammen). Hier rät die Autorin dazu, mit der Erledigung der Arbeit früh anzufangen und kontinuierlich dranzubleiben, außerdem werden die Prinzipien „Checkliste“ und „Balkendiagramm“ erläutert. Ina Ross schließt mit den weisen Worten: „Marketing schafft keine Kunst und keine Künstler, aber es macht sie sichtbar.“
Das Buch wird seinem ambitionierten Titel bzw. dem Thema „Selbstvermarktung eines Künstlers“ nur teilweise gerecht, die eigentliche Tätigkeit des „Künstlers“ und das „Überleben“ (in allen seinen Facetten) ist dafür zu wenig konkret gefasst. In den Beispielen geht es in erster Linie um Projekte aus dem Bereich Bildende Kunst, Schauspielaufführung, Filmproduktion. Gerade nicht projektgebundene oder weniger budgetintensive Genres wie Musik, Literatur, Video, Kleinkunst etc. fallen fast komplett unter den Tisch. Die Stärke des Buches liegt in den Informationen bzgl. des Marketings eines Kunst-Projektes, was die Autorin auch reichlich mit selbstgewonnenen und glaubhaften Erkenntnissen belegt. Hier profitiert der Text am Deutlichsten von ihrer Ausbildung und beruflichen Erfahrung. Somit ist der Titel des Buches zwar vielversprechend, aber leider nicht besonders zutreffend. Besser wäre gewesen: „Selbstvermarktung eines Kunst-Projektes“. Das klingt nicht ganz so aufregend, wäre aber präziser gewesen.
Tipp für Musiker zum Schluss: Ein sehr umfassendes und empfehlenswertes Buch zum Thema Selbstvermarktung speziell für Musikschaffende ist „Selbstmanagement im Musikbetrieb“ von Petra Schneidwind und Martin Tröndle (Hg.), erschienen in zweiter, komplett überarbeiteter Auflage im selben Verlag (transcript, 2012). Unter den Überschriften „Konzert und Publikum“, „Musikmanagement“, „Agenturen und Labels“, „Zur Ausbildungssituation an Hochschulen“ und „Recht“ informieren hier verschiedene Autoren auf knapp 400 Seiten.
Video-Interview mit der Autorin Ina Ross:
Fürwahr ein gewagtes Buch.
So ganz gegen den Strich der Erfahrung gebürstet.
In welcher Sparte der Kunst kann man „wohlverdient“ davon leben? Kennst Du eine?
Manchmal in der Musik, ok. Ich kenne aber manche Sparten, da wird mit etwa 2 Euro Stundenlohn gerechnet. Natürlich gibt es immer wieder arrivierte Künstler…aber auch die rechnen gewöhnlich in bescheidenen Dimensionen.
Das ganze Thema tut mir zu sehr weh. Nicht daß ich selbst betroffen bin, aber „was ist letztlich Kunst der Gesellschaft wert“?
@Gerhard: Ganz so düster wie du sehe ich die Sache nicht. Und den Titel des Buches („überleben“) halte ich für viel zu sehr dramatisiert. Die Frage ist, wen man als „Künstler“ und was man als „Kunst“ definiert. Gerade in Deutschland ist „Kunst“ oft das Gegenteil von „Kommerz“ und somit per Definition nicht profitabel. Das sehe ich nicht so.
Ich bin der Meinung, dass sich „Künstler“ wenigstens in Teilbereichen ihrer Tätigkeit durchaus am Markt orientieren dürfen. Mit dem verdienten Geld können sie dann nicht nur ihr „Überleben“ sichern, sondern auch unprofitable Teilbereiche der eigenen Arbeit querfinanzieren.
Den Rat von Ina Ross, Gelder ausschließlich bei Stiftungen, Sponsoren und Förderern etc. einzusammeln halte ich gerade für „Künstler“, die mittelfristig Wert auf künstlerische Unabhängigkeit legen, zumindest für zweischneidig und diskutabel. Ein eigenständiger Independent-Artist wird man so jedenfalls nicht.