Buchtipp: „Künstler. Ein Report“ von Wolfgang Schneider (Hg.)

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„Künstler. Ein Report.“ von Wolfgang Schneider (Hg.) ist im Februar 2013 im transcript-Verlag erschienen und trägt den Untertitel „Portraits und Gespräche zur Kulturpolitik“ (ISBN 978-3-8376-2287-4, 24,80 €). Der Herausgeber ist promovierter Kulturwissenschaftler und seit 1998 u.a. Direktor des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim mit dem Schwerpunkt Kulturpolitik, Kulturförderung, Kulturelle Bildung.

Das Buch besteht aus 24 Porträts und Gesprächen ebenso vieler Autoren über 26 hauptberufliche, in Deutschland tätige Kunstschaffende aus den Bereichen Film und Fernsehen (7), Literatur (6), Darstellende Künste (6), Bildende Kunst (3) und Musik (2).
In zwei vorangestellten Texten leitet Wolfgang Schneider kulturwissenschaftlich in das Thema „Künstler sein“ ein und verweist auch auf EU-rechtliche Aspekte. Er setzt sich ein für eine „Kulturpolitik im Interesse von Künstlern“, die er in folgenden Forderungen zusammenfasst:

1. Kulturelle: Vielfalt schützen!
2. Kunst ist Kulturelle Bildung!
3. Kultur braucht Förderung!
4. Wider die Bürokratie der Künstlerförderung!
5. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat einen Kulturauftrag!
6. Die KSK und BfA sind reformbedürftig!
7. Grundsicherung der Kultur. Grundeinkommen der Künstler!
(Wolfgang Schneider)

Der Text ist insgesamt übersichtlich strukturiert, hat knapp 300 Seiten (kurzer Anhang, wenig Fußnoten, kein Stichwortverzeichnis). Es gibt ungefähr genau so viele Gespräche (Dialoge) wie Portraits, zahlenmäßig halten sie sich in etwa die Waage. Jedem Text ist eine Kurzbiografie des jeweiligen Künstlers vorgeblendet.

Die vorgestellten Künstler sind allesamt Profis, die ihr Handwerk zum größten Teil in einem entsprechenden Studium erlernt haben. Sie sind teilweise mehrere Jahrzehnte freiberuflich tätig und verdienen damit auch weitestgehend ihren Lebensunterhalt. Obwohl sie vermutlich in ihrer jeweiligen Szene bekannt sein mögen, gehören sie sicherlich nicht zur nationalen Prominenz. Es sind eben genau jene eher unspektakulären, aber unverzichtbaren, ein Leben lang idealistisch und unverdrossen vor sich hinwerkelnden Kulturschaffenden, die von den Medien gerne mal übersehen werden und nur selten gesellschaftliche Würdigung erfahren. Es sind diejenige, die regionale oder lokale Kultur befördern, kulturelles Wissen vermitteln und, nicht zuletzt, Menschen auch außerhalb des institutionalisierten Kulturbetriebs für ästhetische Erfahrungen sensibilisieren oder ihnen schlicht Freude bereiten.

Die Texte sind im Ton einfühlsam und in der Sache konkret. Regelmäßig angesprochen werden die Themen Ausbildung, individuelle Tages- und Arbeitsstruktur, Projektplanung und -finanzierung, Arbeitsbedingungen, regionale und nationale Kulturförderung, öffentliche Förderung/Preise/Unterstützung, öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Fernsehen, Verdienst/Auskommen, Künstlersozialkasse, Familienplanung, Altersabsicherung etc. Die Portraitierten werden dabei durchgehend zu einer persönlichen Stellungnahme ermutigt, so dass allgemeines Lamentieren weitgehend entfällt. Und die vorgestellten Künstler sind wirklich entwaffnend offen und ehrlich. Es ist schmerzhaft, einmal so unverblümt zu erfahren, unter welch oftmals prekären Umständen in Deutschland heutzutage spartenübergreifend Kultur entsteht. Obwohl mit vollem Einsatz dabei, klagen die Künstler, werde ihnen gerade von öffentlicher Seite das Leben oft schwer gemacht. Insbesondere von städtischen Kulturämtern, -büros und –referenten, deren Aufgabe es eigentlich sei genau diese Aktivitäten zu beobachten, sie zu hegen und zu pflegen, ihnen Raum zu geben, Infrastruktur zu schaffen, sie also zu fördern oder wenigsten nicht zu behindern. Meist finde jedoch von Seiten der Verantwortlichen nicht einmal ein ernst zu nehmender Austausch statt. Ein reales Aufeinandertreffen lokaler Kunstschaffender und einem Vertreter städtischer Kulturpolitik hat Bloggerkollege Stefan Hetzel in einem unterhaltsamen Dramolett dokumentiert.

Ich muss hier anmerken: Ich arbeite selbst seit mehr als 20 Jahren als freier, selbständiger Musiker in der erweiterten Region und bestreite damit den Unterhalt einer großen Familie. Darüber hinaus engagiere ich mich auch ehrenamtlich und unbezahlt als Unterstützer der regionalen Kultur, so z.B. als Initiator und Moderator einer langjährigen Gesprächsreihe. Durch die obenstehenden Aussagen von Künstlern verschiedenster Altersgruppen und Sparten und aus den unterschiedlichsten Regionen sehe ich mich in vielen meiner eigenen Kritikpunkte an der lokalen, regionalen und nationalen Kultur- und Förderpolitik bestätigt. Bis jetzt hatte ich allerdings oftmals den Eindruck mit dieser Meinung ziemlich alleine dazustehen. Allein dafür, nun zu wissen, dass dem ganz offensichtlich nicht so ist, bin ich diesem Buch, seinem Herausgeber sowie dem Verlag nachhaltig dankbar.

Kritisch sehe ich allerdings die Forderung nach einem Grundeinkommen für Künstler, über dessen praktische Umsetzung man im Buch leider kaum etwas erfährt. An der Frage, wer darüber entscheiden darf, wer denn nun eigentlich „KünstlerIn“ ist und wer nicht, dürfte dieses ganze Vorhaben aller Wahrscheinlichkeit nach schon im Ansatz scheitern. Auch bei der Gewichtung der Kulturförderung besteht aus meiner Sicht großer Diskussionsbedarf. Obwohl vollkommen einig mit Schneiders Forderung nach einer „Kulturpolitik im Interesse von Künstlern“ und eben nicht, wie heute größtenteils Usus, von Institutionen, Vereinen, Beiräten, Politikern, Gremien, Kulturvermarktern und -sponsoren fehlen konkrete Vorschlägen, wie dieses Vorhaben denn nun umgesetzt werden soll. In der Praxis kollidieren in meinem Umfeld regelmäßig stark geförderte Kulturvermarktungsprojekte mit von Eigeninitiative getragenen, aber evtl. sperrigen Aktionen Einzelner oder (noch) „nicht Etablierter“.

So werden in meiner Heimatstadt vom Kulturamt der Stadt, des Bezirks und diversen Sponsoren seit vielen Jahren Festivals gefördert bei denen Musiker aus der Region allenfalls umsonst spielen dürfen. Zwar wird hier trotz freiem Eintritt über den Getränke- und Speisenverkauf kräftig Umsatz gemacht, doch sind die auftretenden Musiker – also die „eigentlichen“ Akteure der Veranstaltung – an diesem in keinster Weise beteiligt. Die Förderung geht komplett an die Organisatoren und Techniker, für die Künstler bleibt buchstäblich nichts – außer Arbeit. Für regional bereits etablierte Bands und Musiker, die normalerweise für Gage spielen (!), ist eine derartige Förderung von „Umsonstkultur“ natürlich langfristig kontraproduktiv.

„Künstler. Ein Report“ sei allen empfohlen, die auch nur ansatzweise daran interessiert sind, zu erfahren, unter welchen Bedingungen heutzutage Musik, Bildende Kunst, Literatur, Theater- und Filmarbeit auf lokaler, regionaler, zum Teil auch auf nationaler Ebene wirklich entsteht. Vor allem den Mitarbeitern von Kulturämtern und -büros sowie den Mitgliedern von Fördergremien und Preisjurys und auch Sponsoren, Förderern und Gönnern regionaler Kultur sei die Lektüre nachdrücklich ans Herz gelegt.

Korrektur: Der Hildesheimer Mundharmonikaspieler und Bluesmusiker Michael Arlt wird im Anhang mit dem namensgleichen Würzburger Jazzgitarristen verwechselt.

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