von Jochen Kleinhenz
Als Dennis mich wegen der Gestaltung seiner neuen CD kontaktierte, hatte er diesmal vor allem Vorstellungen davon, was er nicht wollte – wir hatten in der Vergangenheit schon mehrfach mit stark von Fotografien geprägter Ästhetik gearbeitet (Sideburner, Shine like Gold). Er wollte lieber Illustrationen, aber nicht individuell angefertigt wie die tollen Cover, die Markus Westendorf für ihn gezeichnet hat – eher in der Art wie die »Sears & Roebuck«-Kataloge: Versandkataloge aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, in denen Produkte noch nicht mit Fotos, sondern mit Strichzeichnungen beworben wurden. Mein Faible für die Optik (und Verwendung) dieser Zeichnungen konnte ich in den vergangenen 15 Jahren schon öfters ausleben, aber immer nur in Kontexten, in denen Understatement und/oder Ironie zu finden waren. Natürlich geht es auch in dieser Gestaltung um Understatement, um Ironie – glücklicherweise auch in einigen der Texte, so dass das Design nicht willkürlich wirkt. Und natürlich orientierte ich mich vor allem an einem »Sears & Roebuck«-Katalog (1897, als Reprint erhältlich) – wobei mir der deutsche »Hauptkatalog 1912 von August Stukenbrok« viel besser gefällt, aber in typografischer Hinsicht nicht kompatibel ist mit Dennis‘ musikalischer Ausrichtung nach Nordamerika. Und natürlich musste ich auf frei zugängliches Bildmaterial setzen, das es zuhauf gibt, in Papierform klassisch zum Kopieren/Ausschneiden, aber auch digital (Pepin Press etwa, thematisch gegliederte Bücher inkl. CD mit den Bilddateien).
Dennoch half das Studium von »Sears & Roebuck«, um ein Gefühl für den Seitenaufbau und die Typografie zu entwickeln. Und wenn es nach mir gegangen wäre, wäre das Album nicht in einem Jewelcase erschienen, sondern die CD in ein mindestens A5-großes Büchlein eingelegt – nicht, um den gestalterischen Aspekt übermäßig in den Vordergrund zu stellen, sondern weil eine gewisse Seitengröße und Mehrspaltigkeit nötig ist, um den Charme der damaligen Gestaltung adäquat zu zitieren. Dennis hat sich natürlich für die ökonomisch sinnvollere Variante entschieden, aber die 12 Seiten des Booklets wurden zumindest als Wickelfalz angelegt – je 6 Seiten (=12 Spalten, siehe Innenteil) nebeneinander kommen dem epischen Umfang der alten Katalog-Doppelseiten näher, als wenn hier so ein dürres Booklet mit 4 Spalten nebeneinander durchgeblättert würde.
Bei der Schriftwahl entschied ich mich für ein paar Klassiker aus der Zeit, die ich allesamt seit Jahren in meiner Sammlung habe, zwar in der technisch alten Bitstream-Variante aus der Zeit weit vor OpenType, aber immer noch praktikabel für Texte, die weder »@«- noch »€«-Zeichen brauchen:
Die »Franklin Gothic« (1), eine schöne Serifenlose mit ebensovielen Ecken und Kanten wie Rundungen, prägt das Front-Cover – der Verweis auf das kleine »g« (wie in »get« oder »songs«) soll dies exemplarisch belegen. Der eigentliche Hingucker ist jedoch der Titel »Unsung Songs«, gesetzt aus der »Clarendon Bold« (2), einer serifenbetonten Schrift (sog. Egyptienne), die in Adobe Illustrator in Schwingung versetzt und vektorisiert wurde. Und ganz am Rande – »FULL LYRIC SHEET INCLUDED« – taucht hier schon die »Century Old Style« (3) auf, eine Serifenschrift, die als eigentliche Textschrift letztlich das Gros der typografischen Gestaltung trägt. Alle drei Schriften haben ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert, in England resp. Nordamerika.
Zuerst gestaltete ich die Innenseiten mit den Songtexten in der Century Old Style – trotz der Kompromisse, bedingt durch das Seitenformat, kam ich dabei recht zügig voran –, allerdings verzichtete ich auf den ursprünglich gedachten Wechsel mit der Franklin Gothic (was auch typografisch noch näher an den alten Katalog herangekommen wäre). Anfangs gelang es mir auch ganz gut, die Platzierung der Bilder den den entsprechend instrumentierten Songs zuzuordenen – bis Dennis mir dann die finale Reihenfolge durchgab, wodurch sich manches verschob. Was aber nicht wirklich tragisch ist. Untypisch für die Zeit sind natürlich die »/«, erst recht gedoppelt hintereinander. Die gepunkteten Linien bei den Besetzungen und die Haarstriche zwischen den Spalten gleichen das aber hoffentlich wieder aus.
Als nächstes kam das eigentliche Cover dran – in einem größeren Format wäre Platz für die Ranch gewesen, und das ganze Design wäre noch mehr in Richtung Katalog-Titel gewandert. So wirkt es eher wie eine Anzeige, aber stilecht. Und war die Arbeit am Innenteil noch von einer Art Ernsthaftigkeit geprägt, so versuchte ich nun, möglichst zeittypisch das »Wichtig! Wichtig!« der Werbung aus der damaligen Zeit einzufangen – und zu persiflieren: »You will get 10 all new songs…« – der ganze Sermon stammt aus meiner Tastatur, mit minimalen nachträglichen textlichen Anpassungen. Über die Aussage, dass jeder Song von »at least 4 skilled musicians« aufgeführt wird, kann ich heute noch lachen. In das optische Loch, das sich wegen des geschwungenen Titels unter diesem links ergab, packte ich ein »AUDIOPHILE COMPACT DISC RECORDING«, später von Dennis (der voll auf diese Textebene einstieg und den Humor von Anfang an teilte) um »STEREOPHONIC« ergänzt. In das Loch rechts kam die Zeigehand, die später ebenfalls getauscht wurde, plus eine Prise Bedienungsanleitung (»Open here«) und noch ein Versprechen – das bereits erwähnte »FULL LYRIC SHEET INCLUDED«. Der größte Witz dabei: In iTunes wurde das Artwork nicht freigegeben, weil die Files eben keine Compact Disc seien und kein Lyric Sheet dabei wäre … wollen die uns veräppeln?
Dass die Musiker ebenfalls stilecht durch alte Zeichnungen dargestellt werden, rundet das Gesamtbild ab. Und die Ranch kam auch zum Zug, im Innenteil bei den Linernotes und auf der CD selbst. Ein paar belassene Unsauberkeiten in der Typografie (auf die ich nicht explizit hinweisen will, aber ich weiss: Dennis wird jetzt hektisch suchen) und ein paar gewollte generelle Unsauberkeiten (wie das gebräunte, stockige Papier im Hintergrund) sorgen für die richtige Portion Patina – und Semi- bzw. Unprofessionalität (gemessen an heutigen Standards), denn damals gab es kein DTP für alle und Grafiker noch nicht als Beruf, Mengensatz und Gestaltung lagen bei den meisten Druckereien in den Händen derselben Personen, die auch die Druckmaschinen bedienten, die Farben auf die Walzen oder Formen auftrugen, die Kisten mit Papier schleppten und sich ohne Taschentuch schnäuzten. Ich mache das auch, aber nur beim Radfahren, nie bei der Arbeit …
(1) Produced by ATF in 1904, Morris Fuller Benton’s personal version of the heavy sanserifs first made popular by Vincent Figgins in 1830. Franklin Gothic remains popular after over a hundred years of use. Quelle: http://www.myfonts.com/fonts/bitstream/franklin-gothic/
(2) The classical Clarendon form originating in England in 1845 as polished by Edouard Hoffmann and Hermann Eidenbenz at Haas a little over a century later. Haas’ revival of this typeface in 1953 precipitated the revivals that follow. Quelle: http://www.myfonts.com/fonts/bitstream/clarendon/
(3) Century Oldstyle is Linn Boyd Benton’s and Morris Fuller Benton’s renovation of Phemister’s Miller & Richard Old Style for ATF forty-five years later, using the Century name for marketing purposes. Quelle: http://www.myfonts.com/fonts/bitstream/century-old-style/
Man staunt! Soviel Detailüberlegungen, soviel Recherche und Wissen, das einfloß.
Das Design erinnert mich an alte Zigarrenwerbung. Liege ich da falsch?
Die gewollt ungleichmässige Tönung des Hauptcovers wirkt! Fast witzig hätte ich es gefunden, wenn ein oder mehrere Flecken auch noch hineindrappiert worden wären – aber vermutlich geht das zuweit. Dafür muß dann halt der „User“, der das Produkt oft benutzt, sorgen 🙂
Schöner Artikel!
Schade, daß die ganzen mp3-downloader das Layout nicht zu sehen bekommen und somit auch nicht die Arbeit, die dahintersteckt, würdigen können.
Ich persönlich bin immer noch von der Vinyl-Zeit geprägt. Ich will blättern und angucken, einfach etwas in Händen halten. Ein ganzes Album haben und nicht nur einzelne Songs downloaden.
an outstanding job, jochen.
! cOnGrAtS !
dig it loads!