Buch: „Über Leben“ von Reinhold Messner

74a11168c9 Zu seinem 70. Geburtstag hat der Extrembergsteiger Reinhold Messner unter dem Titel „Über Leben“ ein autobiographisch geprägtes Buch veröffentlicht. Bis heute hat der Südtiroler bereits ca. 80 Bücher geschrieben, in denen er vorwiegend von Erfahrungen und Erlebnissen auf seinen ungewöhnlichen Touren auf Berge, über Polareis und durch Wüsten berichtet, darunter viele Erstbesteigungen und –begehungen auf neuen Routen. Diesmal erzählt er in einer Art Rückschau und Selbstreflexion von verschiedenen Stationen seines aufregenden Lebens und berührt dabei viele, sehr persönliche Bereiche.
Das Buch ist analog zu seinen Lebensjahren in 70 kurze Kapitel aufgeteilt, die mit großen Schlagworten einer menschlichen Existenz übertitelt sind. Es beginnt bei Kindheit und Heimat, im weiteren Verlauf werden aber bald ethische fast schon philosophische Themen wie Ungerechtigkeit, Mut Angst, Instinkt, Risiko, Leidenschaft, Glück und Tod betrachtet.

Messners Schreibstil ist angenehm zu lesen, er kann sich gut artikulieren, ist eloquent, stellenweise vielleicht etwas altehrwürdig (oder ist das ein südtiroler Sprachduktus?). Er betrachtet sein Leben, die Menschen und die Welt durchwegs aus seiner eigenen, sehr speziellen Sichtweise. Das ist zumeist interessant und oft ungewöhnlich und anregend. Er beschreibt seine unmittelbare, naturnahe Lebensweise, die sich in Selbstversorgertum, viel Bewegung und Unterwegssein, Neugier, Abenteuerlust, Konfliktbereitschaft, Auseinandersetzung manifestiert und auf individuellen Instinkten und Erfahrungen beruht. Er beschreibt sich als Einzelgänger und Solitär, berichtet von der Klarheit des Augenblicks während seiner Touren, zieht Parallelen zu den Lebenssituationen von Menschen in vorvergangener Zeit, leitet daraus Konsequenzen für den modernen zivilisierten Menschen ab. Messner legt seine Motive dar, schreibt von Freiheit und Verantwortung und vom Nutzen des Nutzlosen.

Allerdings driftet er auch wiederholt in Bereiche ab bei denen eine gewisse Bitternis deutlich zu erkennen ist. Das Trauma seines Lebens ist der Tod seinen jüngeren Bruders Günther bei der Besteigung des Nanga Parbat im Jahr 1970. Die Auseinandersetzung mit der damaligen Expeditionsleitung und den Teamkollegen sind immer wieder Thema, die damals gegen Messner erhobenen Vorwürfe immer noch nicht überwunden, persönliche Anschuldigungen und Verletzungen beschäftigen ihn anscheinend bis heute. Das ist für nachgeborene Leser evtl. etwas ermüdend, weil eigentlich schon beim ersten Mal alles gesagt ist und man die entsprechenden Fakten an anderer Stelle nachlesen kann und nichts Neues dazukommt. Ein anderes Problem scheint die Auseinandersetzung mit den Alpenvereinen zu sein. Messner pflegt den von ihm geprägten sog. Alpinstil (by fair means), sucht die physische und psychische Grenz- und Selbsterfahrung und lehnt die Vereinsmeierei, Pseudokameradschaft, Geldmacherei, Machtspielchen und tendenziöse Lobbyarbeit der Alpenvereine vehement ab. Er äußert sich im Buch dazu mehrfach. Auch diese Passagen werden auf Dauer etwas zu zornig und für unbeteiligte Leser auf Dauer etwas zu speziell und dadurch lästig.

Sieht man über diese geringen Eintrübungen hinweg, ist das Buch eine angenehme, lebensweise Lektüre und das nicht nur für Bergsteiger oder Extremreisende. Ein ganz klein bisschen weniger Messner und etwas mehr einfühlende Betrachtung seiner Mitmenschen und deren Lebensweise hätten dem Buch vielleicht noch gut getan. So erfährt man nahezu Nichts über Familie, Freunde, Weggefährten oder Kultur, Kunst, Musik, Sitten und Gebräuche der vielen Länder, die er in seinem Leben bereist hat. Anscheinend ging es ihm dabei in erster Linie immer um die eigentliche Herausforderung, also den Weg zum konkreten Reiseziel (den Berg, den Pol, die Wüste). Es scheint als wäre alles andere diesem einen persönlichen Ziel untergeordnet worden. Aber Messner ist halt Messner, er schreibt unverblümt und offenherzig von sich und seiner Sicht der Dinge. So muss man vermutlich sein, wenn man alle diese extremen Erfahrungen überleben will.

„Über Leben“ erscheint bei Malik, hat 336 Seiten und kostet gebunden 22,99, ebook 16,99. Schönes Weihnachtsgeschenk!

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