Eberhard Seidel, stammt aus dem fränkischen Sommerhausen, studierte Soziologie und lebt in Berlin. Er arbeitete viele Jahre als freier Journalist und schließlich als Leiter des Inlandsressorts der taz. Bereits 1996 erschien von ihm „Aufgespießt. Wie der Döner über die Deutschen kam“. Nun, mehr als 25 Jahre später, erfährt seine umfassende Betrachtung ein Update. Der Titel des aktuellen Buches lautet schlicht: „Döner“.
Seidel hat die Geburt und weitere Entwicklung des Döner Kebap in West-Berlin, in Westdeutschland und später auch in den neuen Bundesländern von Anfang an selbst miterlebt und akribisch protokoliert. Anscheinend hat das mit Grillfleisch gefüllte Fladenbrot bei ihm schon früh einen Nerv getroffen und als kulinarisch interessierter Soziologe hat er früh das gesellschaftspolitische und kulturgeschichtliche Potential darin erkannt. In sieben Kapiteln stellt er in seinem neuen Buch Herkunft, Entwicklung, Neuinterpretation, Aufstieg und Erfolgsgeschichte des Döners und seiner Macher in Deutschland dar. Es geht dabei auch und immer wieder um türkische Gastarbeiter, die hier arbeiten und leben, irgendwann ihre Familien nachholen und schließlich ganz hierbleiben und aus Mangel an anderen Möglichkeiten ihre eigene Versorgung mit heimatlichen Lebensmitteln organisieren. Der Döner wird dann nicht nur für sie, sondern auch ihre Mitmenschen eine schnelle, günstige und schmackhafte Alternative zu der bis dahin allgegenwärtigen Brüh-, Brat- und Currywurst und im Laufe der Jahre immer populärer.
Der Autor mäandert anekdotisch durch Bonner und Berliner Republik, dokumentiert alte Rezepte, berichtet von den Versuchen der Einwanderer sich mit Imbissständen selbständig zu machen, es geht um die Metzger, die die Dönerspieße mit Fleischlappen und Hackfleisch aufbauen und tiefgefroren und in viele Schichten Folie gerollt für die Imbissbetreiber bereitstellen. Aber auch die Berliner Verkehrsauffassung für das Fleischerzeugnis ‚Döner Kebap‘, die „Döner-Mafia“ und „Döner-Morde“ spielen eine Rolle in der unterhaltsamen, manchmal vielleicht etwas zu gefällig verfassten Schrift. Teilweise wird leider zu deutlich, dass der Autor auf seinen bereits vorliegenden Recherchen des ersten Döner-Bucher aufbaut. Die meisten der persönlich geführten Interviews mit Protagonisten der Szene stammen aus den 1980er und 1990er Jahren, durch die wiederholten Beschreibung der damaligen Verhältnisse („Mauerfall“, „Wilder Osten“ etc.) und Preisangaben in D-Mark, wirken etliche Passagen krass aus der Zeit gefallen. Aus den vergangenen 20 Jahren seit der Jahrtausendwende gibt es dagegen erstaunlich wenig zu berichten. Hier beschränkt sich die Darstellung auf Betrachtungen der großen Dönermetzgereien und Vertriebe.
„Döner“ ist eine zwar interessante, aber auch etwas ausschweifende und frei assoziierte Erzählung rund um das Faustfood türkischer Herkunft. Seidel erkennt darin das beliebte und erschwingliche kulinarisch-soziale Bindemittel zwischen Orient und Okzident, zwischen Islam und Christentum, zwischen Einwanderern und Bio-Deutschen, zwischen Vergangenheit und Moderne. Ja, die Geschichte ist interessant und exemplarisch und auf vielerlei Weisen interpretierbar. Ob Seidel mit seiner Begeisterung und journalistisch-distanzierten Schreibweise den gemeinen Döneresser erreicht, ist nicht dagegen ganz so sicher. Für den Preis des Buches bekommt der auch vier Döner mit Scharf, könnte sein, dass das als lohnenderes Investment betrachtet wird.
Wichtigste Erkenntnis: „Ein Döner ohne Ayran ist nur ein halber Genuss.“
Das Buch enthält einige farbige Illustrationen von Laura Fronterré. Das gebundene Taschenbuch erscheint im März Verlag, hat 258 Seiten und kostet 20 Euro.