Etappe 2 „Spessart Nord“: Fellen bis Wiesthal

Als ich am Morgen so gegen 8:00 in meinem Gästezimmer erwachte, war alles noch ganz ruhig draussen. Ich hatte eigentlich erwartet, dass ich von Kindergeschrei und wiehernden Pferden geweckt werde, aber nein, weit gefehlt. Ich kramte ein paar Unterlagen und die Karte zusammen und machte mich auf den Weg zu Joachim. Ihn hatte ich am Abend zuvor bei einer Feier kennengelernt und wir waren zusammen nach Hause gegangen, weil er fast genau gegenüber von meiner Unterkunft wohnt. Bei unserer Verabschiedung hatte er angeboten, dass ich am nächsten morgen vorbeischauen könne. Als ich ankam, saß er mit seiner Familie beim Frühstück und lud mich ein mitzuessen. Hab ich aber auch immer ein Glück! Nach dem Frühstück wurde der Nachbar zum Junggesellenabschied abgeholt, es kamen ein paar lustige junge Männer mit Bollerwagen und Bierflaschen um die Ecke und der zukünftige Ehemann musste sich einen albernen Helm aufsetzen und mitlosziehen, ich ging wieder zurück zur Mühle. Freundlicherweise durfte ich den hauseigenen Rechner benutzen und verbrachte den weiteren morgen mit dem Verfassen des Blogartikels.


Nachdem das erledigt war, besuchte ich noch Claus und seine zauberhafte Frau Romy. Beide hatte ich ebenfalls bei derselben Feier kennengelernt. Claus ist Landschaftsarchitekt, hat danach aber noch Bühnenbau studiert und schon Arbeiten in anderen Städten betreut, u.a. An der Philharmonie in Berlin, ich war beeindruckt. Inzwischen ist er in sein Heimatdorf zurückgekehrt und hat den Familienbetrieb übernommen. Und seine Frau ist von Berlin nach Fellen mitgekommen. Ich traf sie in der Baumschule Hornung, wir tranken Kaffee und quatschten. Zum Abschied reinigte mir Claus mein schmutziges Rad mit einem Dampfstrahler und klebte mir ein kleines Plastiktöpfchen mit einer Lavendelpflanze auf den Gepäckträger. Fellen Dank!

Als ich auf die Straße rauf zur bayerichen Schanz bog, spürte ich schon, dass die Beine gut waren. In der Nacht hatte ich mich erholt und der lockere Vormittag hatte auch gut getan. Einen kleinen Stopp legte ich bei der Wallfahrtskirche in Rengersbrunn ein. Besichtigung der Kirche und kleine Erfrischung am Brunnen davor.

Weiter ging’s bergauf zur Schanz, lief gut bis ganz oben, ohne Absteigen. Die Strecke ist eigentlich wunderschön, die Straße führt durch bewaldete und offene Stellen. Aber Joachim hatte mich schon gewarnt: Es ist auch eine beliebte Motorradstrecke. Immer wieder knatterten von vorn und hinten kleine Gruppen an mir vorbei, das war etwas nervig und zum Teil auch beunruhigend, weil sie an den Geraden gerne mal etwas mehr Gas geben, als sie sollten. Irgendwann war ich oben und genehmigte mir in der Ausflugsgaststätte Kuchen und eine Apfelschorle. Leider ist der höchste Punkt ringsum bewaldet, man hat also keine Aussicht, wohin man auch blickt. Nach Asphalt nach oben folgte jetzt ein Schotterweg bergab, ca. 11km Richtung Frammersbach, schöne Strecke, die Sonne kam raus, ich rollte jedoch die meiste Zeit im Schatten der Bäume ins Tal.

In Frammersbach war erstmal kein Mensch auf der Straße und es stellte sich auch bald heraus warum. Genau an diesem Tag feierte der ortsansäßige Spielmannszug sein 50-jähriges bestehen. Im Zentrum stand ein wirklich riesiges Festzelt, es war noch nicht besetzt, aber für eingeladene Kapellen aus der erweiterten Region waren schon etliche Biergarnituren reserviert. In 1h sollte der Sternmarsch Richtung Festzelt beginnen. Ich trank ein gemütliches Bier in dem gigantischem Zelt und hörte einer Kapelle beim Soundcheck zu. Einwandfreie Marschmusik, vorzüglich und äußerst präzise gespielt, hat was, ist schwer sich dem zu entziehen (Ist ja auch der musikalische Sinn der Sache). Ich musste trotzdem los, hatte ja noch was vor mir, raus aus der Ortschaft, auf dem Weg kamen mir die Massen entgegen, alle waren auf dem Weg zum Umzug, ich der einzige auf dem Weg in die entgegengesetzte Richtung, rauf den steilen Berg zur Kreuzkapelle, kein Mensch außer mir war hier unterwegs.

Nach dem Besuch der Kapelle ging’s lange bergab Richtung Habichsthal, einer kleinen Enklave, von dort entlang oberhalb des Aubachs weiter zu meinem Etappenziel Wiesthal. Das Dorf wie ausgestorben.

Ich fand gleich meine Unterkunft, den Wiesthaler Hof, eine Kombination aus Metzgerei, Gastwirtschaft und Pension. Empfangen wurde ich von Kuni dem Wirt, ein echtes Spessartoriginal, er stand mit 2-3 anderen Dorfbewohnern an der Theke und sagte mir, was ich schon gesehen hatte: Das Dorf ist tot, alle weg, auf irgendwelchen Festen oder Feiern. Ich konne mir schon denken, wo die alle waren: In Frammersbach.

Nachdem ich geduscht hatte, stellte mir Kuni ein kühles Radler vor die Nase, ah, das tat gut. Danach schwang ich mich nochmal auf’s Rad und trödelte durch die Gassen, aber wohin ich auch fuhr, es war wirklich nirgends was los. Sogar der Bürgermeister war weggefahren und hatte das Dorf und mich für diesen Abend zurückgelassen. Meine Besichtigungstour war also schnell erledigt. Wieder zurück zu Kuni, der saß draußen und rauchte, während drinnen die Stammgäste an den Tischen saßen, Selbstbedienung. Ich saß bei ihm und Kuni lief zur unterhalterischen Hochform auf. Er erzählte mir von seinen weit zurückliegenden Reisen auf alle Kontinente und in alle Herren Länder. Jedesmal, wenn ein Flugzeug über uns flog, sprang er auf und schätzte woher es kam oder wohin es ging. Er fragte mich, ob ich die Himmelsrichtungen zuordnen könne (Test bestanden), erzählte von seinen Vorfahren, seiner Familie, dem Dorf und alles und überhaupt. Hin und wieder schaute ein Stammgast zur Tür raus und Kuni rief nur lapidar rüber, er solle sich sein Bier selber holen oder einschenken, whatever. Ich hatte meine kleine Freude an den Geschehnissen und war nach einer Weile der festen Überzeugung, dass ich hier gerade mehr dörflichen Alltag erlebe, als es zur gleichen Zeit im Festzelt in Frammerbach möglich gewesen wäre.

Ich verarztete nebenbei eine kleine schmerzhafte Wunde, hatte einen Spreisel unter dem Fingernagel, Kuni bestand darauf, dass ich mit Zwetschgenwasser desinfiziere. Auf das Abendbrot verzichtete ich, war nicht sicher ob Kuni dafür noch Kapazitäten gehabt hätte, wollte ihn aber auch nicht in seinem Gedächtnisstrom unterbrechen, er war gerade so schön im Flow, das muss man laufen lassen. Statt Abendessen also ein Radler, ein Weizen und ein Bier, ach ja und der Schnapps. Und weil drei Bier ein Abendessen ersetzen, man aber dann rechnerisch noch nichts getrunken hat, schloss ich ab mit einem Malzbier, das Kuni hervorgezaubert hatte um einen seiner Gäste zu necken. Ich sagte, komme gib‘ her ich trink das, muss ja auch weg. Dann bin ich rauf auf mein Zimmer und hab geschlafen wie ein Stein.

Morgen um 12.00 treffe ich den Landrat und wir fahren die nächste Etappe zusammen.

6 Gedanken zu „Etappe 2 „Spessart Nord“: Fellen bis Wiesthal

  1. Sehr schön zu lesen, macht Spaß, so muss das sein!!!

    Ich befürchte aber, dass du mehr als ein Abendessen zu dir genommen hast, weil ich glaube mich zu erinnern, dass bereits zwei Bier eines ersetzen. 🙂 Aber du radelst ja kräftig……

    Viel Spaß weiterhin und gutes Wetter

  2. Auf der bayr. Schanz hat Dein Kumpel Markus Rill schon das eine oder andere Konzert gegeben – und ich bei einem am Lagerfeuer dabeigesessen.
    In Wiesthal wohnt ein guter Kumpel von mir. Der schwatzte mich einst voll, daß ich mir unbedingt einen PC zulegen sollte. Nun habe ich den Salat!

  3. ..mein letzter Besuche auf der Schanz bescherte mir dann bei nem Sturz nach Gemünden einen Rippenbruch, lauter schwerwiegende Schlüsselsituationen scheinen dort ihren Grund zu haben – MAGIE

    • Bernhard, ich bin einst auch auf einer Radtour hochgefahren.
      Das schlimmste war mal eine Tiefschneewanderung mit Skiern zur Schanz. Habe mich dabei total übernommen und war völlig erschöpft, 2 – 3 km vor dem Ziel.

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