Detroit City: Beauty in the badness

Am fruehen Nachmittag ging’s gestern los nach Detroit. Wegen des Feiertags „Memorial Day“ war alles auffallend ruhig, sogar der Roomservice im Lampost Inn hatte frei, weswegen ich den Check out etwas rausgezoegert und noch etwas an dem frei zugaenglichen Rechner geschrieben habe. Dann aber ab ins Auto und auf die Interstate 94 Richtung Osten.IMG_0974
Die Fahrt ging dann schneller als ich dachte, vorbei an Ypsilanti und schon passierte ich die Detroit City Limits. Hatte mir wieder vorher die Karte angeschaut und bin dann nach Gefuehl abgefahren. Kurz vorher waere ich aber fast falsch abgebogen auf die grosse Bruecke nach Kanada. Lag uebrigens daran, dass 75 Richtung Norden angeschrieben ist und die Strasse erstmal nach Osten fuehrt, aber egal, hat ja funktioniert.
Nach etwas Rumfahrerei habe ich dann bei einer Urban Farm angehalten wo zwei junge Leute gerade die Beete harkten und die haben mir den weiteren Weg gewiesen, ich war schon sehr nah dran. Das Hostel (2700 Vermont) habe ich anhand der Fotos im Internet gleich erkannt. Rein kommt man da nur mit einem Zahlencode, sowas wie eine Rezeption gibt es nicht. Innen wurde ich dann gleich freundlich von Ryan empfangen, der hier ein festes Zimmer hat und irgendwie zum Inventar gehoert. Cooler Typ, hat mir gleich eine Karte geschenkt, mir ein paar Tipps gegeben und meine wichtigsten Fragen beantwortet. Das Zimmer hat diesmal zwei Stockbetten, es ist alles einfach, aber vollkommen okay.
Es hat dann angefangen zu regnen. Ich wollte noch abwarten bis es vielleicht schoener wird bevor ich losgehe und habe angefangen eine Buch zu lesen, dass auf dem Couchtisch lag. Bin dann fast gar nicht mehr hochgekommen, weil es so interessant war. Das Buch ist von Richard Florida heisst „The Rise of the Creative Class“, eine sozio-kulturelle Betrachtung der westlichen (Arbeits-)Welt. Hat mich total angesprochen, spaeter vielleicht mal mehr.
Weil der Regen einfach nicht aufhoerte, bin ich dann einfach los die naehere Nachbarschaft in Corktown abfahren. Es sieht da zum Teil schon schlimm aus, bin mir aber gar nicht sicher, ob man nicht in den meisten amerikanischen Staedten aehnliche Viertel finden kann. Ich bin dann in einen Supermarkt um mich mit dem Noetigsten fuer die kommenden Tage im Hostel auszustatten, habe zwei Sorten Cerealien, Milch und OJ (Orange Juice) gekauft. Danach in CVS/pharmacy gegenueber, dort konnte ich mich dann nicht entscheiden ob ich von der nachgemachten Aspirin die 1000er oder 500er Bottle nehme. Habe dann kurz nachgerechnet und mich fuer das 300er Flaeschchen entschieden, dazu noch zwei Riesenglaeser Peanut Butter fuer die Kinder daheim (okay, auch fuer mich). An der Kasse wurde ich dann auf Spanisch angesprochen. Anscheinend hatte mich die junge Kassiererin fuer einen Latino aus der Nachbarschaft gehalten. Ich erklaerte ihr, dass ich aus Europa komme und nur zu Besuch sei in Detroit. Da meinte sie: „What do you think of Detroit? It’s bad, isn’t it?“ Ich war etwas verlegen, denn sie hatte ja recht und ich sagte: „I came here to find the beauty in the badness.“
Auf dem Rueckweg fuhr ich dann von hinten heran an die Michigan Central Station. Das Gebaeude wurde 1912/13 erbaut und war lange Zeit der hoechste Bahnhof der Welt. 1988 fuhr dort der letzte Amtrak, seitdem wird das Gebaeude nicht mehr genutzt und ist dem langsamen Verfall ueberlassen.IMG_1028
Wenn man davor steht, ist das ein ziemlich trauriger Anblick, weil man die ehemalige Pracht noch erkennen kann. Erinnert mich auch fatal an „Asterix und Obelix und die Trabantenstadt“, oder ist das jetzt albern?
Danach jedenfalls zurueck ins Hostel, ein paar Plaene gemacht und weiter in dem erwaehnten Buch gelesen. Wegen des Feiertages und des laufenden Techno-Festivals „movement“ (letzter Tag) gab es am heutigen Montag keine Konzerte in der Stadt. Ich bin deswegen nach Downtown ins Kino („Hangover 3“) gefahren und habe noch vier Leute aus dem Hostel mitgenommen, weil ich hier einer der wenigen bin, der ueber einen eigenen Wagen verfuegt. Danach heim ins Hostel und ab ins Bett. „Last night I went to sleep in Detroit City…“ Naja, so traurig wie in dem Song ist’s hier fuer mich nicht.

5 Gedanken zu „Detroit City: Beauty in the badness

  1. „Movement“ würde man hierzulande wohl kaum die Celebration einer Musikrichtung benennen, zumal sie ja hier in Detroit schon 30 Jahre auf dem Buckel hat.
    Wer sind denn hier die „neuen Leute“ im Techno-Movement? Oder sind es die bewährten Kräfte wie Carl Craig, Steve Mills ect?

  2. Na ja, Floridas Thesen zur, jetzt mal verkürzt formuliert, „Stadtentwicklung durch Gentrifizierung“ sind hochumstritten, wie bereits ein kurzer Blick in seinen englischsprachigen Wikipedia-Eintrag zeigt: http://en.wikipedia.org/wiki/Richard_Florida

    Sagen wir mal so: *Vor* der Finanzkrise war es einfacher, ihm Glauben zu schenken als heute, wo ja gerade die „Kreative Klasse“, von Ausnahmen abgesehen, ziemlich am Boden herumkrebst.

    • @Stefan: Habe das Buch noch lange nicht durchgelesen, aber schon in der Einleitung habe ich mich in seiner Beschreibung zum ersten Mal angesprochen gefuehlt. Insbesondere wenn er von Arbeitsbedingungen, Lebensplanung, Idealen usw. der Creative Class spricht. Hast du das Buch schon gelesen? Erweitert oder praezisiert er seine Thesen in den folgenenden Veroeffentlichungen? Die Texanische Hauptstadt Austin richtet angeblich die Stadtplanung nach seinen Thesen aus. Ein kleines bisschen davon wuerde Wuerzburg vielleicht auch gut tun.

      • @Dennis: „Hast du das Buch schon gelesen?“ – Nee, und ich hab’s auch nicht vor. Ich habe nur einiges *über* das Buch gelesen – und dann das Interesse verloren (was falsch sein kann natürlich). – „Erweitert oder praezisiert er seine Thesen in den folgenenden Veroeffentlichungen?“ – Keine Ahnung, natürlich. – „Ein kleines bisschen davon wuerde Wuerzburg vielleicht auch gut tun.“ – Ok, was ich von Floridas Thesen bisher verstanden habe, ist Folgendes: Es existiert eine „kreative Klasse“, die er wohl weit großzügiger definiert als den klassischen Künstler, deren Vorhandensein in einer Stadt entscheidend zu deren Wohlfahrt beitrage. Dubioserweise spielt für ihn dabei auch der Bevölkerungsanteil an gleichgeschlechtlich lebenden Menschen eine zentrale Rolle. Platt gesagt: Je mehr Lesben und Schwule eine Stadt anzieht, desto besser wird’s ihr irgendwann *wirtschaftlich* gehen. – Ich halte eine solche Denke für reichlich oberflächlich (obwohl die Beobachtung natürlich nicht falsch ist!) und, wie gesagt, Florida ist damit zu einer Art Theoretiker der Gentrifizierung geworden. Sicher, wenn in Prenzlauer Berg jetzt lauter junge aufstrebende Familien wohnen (Vater IT-Spezialist, Mutter Grafik-Designerin), dann sieht das Viertel gleich viel besser aus als mit den alten Hartz-IV-Loosern. Nur löst das halt nicht das Problem mit den Loosern. Wohin mit denen? Und was passiert, wenn der IT-Spezialist und die Grafik-Designerin keine Jobs mehr haben bzw. zu wenig Aufträge?

        • @Stefan: Bin noch lange nicht durch mit dem Buch, werde aber weiterlesen. Die von dir erwaehnten Punkte kommen zwar darin vor, aber eher am Rande. Florida geht es vor allem darum, dass kreative Talente ausgebildet werden und dann auch eine Chance bekommen. Dazu muesste das Bildungssystem hier drueben drastisch veraendert werden, im Moment kommt nur eine (reichen) Minderheit der Kinder in den Genuss einer guten Ausbildung. Ansonsten bewertet er Staedte und Regionen der USA danach wie aktraktiv sie fuer die zukuenftige ‚kreative Klasse‘ sind (dabei ist der Bevoelkerungsanteil von Schwule und Lesben nur einer von vielen Indikatoren). Er sagt, dass junge, kreative Menschen sich ihren Lebensmittelpunkt nach anderen Kriterien heraussuchen als zu frueherer Zeit. Staedte wie San Francisco oder Austin schneiden da vergleichsweise gut ab, weil sie nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell attkrativ und sehr liberal sind und sich dadurch fuer die Bewohner diverse Moeglichkeiten eroeffnen. In der Zukunft werden also die Regionen stark sein/bleiben, die diese Kriterien bei der Stadtentwicklung beruecksichtigen. Ich finde das relativ unstrittig. Auch dass eine gut ausgebildete Bevoelkerung in der globalisierten Welt gute Chancen hat, kann ich nachvollziehen. Problem ist wohl eher, dass insbesondere hier in den USA konservative Zirkel nicht wollen, dass alle gut ausgebildet werden, weil sie dadurch Macht und Einfluss verlieren wuerden. Die einfachen Leute werden hier durch das marode Bildungssystem und die kommerziellen Medien der herrschenden Klasse in einer Weise uninformiert/dumm gehalten, die in Deutyschland unvorstellbar waere. Mehr dazu, wenn ich durch bin mit dem Buch.

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