Buch: „Das Geschäft mit der Musik“ von Berthold Seliger

Seliger-Musik.previewDas Buch erschien bereits im Januar 2013 bei Tiamat und trägt den Untertitel „Ein Insiderbericht“ (ISBN 978-3-893-201808 18,00 €). Der Autor Berthold Seliger ist freier Autor und betreibt eine eigene Konzertagentur. Nach einem Intro folgen acht Kapitel, die sich mit den Themen Live-Industrie, Tonträgerindustrie, Copyright, Verwertungsgesellschaften, Sponsoring, soziale Situation, Musikjournalismus und (Kultur-) Politik befassen.

Das Buch ist als „Insiderbericht“ betitelt und als „Insider“ kann sich der Autor getrost bezeichnen. Seit mehr als 25 Jahren betreibt er eine eigene Konzertagentur und betreut(e) in der Zeit als Agent Bands wie Calexico, Lambchop und die Walkabouts, sowie als Europaagent Künstler wie Lou Reed, Patti Smith und Lucinda Williams. So fällt das erste Kapitel „Live-Industrie“ mit knapp 100 Seiten erwartungsgemäß am längsten aus. Seliger berichtet eloquent und ausführlich von dem Tagesgeschäft von Veranstaltern und Agenten, von Tickets und Big Data. Er gibt etliche glaubhafte Beispiele und Musterrechnungen mit denen er verdeutlichen will wie das Eintrittsgeld erhoben und verteilt wird und was am Ende für wen übrig bleibt. Es wird erklärt welche Garantien gefordert werden, wer welche Arbeit macht und wer die Risiken trägt. Seliger argumentiert hier aus der Sicht des Ticketkäufers und Konzertbesuchers, sicherlich auch aus der Sicht des Konzertagenten und Künstlervertreters und platziert, als einer, der bestens mit den Strukturen vertraut ist, seine deutliche und umfassende links-liberale Systemkritik. Als Leser kann einem dieser unverhohlen kämpferische Stil (mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten) passagenweise etwas zu massiv anmuten. Denn: Am Schluss muss schon noch jeder einzelne für sich entscheiden, ob ihm ein Ticket für ein Konzert mehr als 120 Euro wert ist oder eben nicht. Und welche Anteile vom Umsatz an Künstler, Agenten, Veranstalter und Hallenvermieter gehen, müssen die irgendwie auch unter sich aushandeln. Und wenn man nicht gerade zu U2, Bruce Springsteen oder Madonna ins Konzert geht, sondern lieber zur unbekannten Band in die Studentenkneipe um die Ecke, betrifft einen sowieso nicht.

Im nächsten Kapitel wirft Seliger einen Blick auf die Machenschaften der Tonträgerindustrie, zeigt auf wie sie bis in die 1990er aufgestellt war, wie sie vom Wechsel von Vinyl auf CD profitiert hat, wie sie den Übergang von CD auf Download versemmelt hat und was der aktuelle Wechsel von Download auf Stream für Künstler und Endkonsumenten für Chancen mit sich bringt. Seine Sichtweisen legt er mit klaren Argumenten dar und belegt sie mit klugen, teilweise recht frischen Zitaten (Patti Smith, Kim Dotcom, Sven Regener etc.), die allesamt sauber belegt werden. Weiter geht es mit Aspekten des deutschen Urheberrechts und der GEMA, die mal wieder gar nicht gut wegkommt. Es wird beteuert wir untransparent die Gema abrechnet (stimmt), wie maßlos hoch ihre Verwaltungskosten (stimmt) und die Gehälter der Vorstandsvorsitzenden (skandalös) sind, aber auch wie schwer es die Clubs in Berlin doch haben (darf bezweifelt werden). Welche Bedeutung die GEMA heute für aktive Urheber, also für jetzt lebende Songschreiber und Komponisten hat, kommt leider nicht zur Sprache.

Im folgenden Kapitel wirft Seliger einen kritischen Blick auf die Praxis des (Kultur-) Sponsoring und liefert pikante Beispiele von renommierten deutschen Musikern, die sich für Geld ziemlich skrupellos doch recht zweifelhaften Firmen (z.B. Alkoholdestillen, Zuckerwassermischer, Fast Food Brutzler) an den Hals werfen. Das verträgt sich ganz offenkundig gar nicht mit den ehemals hehren ideologischen Ideen des Rock and Roll wie z.B. Eigenständigkeit, Unabhängigkeit oder einer wie auch immer gearteten politischen oder moralischen Aussage, wird aber selten bis nie kritisch beanstandet. Allerdings ist dieses Gebaren natürlich nicht typisch für den Musikmarkt, ganz im Gegenteil, in anderen Bereichen treibt das ja noch ganz andere Blüten, denn anscheinend ist es heutzutage gesellschaftlich akzeptiert sich skrupellos zu bereichern, wenn man einmal die Gelegenheit dazu hat. Trotzdem schön, dass es Seliger so direkt und undiplomatisch anspricht.
Ähnlich kritisch geht er damit um, dass sich der deutsche (Musik-)Journalismus schamlos den Geldgebern hingibt und kaum noch wirklich unabhängige Kritik oder Berichterstattung stattfindet. Das fängt an bei lokalen Veranstaltungsmagazinen und geht rauf bis zu ehemals anerkannten Fachblättern, Wochen- und Tageszeitungen. Unabhängig im eigentlichen Sinne des Wortes sind seiner Ansicht nach allenfalls Internetmagazine (wie Pitchfork) und Blogs (wie dieser!), die aber ohne Budget freilich nicht imstande sind dauerhaft Qualitätsjournalismus auf hohem Niveau zu bieten.
Interessant und anregend auch seine Beobachtungen zur sozialen Situation, obwohl er dabei vermutlich zu sehr von seinem persönlichen Umfeld in Berlin ausgeht (Hippster, Musiker, Neue Medien, alle Menschen sind bei ihm anscheinend Ticketkäufer und Popkonzertgänger etc.). Das Buch endet mit einer eng bedruckten vier-seitigen Literaturliste, die neben den üblichen Verdächtigen (Adorno, Horkheimer, Benjamin, Marcuse etc.) auch einige ungewöhnliche, aber aussagefähige Autoren (Harry Belafonte, Bill Graham, Hans Werner Henze, Hanns Eisler, Keith Richards, Dave van Ronk, Nick Tosches etc.) benennt.

Fazit: Berthold Seliger stellt hohe Ansprüche an sich und seine Leser, an Musiker und Musikvermarkter. In seinem Buch legt er die Zusammenhänge, Verwicklungen und die sich daraus ergebenden Probleme aus seiner persönlichen, sehr erfahrenen Sicht dar und wird daher dem Titel des Buches in vollem Umfang gerecht. Er schreibt durchweg prägnant und klar in einer gut lesbaren, unakademischen Sprache. Perspektiven oder mögliche Lösungen für die erkannten und benannten Probleme bietet er leider nicht. Seine sehr hoher moralischer Standard ist vielleicht nicht jedermanns Sache und teilweise etwas zu vordergründig und dick aufgetragen. Wenn man das Buch als persönliches Statement eines engagierten Insiders wertet, hat Berthold Seliger gute, wichtige und aufklärende Arbeit geleistet, weil damit ein alternativer Blick auf das Geschäft mit der Musik eröffnet wird. Dafür kann man ihm nur danken. Dicke Empfehlung.

Die Aussage des Buches wird von einem lesenswerten Blog mit regelmäßigen Eintragen flankiert.

2 Gedanken zu „Buch: „Das Geschäft mit der Musik“ von Berthold Seliger

  1. @Dennis: Danke für die detailreiche Rezension 🙂 – Seligers Blog hab‘ ich gleich mal gecheckt. Leider hat er es versäumt, einen Feed bereitzustellen, so dass man den Blog nicht abonnieren kann 🙁 Es gibt wohl einen Feed für die ganze Website, aber da wird einfach nur jeder Datei-Upload dokumentiert, d. h. da stehen jede Menge irrelevanter Einträge. – Inhaltlich kann ich natürlich nicht überprüfen, ob sich Seliger als Geschäftsmann tatsächlich an das hält, was er – deiner Meinung nach – hier predigt, also eine Art von moralischem Rigorismus. Gern hätte ich vom Rezensenten auch erfahren, wie alt Seliger ist und aus welchem soziokulturellen Milieu er stammt. Es ist ja schon ein Unterschied, ob da ein (z. B.) Millionärssohn eine Agentur als Hobby betreibt und locker groß aufsprechen kann oder ob sich da ein Arbeiterkind mühevollst halbwegs und prekär nach oben gerobbt und dabei dennoch dem Ausverkauf seiner Ideale widerstanden hat, oder?

    • @Stefan: „Berthold Seliger (* 1960 in Fulda, Hessen) ist ein deutscher Tourneeveranstalter und Autor aus Berlin. Der Sohn eines Schlossers ist in Fulda geboren und aufgewachsen. Später studierte er Musikpädagogik, arbeitete als Musiklehrer und war als Politiker aktiv. In Fulda veranstaltete Seliger Konzerte […]“ Mehr unter: http://www.inklupedia.de/wiki/Berthold_Seliger_(Autor)
      Ist das „credible“ genug?

      An manchen Stellen des Buches hat man schon das Gefühl, dass da der betroffene Veranstalter spricht. Das ist aber kein Nachteil, sondern eigentlich der große Pluspunkt daran: Hier schreibt kein trockener, vorgeblich neutral positionierter Theoretiker, Seliger ist bestens informierter „Insider“, so steht es vollkommen zu Recht bereits im Untertitel. Seine Tendenz subjektiv und mit klaren Worten Stellung zu beziehen empfinde ich als angenehm konkret, insbesondere in Zeiten in denen sich andere aus taktischen und/oder opportunistischen Gründen lieber nicht festlegen und stattdessen ewig abwarten bevor mal eine Meinung geäußert wird.

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