Flake heißt mit bürgerlichem Namen Christian Lorenz und ist Keyboardspieler der deutschen Brachialband Rammstein. Mit „Der Tastenficker“ hat er 2015 ein Buch mit autobiographischen Erinnerungen vorgelegt, das sehr lebendig und aus persönlicher Sicht vom Leben als Musiker unter realsozialistischen Verhältnissen und den geistig-kulturellen Umbruch nach dem deutschen Mauerfall erzählt. „Heute hat die Welt Geburtstag“ ist die logische Fortsetzung des Debuts. Dort war nämlich erst auf der vorletzten Buchseite erstmals der Name seiner prominenten Band erwähnt worden („Jetzt fällt mir auf, dass ich eigentlich gar nichts über Rammstein erzählt habe“).
Diesmal geht es in erster Linie um Alltag und Werdegang der Band. Erzählt wird das auf zwei Ebenen: Einerseits wird genau ein exemplarischer Tag, also exakt 24h, der Tour- und Konzertroutine vorgestellt. Es ist ein hochinteressanter Blick hinter die Kulissen: Künstlergarderobe, Bühnenaufbau, Maske, Umzieherei, Essen & Trinken, bandinternen Ritualen, Konzert, Aftershowparty, Shuttlefahrt, Hotelaufenthalt, einsame Nächte in fremden Städten & Ländern, Rumfliegerei & Zeitverschiebung, viel Warterei etc.pp., das ist der eine Teil.

Andererseits beschreibt der Autor die Entwicklung der Band von den ersten Anfängen bis in die unmittelbare Gegenwart: Die atemberaubende Entwicklung von einer unbekannten Berliner Punkband bis zum weltweit gefeierten, teutonischen Musikexport. Dabei steht die Band als kreative, künstlerische Gemeinschaft im Vordergrund. Dem Sänger Lindemann werden zwar ein paar Zeilen gewidmet um einige Situationen oder Geschehnisse zu erklären, ansonsten hält sich der Autor mit Erläuterungen zu einzelnen Mitmusikern auffällig zurück.

Dazwischengestreut sind die für Flake typischen und aus dem „Tastenficker“ bekannten und zum Teil weitreichenden Exkurse des Musikerautors. Durch seine besondere (musik-) kulturelle Sozialisation hat er bei der Betrachtung des ganzen organisatorischen, medialen und kommerziellen Rummels und Irrsinns, der um die Band tobt, ganz automatisch einen außergewöhnlichen Betrachtungswinkel. Der Autor ist ein aufmerksamer Beobachter und erzählt und interpretiert die Vorkommnisse sehr unterhaltsam und erhellend. Besonders ist auch die wunderbare und unverbrauchte Komik, die oft daraus entsteht, dass unterschiedliche Welten aufeinander treffen (die Rammstein-Musiker sprechen und verstehen z.B. nicht besonders gut Englisch). Da trifft Ostdeutschland auf die westliche Hemisphäre, Berliner Punk-Attitüde auf internationalen Showbizz, Party-Anarchie auf Tournee-Logistik, Post-Sozialismus auf Turbokapitalismus. Oft genug haben Flakes Ausführungen einen tieferen Sinn, zum Teil schon fast philosophische Qualität. Dagegen macht er sich an keiner Stelle über andere lustig oder lässt sich zu polemischen Bemerkungen hinreißen. Er geht auch sorgsam mit der eigenen Privatsphäre und der seines Umfelds um. Man erfährt als Leser quasi nichts über familiäre, persönliche oder finanzielle Verhältnisse. Trotzdem gelingt ihm das Kunststück etliche farbige Anekdoten zu erzählen ohne sich oder andere in Verlegenheit zu bringen

Als Leser gewinnt man den Eindruck, dass da jemand schreibt, der immer noch nicht ganz glauben kann, wohin ihn der (ungeplante) Lebensweg gebracht hat, was er alles sehen, erleben und erfahren darf. Hier ist jemand zufrieden mit sich und der Welt und lässt andere daran teilhaben. Naja, kein Wunder: Die Welt hat heute ja auch Geburtstag!

Fazit: Das Buch ist Rammstein-Autobiographie, Tourbericht und intelligente Lebensbetrachtung in einem. Klug strukturiert, unterhaltsam geschrieben, gewürzt mit viel Humor und anregenden Gedanken. Man muss dafür gar kein Rammstein-Hörer sein, das Buch reicht über einen einfachen Bericht für Fans weit, weit hinaus.

Das Buch erscheint bei Fischer, hat 364 Seiten und kostet glatte 20,00€.