Nach „Tel Aviv – Berlin“ (2014) und „100 Gramm Wodka“ (2015) hat sich der deutsche Reiseautor Fredy Gareis mit „König der Hobos“ (2018) ein außergewöhnliches Thema vorgenommen. Als Nicht-Amerikaner reiste er zur jährlichen Wahl der King & Queen of the Hobos in die Kleinstadt Britt, Iowa um Zugang und Anschluss zu finden an echte US-amerikanische Hobos, also der Gruppe von armen Vagabunden, Landstreichern und Wanderarbeitern, die seit mehr als hundert Jahren illegal als blinde Passagiere auf Frachtzügen kreuz und quer über den Kontinent (mit-)fahren.
Als erfahrener Spezialist für Roadtrips mit Fahrrad und Auto geht es diesmal mit der „einäugigen Geliebten“ per Güterwagen über das Gleisnetz Nordamerikas. Nach anfänglicher Skepsis wird der europäische Schreiberling von einigen Hobos aufgenommen und in die tägliche Routine eingeführt. Dabei lernt er eine ganz andere Welt kennen: Arbeitslosigkeit, Armut, Hunger, Krankheit, Alkohol- und Drogensucht, Misshandlung und körperliche Gewalt sind allgegenwärtig. Gareis begibt sich ganz bewusst in ein Milieu abseits der bürgerlichen Sicherheiten. Er verbringt die Tage mit abgehalfterten Obdachlosen, Pennern und Drogensüchtigen, schläft bei Wind und Wetter im Freien auf dem Boden, hat nur einen Rucksack und die Kleider, die er am Leib trägt. Alle paar Tage müssen er und seine Begleiter sich Geld zusammenbetteln und Almosen schnorren um sich die nötigsten Lebensmittel zu haben. Sie wühlen im Dreck, fischen im Müll, liegen im Staub. Sie warten tage- und nächtelang in abseitigen Depots und Rangierbahnhöfen auf Anschlusszüge, verstecken sich vor den Aufsehern und Polizisten, verlieren sich, finden sich wieder. Auf Route 1 arbeitet sich Gareis zusammen mit seinem erfahrenen Reisegefährten Tuck einmal quer durch den Mittleren Westen entlang der kanadischen Grenze bis nach Kalifornien. Route 2 führt ihn und seinen Reisegefährten Shoestring, einem menschenscheuen Kriegsveteranen, von Miami, Florida (rechts unten) über Kansas City (Mitte) bis nach Astoria, Oregon kurz vor dem Bundestaat Washington (oben links).
Gareis ist ein interessierter Reisender, wirkt aber passiv, weil er nicht in das Geschehen eingreift, sich dauerhaft raushält, immer nur Beobachter bleibt. So treibt er tage-, wochen- evtl. gar monatelang (genau erfährt man es nicht) im Fahrwasser der Hobos, denen er sich anschließt. Neben den dargestellten Erlebnissen muss es unendliche Phasen des Wartens gegeben haben. Harter Untergrund, Lärm von allen Seiten, Hitze und Regen, Hunger, keine Waschmöglichkeiten, auch an erholsamen Schlaf war vermutlich nicht zu denken. Die Geschichten wiederholen sich ziemlich bald. Gareis kommt anscheinend in den Reiseflow, hinterfragt irgendwann nichts mehr, lässt alles nur noch geschehen. Als Leser dieser langwierigen Dokumentation ist damit leider wesentlich schneller die Luft raus als bei seinen beiden Vorgängerbüchern. Noch ein Güterbahnhof, nochmal Warten, nochmal Schnorren, nochmal Pennen, und dann passiert wieder nichts, es nimmt kein Ende. Man erfährt ansatzweise von den Biographien seiner Mitreisenden, erhascht einen Blick in diese für normale Bürger unsichtbare Subkultur, mehr aber auch nicht.
Zwischendurch erzählt Gareis in einem Nebensatz, dass er vor dieser Unternehmung lange an seinem ersten Roman gearbeitet hat und dieser schlussendlich abgelehnt wurde. Was für eine herbe Enttäuschung. Danach ging es los auf diesen Tripp, anscheinend als eine Art Ersatzprojekt, irgendwie muss es ja weitergehen. Aber der erlittene Tiefschlag klingt noch spürbar nach. Nur zu gerne hätte man den Roman gelesen. Falls er veröffentlicht worden wäre, wäre der Hoboblues wohl anders verlaufen oder hätte vielleicht gar nicht stattgefunden. Hoffentlich muss Gareis jetzt nicht für den Rest seines Autorenlebens schmerzvolle Roadtripps im Halbschatten bestreiten. Ein Mann mit seinem erzählerischen Talent hat weiß Gott etwas Besseres verdient. Als nächstes sind mal andere Geschichten dran, bitte nicht noch so eine asketische Entsagungstour.
Das Buch hat in der Mitte viele farbige Fotos zu den Reiseszenen. Im vorderen Umschlag ist es mit einer groben USA-Karte ausgestattet, die einen die zwei Routen auch geographisch mitverfolgen lassen. Einen Blog oder weiterführende Informationen im Internet gibt es anscheinend nicht.
Das Buch erscheint bei Malik, hat 256 Seiten und kostet 16 €.