Michael Langer (*1959, Wien) ist Gitarrist, Komponist, Bearbeiter und Instrumentalpädagoge, sowie Herausgeber von Noteneditionen in den Bereichen klassische Gitarre, Fingerstyle und Pop. Er unterrichtet als Professor an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz und an der Musik und Kunst Universität in Wien. Das Interview fand in schriftlicher Form im November 2022 statt und wurde geführt von Dr. Dennis Schütze (Foto: M. Pollert).
F: Herr Prof. Langer, was hat sie als jungen Menschen zum Instrument Gitarre hingezogen? Wie haben sie sich das Instrument zu Beginn angeeignet? Mit welchem Lehrwerk, welcher Gitarrenschule und welchen Lehrern haben sie später das klassische Gitarrenspiel erlernt?
Ich habe mit der E-Gitarre begonnen, meine Vorbilder waren die beiden Gitarristen der Allman Brothers Band, einer Südstaaten-Rockband, in Originalformation aktiv in den 1970er-Jahren. Gelernt habe ich autodidaktisch, was bedeutet hat, sich von jedem Gitarristen, den ich traf und der als Vorbild herhalten konnte, was abzuschauen und die alten Platten im halben Tempo (damals eine Oktav tiefer!) abzuquälen, um hinter die „großen Geheimnisse“ zu kommen. Mitten in meiner Schulband-Karriere meinten dann Freunde, ich solle doch am Konservatorium lernen. Da man sich damals dort „nur“ klassisch bewerben konnte, besorgte ich mir die entsprechende Gitarre und lernte mir drei Stücke ein (darunter eine Eigenkomposition). Dass ich dann aufgenommen wurde, erscheint heute unmöglich, aber auch damals war es unglaublich. Als mein Professor dann schnell dahinter kam, was mir alles an Unterbau fehlte, begann eine harte Zeit, wie man sich gut vorstellen kann. Aber über all dem stand für mich, der nie mit Musikschul- oder Privatunterricht in Berührung gekommen war, die beglückende Tatsache, dass da einer eine Stunde lang bereit war, mir etwas über mein geliebtes Instrument zu lernen.
Also zurück zu ihrer Frage: Kein Lehrwerk, keine Gitarrenschule, meine klassischen Lehrer waren Robert Brojer am Konservatorium Wien, Heinz Irmler an der Musikhochschule Graz, Robert Wolff und Konrad Ragossnig an der Musikhochschule Wien.
F: Sie haben klassische Gitarre am Konservatorium der Stadt Wien studiert. Wie war das Studium zu diesem Zeitpunkt angelegt? Was waren gängige Repertoire- und Prüfungsstücke?
Es war ein Gitarrenstudium, das ganz von der Person meines Lehrers geprägt war: In Robert Brojers Buch „Der Weg zur Gitarre“ kann man seinen exakt gereihten Lehrplan nachlesen und ich habe alle diese Stücke gespielt, in genau dieser Reihenfolge… Brojer sang jedes Stück mit, sehr intensiv und musikantisch, jede geringste Abweichung wurde unmittelbar kritisiert. So lernte ich in den folgenden vier Jahren ein großes Repertoire in einer (seiner) lebendigen Version zu spielen. Später bei meinen folgenden Lehrern und vielen Meisterkursen lernte ich, dass man über das was man da so tut auch trefflich nachdenken kann und wie grundlegende Prinzipien, musikalisch wie technisch, individuelles Musizieren ermöglichen.
F: Sie befassten sich umfassend mit dem sog. Fingerstyle-Spiel, das von US-amerikanischen Fingerpickern wie Merle Travis, Chet Atkins und Jerry Reed geprägt wurde. Wie sind sie dazu gekommen, was waren ihre Quellen und wie ließ sich das mit der klassischen Spieltradition vereinbaren / kombinieren?
Mit diesen drei genannten Fingerpickern konnte ich – das muss ich gestehen – eigentlich nie besonders viel anfangen. Obwohl es der Chet Atkins-Epigone Guy Van Duser war, der mich mit seiner Nylonsaiten-Gitarrenversion von „Chattanooga Choo Choo“, die ich im Radio hörte, aus meinen klassischen Träumen zurück zu meinen Pop-Wurzeln riss. Ich habe mich viel mehr bei den Jazz- und Funkgrooves von Tuck Andress, der Einzigartigkeit von Pierre Bensusan oder Michael Hedges, später bei Tommy Emmanuel wiedergefunden. Alles das was ich da hörte, war irgendwie durch meine Pop/Rock-Vergangenheit schon angelegt, das nötige theoretische Rüstzeug hatte ich mir durch mein vierjähriges Jazz-Arrangementstudium verschafft, Groove-Erfahrung im Zusammenspiel in Latinbands gesammelt – ich musste nur noch versuchen es auf der klassischen Gitarre authentisch rüberzubringen und einen eigenen Stil in meinen Kompositionen und Arrangements zu finden.
F: Sie gewannen den ersten Preis beim „American Fingerstyle Guitar Festival“ in den USA. Wann war das, wie kam es dazu und was bewirkte diese Auszeichnung für ihren weiteren Werdegang?
Das war 1989, der Wettbewerb fand alle zwei Jahre statt und ich bin über einen Bericht über das 1987er-Festival, war es im „Guitar Player“ oder in „Frets“ weiß ich nicht mehr, darauf gekommen. Man konnte sich per Musikkassette, die man per Post schicken musste, für die Finalrunde bewerben. Irgendwann kam dann der Anruf und drei Wochen später flog ich zum ersten Mal in die USA. Das Finale fand in einem Theater in Milwaukee statt, die Jury voll mit meinen Fingerstyle Idolen: Guy van Duser, Pierre Bensusan, aber auch John Renbourn und Benjamin Verdery. Die Preisverleihung („and the winner is…“) fand unmittelbar vor einem Tuck & Pattie Konzert statt, wo ich dann noch mit Tuck Andress den größten meiner damaligen Heros traf. Das war Glück pur…
Österreich ist ein Land, in dem viele tolle Musiker groß wurden und werden, aber so richtig gilt man auch hier erst was, wenn man es im Ausland „geschafft hat“ – so war dieser Wettbewerb und der Preis des „Guitar Player“ für mich der Türöffner zu einem Plattenvertrag, vielen Konzerten, Aufmerksamkeit.
F: Sie veröffentlichten ab Anfang der 1990er einige Alben mit Fremd- und Eigenkompositionen und bewegten sich dabei fließend zwischen Klassik, Folklore und Pop. War es schwierig bei diesem vielfältigen Interesse den einzelnen Stilen gerecht zu werden?
Eigentlich nein, das ist genau mein Thema auf der klassischen Gitarre Spieltechniken soweit zu „biegen“, dass man authentisch klingen kann. Auf der einen Seite begann ich einfache Spielhefte und später Gitarrenschulen zu veröffentlichen, wo ich Folk- und Popelemente verwendete um klassische Gitarre zu erlernen und die Kinder in ihren Hörgewohnheiten abzuholen, also die Grenzen niederzureißen und Klassik und Pop auf eine Stufe zu stellen. Auf der anderen Seite wurde mir, je tiefer ich in meine eigene Musik rutschte klar, wie weit die beiden Seiten dieses Crossovers auseinanderrückten, nicht nur vordergründig in der Groove, auch in Artikulation, wie man mit Dynamik Bögen spielt und trotzdem am Beat „pickt“ und vielen anderen Details. Das ist superspannend, ich habe bis heute nicht ausgelernt, aber ich erlebe es nicht als „schwierig“: Ich kann mir viele Details bewusst machen, das muss ich ja auch als Lehrer, aber ich kann es auch einfach nur passieren lassen.
F: Mit STS, Peter Ratzenbeck, ihnen selbst und anderen gab es in Österreich in den 1990ern eine interessante und innovative Akustikgitarrenszene. Was ist daraus geworden und wie bewerten sie das rückblickend?
STS habe ich jetzt nicht unbedingt als Akustikgitarren-Pioniere am Schirm, ich hoffe da tue ich niemandem Unrecht. Peter Ratzenbeck war der Fingerpicking-Platzhirsch in Österreich mit einer großen Fangemeinde und vielen – heute würde man sagen – Followern, die treu seine Seminare und Konzerte besuchten. Wir haben in diesen Jahren ein Trio gegründet „RTL3“ – Ratzenbeck-Theessink-Langer und als Gitarrentrio an den feinsten Plätzen für Popmusik in Österreich gespielt, immer ca. 1000 Zuschauer im Schnitt. Für mich als von der Klassik kommenden Gitarristen war das eine irre Zeit. Ich hatte schon auch klassische Konzerte in großen Sälen gespielt, aber das war immer Stress, viel üben, und versuchen „es zu schaffen“. Und jetzt plötzlich bis auf ein paar virtuose Schnell-Finger-Nummern und zwei Solostücke brauchte ich nur dazu zu improvisieren, einfach nur die Begeisterung genießen und schauen was passiert. Und verrückt: Es hat mich nicht so erfüllt, wie die Solo- und später Duokonzerte mit ziemlich gemischtem, anspruchsvollem Programm, die ich zu spielen begann.
Teil 2 des Interviews folgt.