Im Gegensatz zu Tasten- und Schlaginstrumenten klangen Samples von gezupften Saiteninstrumenten wie Gitarre, Banjo, Mandoline lange Zeit geradezu lächerlich unecht und künstlich. Das liegt an der enormen Vielfalt unterschiedlicher Spiel- und Anschlagsweisen und der daraus schier unbegrenzten Klangfarbenvielfalt. Hinzu kommt, dass der Klang solcher Instrumente von geräuschhaften Artefakten wie Bundrutschen, Quietschen, Schaben, zufälligen Obertönen, Atmung des Spielers etc. unterlegt ist, die schwer sinnvoll nachzuahmen sind. So war es lange Zeit nahezu unmöglich ohne Instrument und Spieler überzeugende Klänge auf Samplebasis am MIDI-Controller zu erzeugen. Das hat sich in den letzten Monaten geändert, denn es gibt zwei neuartige und überzeugende Produkte: „Picked Nylon“ vertrieben von Native Instruments (NI) und „MG Soft Nylon Guitar“ vertrieben von Spitfire Audio.
„Picked Nylon“ (99 Euro) erschien bereits 2021 bei der deutschen, in Berlin ansässigen Musiksoftwarefirma Native Instruments. Die aufwändige Sample-Bibliothek basiert auf der Aufnahme einer brandneu erbauten, klassischen Meistergitarre von Lisa Weinzierl. Töne und Nebengeräusche, Raumanteile und Audioeffekte werden über das Interface Kontakt gesteuert und können bis ins allerkleinste Detail justiert werden. Hier zwei Videos:
The Making of Picked Nylon
Picked Nylon – Walkthrough
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“MG Nylon Guitar” wurde erschaffen von dem TV & Videospiel Komponisten („Assissin‘s Creed“) Mike Georgides. In einem fünf Jahre (!) andauernden Prozess wurde eine nicht namentlich genannte, klassische, Kleinkorpus-Gitarre gesampelt. Vorbild waren die sanften Klänge von gedämpften Soft Pianos, also nahe Mikrophonierung und geringer Raumanteil. Töne und Nebengeräusche, Raumanteile und Audioeffekte werden auch hier über das Interface Kontakt gesteuert und können bis ins allerkleinste Detail angepasst werden. Vertrieben wird das Samplepaket über die bemerkenswerte Community-Plattform „Piano Book“, allerdings entgegen der bisherigen Vorgehensweise, erstmals gegen ein Entgeld von 79 Euro, eine einfache Lite und in ihren Funktionen stark reduzierte Version steht allerdings kostenlos zur Verfügung. Hier zwei Videos:
Piano Book – MG Soft Nylon Guitar
Soft Nylon Guitar – Walkthrough
Fazit/Ausblick: Diese erfreuliche klangtechnische Entwicklung zeigt, dass durch digitales Sampling längst eine neue Ära begonnen hat. Alles ist samplebar und wird auch gesampelt, anschließend editiert, bearbeitet, verändert, verhunzt oder veredelt und so musikalisch und kompositorisch nutzbar gemacht. Die beiden besonderen Samplebibliotheken zeigen, dass auch komplexe Herausforderungen inzwischen bewältigt und technisch und musikalisch nutzbar gemacht werden können. Längst sind unorthodoxe Orchesterspielarten, edelste Einzelinstrumente (Stradivari, Amati, etc.) und in der Wirklichkeit nicht vorhandene Hybrid-Instrumente (Bläser/Streicher-Kombinationen) eine Selbstverständlichkeit, auch wenn es vielleicht noch nicht bei Hörern, teilweise nicht mal unter Musikern bekannt ist. Auf Plattformen wie „Piano Book“ läuft seit einigen Jahren bereits die private/persönliche Versamplung eigenwilliger Unikate. Technisch versierte Klangtüftler sampeln das alte, verstimmte Klavier der eigenen Großmutter oder billiges Plastikspielzeug aus Fernost und stellen es der Community zur freien Verfügung. Erinnert irgendwie an die großen Versprechen der ersten Phase des Internets. Da war mal von Freiheit, Individualität, Selbstverwirklichung, Demokratisierung und freien Zugriff auf Produktionsmittel die Rede, vielleicht wird das in einer kleinen, klangbegeisterten Nische, abseits der großen, digitalen Kontrolletti-Konzerne gerade musikalische Wirklichkeit. Wäre eine schöne Vorstellung, oder?