Im letzten Frühsommer habe ich einen Roadtripp durch den Mittleren Westen der USA unternommen und die Erlebnisse auf einem (Reise-)Blog dokumentiert. Im Zuge dessen habe ich mich mit dem Genre „Reiseberichte“ (nicht Reiseführer) beschäftigt und mir als Vor- und Nachbereitung Literatur von einigen deutschen Autoren besorgt, die die USA bereist und darüber berichtet hatten: Reinhold Ziegler („Es gibt hier nur zwei Richtungen“), Andreas Altmann („Im Land der Freien“), Wolfgang Büscher („Hartland“), Joachim Meyerhoff („Amerika“), allesamt empfehlenswert. Immer wieder begegnete mir auch der Name Timmerberg und ich besorgte mir sein sehr unterhaltsames Buch „Der Jesus vom Sexshop“ (2010), eine Art Best of-Kompilation von Artikeln aus den Jahren 1982 bis 2009.
Im April 2014 erschien nun sein neustes Buch mit dem merkwürdig anmutenden Titel „Die Märchentante, der Sultan, mein Harem und ich“ bei Malik. Timmerberg bleibt seiner unnachahmlichen, eigenen Schreibweise treu, einer Art Mischung aus amerikanischem Gonzo-Journalismus und New Journalism der 1960er/70er Jahre. Er verzichtet komplett auf journalistische Distanz, taucht direkt ein, schreibt durchwegs in der Ich-Form, immer geht es um ihn, die Geschichten, die er erlebt und was sie in ihm auslösen. Fakten spielen keine große Rolle, manchmal wird es esoterisch oder philosophisch, aber auf angenehme Art, die Geschichten fesseln, sind spannend, unterhaltsam, intelligent und witzig, es gibt schrille Personen, inspirierende Orte, dramatische Wendungen und ganz nebenbei wird eine große Geschichte erzählt, nämlich die der preußischen Märchenerzählerin Elsa Sophia von Kamphoevener, die der Erzähler in ein Drehbuch verwandeln will und jahrelang braucht, weil immer wieder Dinge schiefgehen, sich verändern, eine Planänderung erfordern. Er durchlebt dabei Hochs und Tiefs, startet voller Zuversicht, verliert die große Liebe und dann den Faden der Geschichte, versumpft in Marokko, versucht einen Neustart in den USA und dann in Istanbul, bekommt Vorschüsse von Investoren für Drehbücher, die er nie schreiben wird, erfährt Dinge, die alles über den Haufen werfen, versucht einen Sinn zu finden und kriegt schließlich irgendwie die Kurve. Timmerberg geht dabei sehr geschickt vor. Während er vordergründig die Umstände und Ursachen der Nicht-Entstehung des Drehbuchs beschreibt, erzählt er uns, ohne dass wir es merken, die eigentliche Geschichte. Es ist kein Reisebericht, sondern die postmoderne Version eines orientalischen Märchens aus der Sicht des Märchenonkels Timmerberg. Sehr lesenswert.