Das Buch erschien im März 2014 in der Reihe „Weimarer Studien zur Kulturpolitik und Kulturökonomie“ im Leipziger Universitätsverlag und trägt den Untertitel „Bestandsaufnahmen und Perspektiven“ (Preis: 29,00 €). Der Herausgeber Steffen Höhne ist Professor für Kulturmanagement am Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena; der Herausgeber Matthias Maier ist Professor für Medienmanagement an der Bauhaus-Universität Weimar; der Herausgeber Wolf-Georg Zaddach ist Musikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Kulturwissenschaft der Hochschule für Musik Weimar.
Das Buch beginnt mit einer Einführung der Herausgeber Höhne und Zaddach. Auf ca. 20 Seiten wird aus akademischer Sicht die momentane Situation der Musikwirtschaft dargelegt und anhand vieler, teils relativ komplexer Tabellen illustriert und mit Quellenangaben, Fußnoten und einer ausführlichen Literaturliste unterfüttert. Der Text ist informativ, bleibt aber relativ unkonkret. Es wird im Verlauf keine substantielle Fragestellung formuliert. Ebenso versäumen es die Herausgeber eine inhaltliche Brücke zu den folgenden Beiträgen der anderen Autoren zu schlagen. Daher bleibt unklar auf welche Art von Musikwirtschaft die Herausgeber ihren Blick richten. Es wird kein Zeitraum, keine Region, kein ökonomischer Bereich benannt. Geht es um globale Phänomene, den westlichen, den europäischen oder den deutschen Musikmarkt? Geht es um Popmusik oder Klassische Musik oder alles zusammen? Wann ging die Ära der Musikwirtschaft 1.0 zu Ende, wann begann die Ära 2.0, wann ist mit 3.0 zu rechnen? Zu all diesen essentiellen Fragen machen die Herausgeber keine Angaben und somit bleibt die konkrete Thematik der Aufsatzsammlung undeutlich und diffus.
Die beteiligten Autoren sind in ihrer Mehrzahl Professoren, Lehrbeauftragte und wissenschaftliche Mitarbeiter aus den Fachbereichen Musik-, Kultur- und Medienwissenschaft (ost-)deutscher Universitäten und Musikhochschulen. Die Ausnahmen bilden ein Rechtsanwalt und ein Komponist zeitgenössischer Kunstmusik. Praktiker, die tatsächlich musikwirtschaftlich tätig sind und als Tagesgeschäft betreiben sind nicht darunter. Also kein einziger Vertreter eines Verlages oder Labels, kein Konzertveranstalter, kein Produzent, kein DJ, kein Songschreiber, kein Bühnen- oder Studiomusiker, kein Musikpädagoge, kein Vertreter von führenden Download- oder Streamingportalen, kein Lizensierungsfachmann, kein Werbe-, Film- oder Theatermusikverwerter, kein Blogger oder Netztheoretiker. Die Texte sind dadurch in ihrer Summe sehr theoretisch angelegt und haben sehr wenig mit musikwirtschaftlicher Praxis zu tun. Die Herausgeber und Autoren legen stattdessen hohen Wert auf wissenschaftlicher Nachweise in Form von Fußnoten und Literaturangaben, die zum Teil nahezu genauso viel Umfang haben wie die eigentlichen Texte.
Nach der Einführung folgen 15 wissenschaftliche Aufsätze ohne erkennbare thematische Ordnung. Wie bei derartig herausgegebenen Aufsatzsammlungen üblich gibt es auch hier Höhen und Tiefen, Licht und Schatten. Herausragend gut sind sicherlich die Beiträge von Martin Pfleiderer („Musikpolitik/Öffentliche Musikförderung“), Martin Lücke („Der deutsche Klassikmarkt“) und Matthias Maier und Nancy Richter („Unbestimmtheiten der Musikindustrie 2.0. Eine Prozessperspektive“). Neben anderen ordentlichen, wenn auch zum Teil sehr speziellen Beiträgen, sind leider auch einige bemerkenswert schwache Beiträge darunter. Einige davon können wohl fast schon als akademische Kuriositäten gewertet werden, die Herausgeber haben hier versäumt vor der Veröffentlichung tätig zu werden. Zu nennen ist hier der Aufsatz in englischer Sprache der deutschen (!) Autoren Graeff, Küppers, Pfeifer und Pinto mit dem sagenhaften Titel „Automatic Retrieval of Rhythmic Patterns for the Global Database“. Warum wird von deutschen Autoren, in einer deutschen Publikation einer deutschen Universität eigentlich ein langweiliger Aufsatz in schlechtem akademischen Englisch publiziert?
Ein herausragendes Beispiel für einen Aufsatz mit akademischen Tunnelblick stammt von Knopke und Wernicke und trägt den Titel „#fusionfestival – Tribal Tagging bei Twitter am Beispiel des Fusion Festivals in Lärz 2013“, ein für Außenstehende noch weniger relevantes Thema zu formulieren dürfte schwer fallen (Lärz ist eine kleine Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern und hat aktuell 507 Einwohner, die Autoren sind vermutlich zwei davon) .
Eine astreine Themaverfehlung ist der Aufsatz des Herausgebers (!) Höhne mit dem Titel „Perspektive Kreativunternehmer? Rollenbilder und –modelle“. Man wird visuell zugeschüttet mit komplizierten Zahlen, unleserlichen Tabellen, langen Fußnoten und Bezugnahmen ohne klare Aussage. In seinem Fazit schafft es Höhne – wohlgemerkt in einem Band über „Musikwirtschaft“ – die bildenden Künstler Marcel Duchamp, Andy Warhol und Joseph Beuys als Repräsentanten für, ja für was eigentlich, zu nennen. Warum ist hier keiner der anderen Herausgeber dazwischen gegangen? Antwort: Zaddach ist Höhnes wissenschaftlicher Mitarbeiter, was soll er schon machen?
Wohl eher unfreiwillig witzig, dafür aber richtig unterhaltsam, ist dann der abschließende Text von Ludger Vollmer. Er ist nach eigenen Angaben freiberuflicher Komponist von z.B. modernen Opern und erklärt dem interessierten Leser etwas wirr seine eigenwillige, teils skurrile, teils deutlich ins Groteske kippende Sicht auf sein Berufsleben. Zitat: “Das ‚Covern’ populärer kommerzieller Musik ist gut für das schnelle Geschäft (…)“, sein Lieblingswort ist „volitiv“ (willentlich, gewollt). Hier gibt es im Gegensatz zu den anderen Aufsätzen keine einzige Fußnote oder sonstige Quellenangabe, alles anscheinend selbst ersonnen, das Ende des Textes bildet die Liste einer Auswahl eigener kompositorischer Werke mit Angaben über Ur- und Folgeaufführungen. Aha, nun gut. Was diese eitle, egozentrische und nicht repräsentative Selbstdarstellung in einem akademischen Fachband verloren hat, müsste noch geklärt werden, vermutlich gehört Vollmer aber zu Höhnes oder eben Maiers akademischer Nachbarschaft in Weimar.
In seiner Gesamtheit verschafft die Textsammlung dem Leser einen sehr akademischen und leider etwas praxisfernen Blick auf eine nicht näher definierte „Musikwirtschaft“. Einige, nicht alle Texte, sind informativ, interessant und in sich geschlossen. Den von den Herausgebern nicht formulierten thematischen Schwerpunkt bilden die Auswirkungen des Digitalen Medienzeitalters auf die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen der klassischen Musik in Deutschland, andere musikalische Stilistiken und entsprechende Märkte spielen im Band kaum eine Rolle.
Es wäre schön gewesen, wenn man als Leser wenigsten einen kleinen Einblick in die gängige und für viele Musikschaffende alltägliche wirtschaftliche Praxis abseits des subventionierten deutschen Klassikorchesterbetriebs bekommen hätte. So wirkt das Buch insgesamt doch etwas abgehoben, unzugänglich und dadurch in Teilen auch überflüssig. Ansonsten als Ergänzung zu anderen praktischen Betrachtungen oder als Detailausschnitt für praxisfremde oder -entfremdete Akademiker eventuell anregend.