Buch: „Was die deutschen Universitäten von den amerikanischen lernen können und was sie vermeiden sollten“ von Mark Roche

RocheMark Roche ist Professor für deutsche Literatur und Philosophie an der University of Notre Dame, USA. Im Laufe seiner akademischen Karriere hat er in Deutschland studiert, geforscht und gelehrt und neben zahlreichen Publikationen zur deutschen Literatur- und Geistesgeschichte Bücher und Aufsätze zur Entwicklung von Lehre und Forschung veröffentlicht.
Nach einem einleitendem Vorwort folgen drei klar strukturierte Kapitel in denen Stück für Stück auf das im Titel formulierte Thema hingearbeitet wird. Die Kapitel tragen die Überschriften: ‚Idee und Wirklichkeit der Universität’, ‚Hauptmerkmale des amerikanischen Universitätswesens’ und ‚Herausforderungen und Chancen des Wandels in Deutschland’.

Im ersten Kapitel erklärt Roche die historische Entwicklung des deutschen, universitären Bildungssystems von den Anfängen in der Renaissance bis zur gegenwärtigen Situation nach Bologna. Dargelegt wird wie sich die ersten deutschen Universitäten mit eng abgesteckten Fächerangebot (Jura, Theologie, Medizin) im 19. Jahrhundert fachlich immer breiter aufstellten und sie sich ab Mitte des 20. Jahrhunderts innerhalb relativ kurzer Zeit von Eliteeinrichtungen zu Massenuniversitäten wandelten. Hier liegt aus seiner Sicht auch ein zentraler Punkt: Während an den amerikanischen Universitäten durch höhere Studentenzahlen mehr Studiengebühren generiert werden konnten und somit auch höhere Etats zur Verfügung standen, wurden in Deutschland bei dem Wandel zur Massenuniversität die Mittel immer knapper, was sich auch deutlich im Betreuungsschlüssel (Prof. pro Stud.) niederschlägt (USA: ca. 1:17, D: ca. 1:76). Die zuletzt umgesetzte Bologna-Reform deutet Roche als hoch problematische Amerikanisierung des deutschen Systems und zeigt aus seiner interessanten und gut durchdachten Außenperspektive die Probleme und Herausforderungen dieser Entwicklung auf.

Dem gegenüber stellt Roche das traditionelle und das moderne amerikanische System, das er in durchaus überzeugender Weise als erfolgreich, stark und wirkungsvoll beschreibt. Er begründet dies mit nüchternen Fakten aus diversen, etablierten (Bildungs-)Studien und Erhebungen. Das US-amerikanische Unisystem ist feingliedrig (Community College, College, staatliche und private Universitäten, Lehr- und Forschungsunis), finanziell besser ausgestattet (Studiengebühren, Spenden, Sponsoren, Patente, staatliche Unterstützung, etc.), erfolgreicher (viele Absolventen, darunter bedeutende Innovatoren, Forscher, (Nobel-)Preisträger etc.), das amerikanische System hat weniger Studienabbrecher, mehr Absolventen, einen weltweit vorbildlichen Betreuungsschlüssel (s.o.), optimale Lehr- und Lernbedingungen, befördert aktiv den Netzwerk und Community-Gedanken (durch Campus, Verbindungshäuser, Sport-, Kultur- und andere Aktivitäten, Mentorensystem, Jobvermittlung und Alumni etc.). Zusammengefasst werden diese Vorteile von Roche unter den Unterüberschriften Vielfalt, Flexibilität, Wettbewerb, Anreizstrukturen, Verantwortlichkeit, Studienzentriertheit und Gemeinschaftsgeist.

Im letzten Kapitel werden dann abschließend alle angesprochenen Themen gebündelt und Ansätze für wünschenswerte Veränderungen für das deutsche System vorgelegt. Dabei wird klar, dass Roche kein idealistischer Träumer ist, sondern in seiner Funktion als Dean des College of Arts and Letters (1997-2008) durchaus gelernt hat realpolitische Machbarkeiten zu ermessen und gegebenenfalls auch mit Nachdruck durchzusetzen. Durchwegs wirkt er positiv und unvoreingenommen, benennt die Probleme, Herausforderungen und Chancen direkt und ohne ideologische Umschweife und pflegt damit eine unprätenziöse und sehr erfrischende Argumentationsweise. Für deutsche Akademiker, insbesondere für solche, die das deutsche System der letzten Jahre als Juniorprofessoren, Lehrbeauftragte oder Studenten erlebt und durchlitten haben, werden immer wieder bekannte, aber selten diskutierte Missstände und Probleme des deutschen Systems ohne Umschweife oder Standesdünkel beim Namen genannt. Hier profitiert Roche deutlich von seiner unvoreingenommenen, alternativen Sichtweise und reflektierten Erfahrung. So schreibt er zum Thema Lehre an deutschen Universitäten:

„Der größte Skandal des deutschen Hochschulwesens ist nicht, dass es seinen Spitzenrang in der Forschung verloren hat – das ist bei der Mittelknappheit vorhersehbar. […] Der Skandal ist die Lehre. Würde diese [in Rankings] bewertet werden, dann stiegen die deutschen Universitäten fast mit Sicherheit noch weiter ab.“ (Roche, S. 60)

Zum Thema Studienaufbau: “Deutschland fehlt überhaupt eine Tradition des strukturierten Grundstudiums.“ (S.61)

Über die zurückliegende Veränderung: „Die Bologna-Reformen waren kaum von einer höheren Idee oder einer Zielvorstellung begleitet. Es hatte den Anschein, als bestünde das Ziel allein darin, äußeren Standards zu genügen, bei denen es um Mobilität und Anerkennung von Studienabschlüssen ging; um eine höhere Abschlussquote von Studenten, indem niedrigere Abschlüsse angeboten werden; um die Steigerung der Effizienz und die Verringerung der Überfüllung, indem man die Studenten schneller durch das System schleust. […] Die Preisgabe des deutschen Ideals von Erkenntnis als Selbstzweck könnte für diese und ähnliche Reformen das größte unausgesprochene Problem sein. […] Eine wirklich anregende, kraftvoll motivierende Vision sieht anders aus.“ (S. 224)

Fazit: Roche ermöglicht dem Leser einen umfassenden und detaillierten Blick auf das moderne, tragfähige und praxiserprobte US-amerikanische Universitätssystem. Ein Buch, das nicht nur für Professoren, Lehrbeauftragte und Studenten, sondern für den gesamten (Aus-) Bildungsstandort Deutschland und insbesondere für verantwortliche deutsche Bildungspolitiker höchstinteressant sein sollte. Die Zusammenhänge zwischen den auf den ersten Blick z.T. sehr unterschiedlichen Systemen in den USA und Deutschland werden in einer gut lesbaren, unakademischen Sprache prägnant erklärt und die Situation, Probleme und mögliche Lösungen verständlich dargelegt.

Mark Roche hat mit seinem Buch hervorragende, bitternötige, aufklärende Arbeit geleistet für die man ihm auf dieser Seite des Atlantiks nur danken kann, dicke Empfehlung.

Das Taschenbuch erschien im Oktober 2014 bei Meiner und kostet 22,90 €.

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