Juan’s Flying Burrito – St. Charles Streetcar – Funky 544

Ich habe schon davon berichtet, dass die vergangenen Tage fuer mich rein physisch ziemlich anstrengend waren. Den ganzen Tag auf den Beinen, die feuchte Waerme, die sengende Hitze, vielleicht spielt auch noch der Jetlag und das unregelmaessige und ungewohnte Essen mit rein, gestern hatte ich jedenfalls das dringende Beduerfnis mal einen Gang runter zu schalten. Habe also – soweit das in einem Zimmer mit sieben anderen eben moeglich ist – versucht auszuschlafen und mir Zeit gelassen beim Fruehstueck (Kaffee & Oatmeal mit Fruechten aus der Dose). Dabei bin ich mit anderen Gaesten aus aller Herren Laendern ins Gespraech gekommen, alles sehr nette, neugierige und aufgeschlossene junge Menschen. Danach habe ich mich ausfuehrlich dem Blogeintrag gewidmet und ein spaetes Mittagessen im Mexikaner umme Ecke eingenommen. So sah mein ToGo-Essen aus.
IMG_2558Auf den ersten Blick vielleicht etwas steril, hat aber wirklich gut geschmeckt. Danach eine kleine Runde auf dem ueberdachten Gehsteig in der Magazine Street, vorbei an vielen kleinen, zum Teil etwas kuriosen Laeden und nochmal kurz zurueck zum Hostel um mich fuer den zweiten Teil des Tages bereit zu machen. Um meine Fuesse etwas zu schonen hatte ich mich entschlossen, St. Charles Streetcar einmal bis zur Endstation und wieder zurueck zu fahren und das habe ich dann auch getan. Ist schon sehr entspannt in einer solch alten Strassenbahn die Avenue runter zu cruisen. Fenster stehen alle offen, draussen eine segende Hitze, aber man sitzt im Schatten und der Fahrtwind blaest einem angenehm ins Gesicht und unters Hemd. Die Schienen liegen auf der Mitte der Strasse und die sandige Strecke wird auch von den Joggern der Stadt als Laufstrecke benutzt. Hier der Blick ueber die Schulter des Wagenfuehrers, ich stand und sass die meiste Zeit direkt hinter ihm.
IMG_2574Auf dem Rueckweg bin ich schon nach der ca. der Haelfte der Strecke auf Hoehe Napoleon ausgestiegen und nach Sueden Richtung Fluss gelaufen, weil ich ins legendaere Tipitina’s gehen wollte, ein Konzertsaal in einem alten Lagerhaus, wo z.B. schon Livealben von Anders Osborn u.a. entstanden sind. Ich war zu frueh dran und als dann endlich die Tueren geoeffnet wurden, wurde ich erstmal gefilzt wie ein Kleinkrimineller, dazu die obligatorische ID-Kontrolle. Selbst die gut gelaunten Damen vor mir, die aussahen wie 60, aber wahrscheinlich knapp ueber 70 waren, mussten beweisen, dass sie ueber 21 sind. Was fuer ein schlechter Witz, es ging vermutlich eher darum Machtverhaeltnisse klarzustellen. Mir wehte an der Tuer eine arktische Brise entgegen (Klimaanlage), das Ticket war auf einmal deutlich teurer als im Netz angekuendigt, meine Fuesse taten weh, es gab keine Sitzplaetze und noch mindestens 60 Min bis zum Konzertbeginn und auf einmal hatte ich keine Lust mehr mich dem auszusetzen, irgendwie passte das alles fuer mich nicht mehr zusammen. Noch bevor ich das Eintrittsgeld bezahlt hatte, ging ich einfach wieder, zurueck zu Magazine St. und von da aus Richtung Osten, aber ich hatte es uebertrieben, schon wieder zuviel gelaufen, mittlerweile hatte ich auch den Schmerz lokalisiert, ich hatte den starken Verdacht, dass es sich um eine Nagelbettentzuendung an der linken Grossen Zehe handelte, aber das half mir jetzt auch nicht weiter, ein rettender Bus fuhr mir direkt vor der Nase davon, also wieder rauf zu St. Charles, da auch wieder, ich biege um die Ecke, das Streetcar faehrt ab, ohne mich. Mann-O-Mann. Die Bahnen fahren nicht nach Plan, zwar die ganze Nacht, kommen aber ab dem Abend und insbesonders in der Nacht sehr unregelmaessig. Ich wartete also, es dauerte ca. 15-20 Min bis ich das Licht am Ende der Strecke auf mich zukommen sah, und die ganze Zeit ueber stand 100 Meter weiter ein Wagen des New Orleans Police Department, Motor an (klar), Lichter auch. Ich war mir sicher, die beobachten mich oder war ich schon paranoid und die Cops haben doch nur ihre fettigen Doughnuts verdrueckt? Keine Ahnung, irgendwann kam dann endlich das Streetcar und ich war wieder unterwegs.
Mein Fuss tat mir mittlerweile so weh, dass ich froh war einen Sitzplatz zu ergattern und ich zog den Schuh aus damit sich die Zehe etwas erholen konnte. Kurz spielte ich noch mit dem Gedanken den angebrochenen Abend noch irgendwie fortzusetzen, sollte ich mal durchfahren bis zum French Quarter und schauen was im Preservation Hall gerade so passiert? Aussteigen haette laufen bedeutet, aber weiterfahren noch mehr laufen. Die Frage beantwortete sich dann von selbst, bei meiner Station war an aufstehen, aussteigen und zu Fuss gehen nicht mal zu denken, ich blieb einfach sitzen und ueberliess mich meinem Schicksal. Am Turning Point an der Canal St. war ich wieder einigermassen zu Kraeften gekommen, ich und alle anderen Passagiere mussten dort aussteigen, mir blieb also keine Wahl. Wie ein angeschossener Cowboy in einem ranzigen Spaghetti-Western schleppte ich mich ueber die Kreuzung ins French Quarter und was mich da erwartete trotzt jeder Beschreibung: Ueberall angetrunkene Touristen mit bunten Ketten um die Haelse und Bier- und Cocktailbecher in den Haenden, aus den billigen Kneipen droehnte noch billigere Livemusik und Karaoke, Fress- und Pommesbuden, Friteusengestank, ueberquellende Muelltonnen, dazwischen besoffene Landeier, Transen, Frauen in knappen Kleidern oder gleich im Bikini, Polizisten auf Pferden, roehrende Motorraeder, immer wieder auch verdunkelte SUVs, auf dem Boden zertretene Becher, Essenreste, Erbrochenes, es war wiederlich. Ich war in der Vorhoelle des Muggertums gelandet, eine Strafe fuer alle Musiker, die fuer das schnelle Geld uninspirierte Coversongs rauf und runter leierten. Ich versuchte mir einen Weg zu Bahnen zu Preservation Hall, das erschien mir die einzige moegliche Rettung um Kraefte zu sammeln und diesen Moloch hinter mir lassen zu koennen. Nach etlichen Blocks erreichte ich endlich das Gebaeude, die vorletzte Show hatte gerade begonnen und in der Reihe standen schon wieder locker 80 Personen fuer die letzte Show um 22:00 bereit, es hatte keinen Sinn, ich wuerde an diesem Abend nicht reinkommen, ich musste wieder umkehren, zurueck und raus aus diesem Wahsinn. Aber alles sah gleich aus, ueberall Neon, alle schrien sich an, bruellten, lachten laut, aus mir unbekannten Gruenden, lachten sie ueber mich? Ich verlor den Ueberblick, die Orientierung, ich verlief mich, mein Zeh schmerzte wie verrueckt, ich hatte schon seit Stunden beim Laufen eine unnatuerliche Schonhalteung eingenommen und jetzt schmerzte mir die linke Wade, war kurz vorm krampfen, ich musste immer wieder kleine Pausen einlegen, wollte mich setzen, aber wo, und auf einmal stand ich vorm Funky 544, einem halbvollen Laden aus dem die ersten Klaenge des Abends hallten, die ich als Musik klassifizieren wuerde, also rein, ein paar Meter nach dem Eingang: Ein Barhocker, ja, endlich sitzen.
Auf der Buehne stand – entgegen meiner schlimmsten Befuerchtung – eine sympathische R&B-Band mit einer Saengerin und einem Saenger. Die Saengerin wirkte fast irreal, sah aus wie die junge Whitney Housten und war mindestens 1-2 Wochen ueber dem Termin schwanger (und mit Schwangerschaften kenne ich mich mittlerweile aus, Leute), sie sang goettlich, eine weitere Frau um Drumset, der Gitarrist und der Bassist hatten Kopfhoerer auf waehrend sie spielten, der Basser zusaetzlich ein kleines Buendel Geldscheine in der Zupfhand (cool, das muss ich nach meiner Rueckkehr auch gleich ueben, Musik machen und dabei gleichzeitig Geld zaehlen). Sie spielten Blackmusic ab ca. 1960, aber sie muggten nicht, sie interpretierten, wenn sie es nicht gefuehlt haben, haben sie es gnadenlos gut imitiert, was fuer den Betrachter dann so ziemlich auf’s selbe hinauslaeuft. Und gutes Entertainment kann man in diesem Land oft auch schon auf kleinsten Buehnen erleben. Nach dem Gig ist die Saengerin mit Sicherheit direkt und ohne weitere Umwege auf die Entbindungsstation gebracht worden, kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass bei ihrem Gehampel und Geshake nicht im weiteren Verlauf des Abends irgendwann die Fruchblase geplatzt ist.
IMG_2585Ich war voruebergehend mit dem Schicksal versoehnt, nach ca. 45 Min hatte ich wieder genuegend Kraefte gesammelt um weiterziehen zu koennen. Als ich in der Canal St. ankam, fuhr mir das St. Charles Streetcar vor der Nase weg, nee, war klar, ich konnte mich nicht mal mehr darueber aufregen, sondern habe mich einfach auf irgendeine Bank gesetzt und gewartet, war schon laengst im Ueberlebensmodus (nicht unnoetig Energie verschwenden). Irgendwann kam tatsaechlich ein weiteres Streetcar, ich an Bord, ab die Post, runter bei Felicitiy (was fuer ein Witz, ich konnte aber nicht drueber lachen) und zum Hostel geschleppt. Ich war froh, dass es dunkel war und keiner sehen konnte wie ich mich die letzten Meter gequaelt habe. Was fuer ein Albtraum, morgen muss ich zum Arzt gehen.

6 Gedanken zu „Juan’s Flying Burrito – St. Charles Streetcar – Funky 544

  1. Es wäre schon gut, wenn du mal zum Doc. gehst. Wenn das die Zehe ist, kannst du mit Betasalbe oder Lösung oder Rivanol oder so ähnlich was machen. Wenn die Wade schmerzt und das nicht durch die Schonhaltung kommt, solltest du schnellstens zum Arzt. Wünsch dir gute Besserung, weiter schöne Blogeintrage denen natürlich gute Erlebnisse vorausgehen sollen und frohe Ostern.

  2. @dennis: Aua! Das kommt ganz schön schlimm rüber. Der Schmerz und auch ein wenig Frust läßt sich nicht verleugnen. Pass auf, daß das mit der Wade nicht Richtung Blutvergiftung geht. Gute Besserung.

  3. Großartiger Bericht!
    Das letzte verpasste Streetcar erinnert mich ein wenig an einen Vers aus dem Element-of-Crime-Song „Am Morgen danach“: … erst kam die Nacht und dann kam der Regen, Du ohne Plan und ich ohne Schirm, war ja klar.

    Mit dem eingewachsenen Nagel musst Du unbedingt zu einem Arzt oder zu einem Podologen. Nach dessen Behandlung wirst Du wie auf Wolken gehen. Mein linker, großer Zeh macht auch immer Probleme. Ich widme mich ihm mindestens ein Mal die Woche mit einer Zange, die ich extra dafür angeschafft habe.

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