Eine dunkle Geschichte muss ich noch aus meiner Kindheit erzählen. Ich war wohl noch in der Vorschule, da schenkte mir die gute Mutter 10 Pfennige, um mir auf dem Schulweg einen Apfel zu kaufen. Zu meiner freudigen Überraschung bekam ich von der Äppelfrau 40 Pfg. heraus. Was sollte ich nun mit diesem unverhofften Reichtum anfangen? Auf den Gedanken, ihn einfach der Mutter zurückzugeben, kam ich leider nicht, vielmehr sollte etwas Unerhörtes damit geschehen. Ich kaufte also auf dem Heimweg für volle 40 Pfg. Bonbons und erschrak nicht wenig, wie ich die Riesentüte sah. Was nun damit anfangen? Mit schwante wohl so was, dass juristische und moralische Bedenken bestehen könnten den Raub zu Hause zu präsentieren. Allein essen aber konnte ich ihn bei der größten Kraftanstrengung auch nicht. So blieb mir nichts anderes übrig, als großzügig davon an Kameraden zu verteilen, was eine augenblickliche Steigerung meines Ansehens zur Folge hatte. Diese Freude war indessen nur von kurzer Dauer und sie nahm immer mehr ab, je näher ich dem Vaterhause kam. Die Hoffnung, dass die Mutter von dem Versehen nichts gemerkt hätte, erwies sich leider als trügerisch, ich wurde mit den Worten empfangen: „Ich habe Dir ja 50 Pfg. statt 10 gegeben, wo sind die 40 Pfg.?“ Vergebens stellte ich mich dumm: „50 Pfg.? 40 Pfg.? …?“ Es half nichts und ich war nicht gerissen genug, die Ausrede zu erfinden, dass die Äppelfrau es wohl nicht gemerkt hätte. Es folgten Betrachtungen meiner Mutter über die Schändlichkeit meiner Handlung, begleitet von bedauerlichen Handgreiflichkeiten, wie ich fürchte. Und so nahm mein erstes Auftreten als Wohltäter der Menschheit ein trübes Ende. Auch habe ich von einer nachhaltigen Wirkung meines Edelmuts bei meinen Kameraden nichts gespürt.
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Ludwig Hermann Schütze (1869-1943) ist mein Urgroßvater väterlicherseits. Er war Kunsthändler und Kunstkritiker, arbeitete viele Jahre für die Photographische Gesellschaft Berlin (davon elf Jahre in New York) und verfasste im Laufe seines Lebens journalistische, literarische und autobiographische Texte.
Sehr schön!
Ich kenne auch so eine ähnliche Geschichte 🙂 Sehr schön geschrieben!!! Vielleicht hast du ja noch jemanden in deiner Familie, der sehr schön zeichnen kann? Schöne Geschichten, schöne Zeichnungen = schönes Buch…..
@Mandy: Seit ich den Blog betreibe werde, taucht das Buch immer wieder auf, ich werde regelmäßig darauf angesprochen. Erstmal reicht es mir Artikel für den Blog und eben meine Songs zu schreiben, mal sehen was sich noch ergibt.
Übrigens hat meine Cousine Martina Schütze in der Schweiz vor kurzem ein Kinderbuch mit Bildern veröffentlicht, allerdings über eine ernstes Thema. Hier ein Link: http://picoundich.ch/
@Dennis: Kann ich gut verstehen, der Tag hat ja nur 24 Stunden!
Schönes Buch und wichtiges Thema!
@Mandy: Habe auch den Eindruck, dass ich mit meinem Blogartikel wesentlich direkter und kostengünstiger viel mehr Leute erreichen kann als mit den klassischen Medien CD, Buch, etc. Teilweise habe ich sogar den Eindruck, dass das Konzert nicht mehr so funktioniert wie ehemals. Die Unmittelbarkeit von Konzerten lässt sich aber natürlich nicht im digitalen Format darstellen. Vielleicht ganz gut so, sonst müsste ja keiner mehr seine vier Wände verlassen.