Buch: „Der gläserne Dichter“ von Erasmus Schöfer

DerGläserneDichterErasmus Schöfer wurde 1931 bei Berlin geboren und ist dort aufgewachsen. Im Laufe seines Lebens wohnte er in Köln, Freiburg, München, Neuss, Paris und auf den griechischen Inseln Patmos und Ithaka. Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als freier Schriftsteller fiel er durch starkes gesellschaftspolitisches Engagement als linker Aktivist auf (Protest gegen Notstandsgesetze, Ostermarschbewegung, Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, DKP-Mitglied). Er ist Autor von Prosabänden und zahlreichen Hörspielen und lebt und arbeitet vorwiegend in Köln. „Der gläserne Dichter“ basiert auf einer Arbeit für eine Sendung des SWR und erschien in Buchform schließlich im Jahr 2010. Der Untertitel lautet treffend „Eine Besichtigung“. Der Text ist ein in der dritten Person („Der Dichter“) formulierter innerer Monolog, der die Arbeit und das Arbeitsumfeld des schreibenden Dichters portraitiert. Die rücksichtslose Inaugenscheinnahme ist ganz offensichtlich stark autobiographisch geprägt und gleichzeitig Selbstdarstellung, Eigenanalyse, Offenbarung, Reflexion, Desillusionierung. Sie ist ehrlich, faszinierend, gnadenlos, manchmal schmerzhaft, schamlos und selbstkritisch, niemals selbstherrlich oder verklärend.

Geschrieben wird über Arbeitsrhythmus und Selbstmotivation, über Ablenkungen während des Schreibens, körperliche Bedürfnisse, gedankliche Abschweifungen, ermüdende Korrekturarbeiten, langwierige Briefwechsel und Telefonate mit Redakteuren von Sendern und Verlagen, Reaktion auf die eigenen Schriften im persönlichen Umfeld, über Kritiken, Literaturpreise und die Einschätzung von Arbeiten der Schriftstellerkollegen. Es geht um die Archivierung der eigenen, literarischen Hinterlassenschaft, um Honorarverhandlungen, Finanzen und Steuern. Um die eigene Körperlichkeit, um Kaffee, Tee und Zigaretten, die Analyse der eigenen krakeligen Handschrift, um inhaltliche Zugeständnisse an den etablierten Literaturmarkt, um die Hoffnung auf den großen Wurf, das monumentale Epochenwerk, das endlich zum verdienten künstlerischen Durchbruch führen soll. Es geht um Tics und Spleens, um seine erfüllende pädagogische Tätigkeit in einer Literaturwerkstatt und bescheidene, private Freuden (Kaffee, Kuchen & Tageszeitungslektüre im Café).

Schöfer formuliert eigenwillig, präzise und in tadellosem Stil. Die Lektüre fordert den Leser, verlangt ihm viel ab, gibt aber auch viel zurück. Immer wieder ist man überrascht wie weit der Autor geht, wie brutal er seine eigenen Unzulänglichkeiten thematisiert. Aber genau das ist eben die Stärke des Büchleins, es ist eine ungeschönte Selbstanalyse, das Protokoll eines langen und engagierten literarischen Arbeitslebens, erfüllt von Eigentümlichkeiten, Selbstzweifeln und Irrwegen, alle bis ins letzte Detail dokumentiert, erläutert und aufgeschlüsselt. Die Formulierung in der dritten Person ist die einzige Abstraktionsebene, die Schöfer einsetzt, um sich persönlich zu schützen, während er sein Arbeits- und Teile seines Privatlebens unfassbar skrupellos offenbart. Eine erhellende Schrift, wenn man sich für die Arbeits- und Lebenswirklichkeit eines kreativen Künstlers interessiert.

Das Buch erscheint bei Dittrich, hat 143 Seiten und kostet gebunden 16,80 €.

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