Buch: „Panikherz“ von Benjamin von Stuckrad-Barre

PanikherzBenjamin von Stuckrad-Barre ist Schriftsteller, Journalist und Moderator. Seit seinem Debutwerk „Soloalbum“ (1998) gilt er als bedeutender, deutscher Popliterat. Nach verschiedenen Praktika folgten Anstellungen als Redakteur beim deutschen Rolling Stone, als Produktmanager beim Plattenlabel Motor Music und als Autor der Harald Schmidt Show. Nebenbei war er als freier Mitarbeiter diverser Zeitungen und Magazine wie FAZ, Die Woche, Stern und taz tätig. Nach turbulenten Anfangsjahren und verschiedenen Buch- und Artikelveröffentlichungen hat er sich seit 2010 wechselnden TV-Formaten gewidmet. Stuckrad-Barre moderierte u.a. „Stuckrad Late Night“ (ZDFneo), „Stuckrad-Barre“ (Tele 5) und „Stuckrads Homestory“ (RBB), allesamt mit eher mäßigem Erfolg. Mit dem autobiographisch geprägtem „Panikherz“ schließt er wieder an seine früheren literarischen Erfolge an und legt eine gewichtige und nüchterne (!) Selbstbetrachtung vor.

Die vergangenen, letzten Jahre müssen gelinde gesagt eine ziemliche Tortur für den Autor gewesen sein. Schon früh ging er offen damit um, dass er unter einer gravierenden Essstörung und ADHS leidet. Hinzu kam nun neben einer offensichtlichen Affinität zu Medikamenten und Drogen ganz allgemein, eine Kokainsucht, die vollkommen eskalierte, ihn mächtig aus dem Tritt brachte und ihn nahezu in den finanziellen und sozialen Ruin trieb. „Panikherz“ beschreibt seine persönliche Entwicklung von Kindheit und Jugend als Pastorenkind in Rotenburg und Bremen, es folgt der Umzug nach Hamburg, erste berufliche Orientierung, dann der große Erfolg mit „Soloalbum“, die darauf folgende Karriere als Der deutsche Popliterat und Beobachter gesellschaftlicher Befindlichkeiten und die verlorenen Jahre der unkontrollierten Drogensucht.

Das Buch ist durchsetzt von der engen Beziehung des Autors zu dem Deutschrocker Udo Lindberg. Zuerst als Fan, dann als Kritiker, schließlich als persönlicher Freund. Der Titel ist bereits ein klarer Verweis, dem Text vorangestellt ist eine nette Anekdote einer gemeinsamen Einreise in die USA, alle Kapitel sind mit Songtextzitaten von Lindenberg betitelt und auch im eigentlichen Text wird Udo immer wieder charmant zitiert, sowohl in Songtextausschnitten, als auch in wörtlicher Rede. Es kommen allerdings auch andere Figuren deutscher und anglo-amerikanischer Popkultur vor u.a. The Bates, Marius Müller-Westernhagen, Helmut Dietl, Thomas Gottschalk, aber auch internationale Größen wie Bret Easton Ellis und Nick Hornby. Mitunter hat man den Eindruck Stuckrad-Barre kennt wirklich alle popkulturellen Celebrities persönlich und vielleicht stimmt das sogar. Das eigentliche Thema des ausführlichen, mitunter sehr schmerzhaften, aber nie langweilenden Selbstportraits ist die Frage nach dem zweiten Akt, ausgehend von einem Zitat von Scott Fitzgerald („There are no second acts in American lives“). Stuckrad-Barre hat so ziemlich alles gesehen und erlebt und als er schließlich den persönlichen Tiefpunkt erreicht hat, stellt er sich die Frage, ob es denn für ihn selbst einen weiteren Akt geben wird. Die Frage ist im Anbetracht der Situation vollkommen berechtigt und die Suche nach einer Antwort wird nach allen Regeln der Kunst durchdekliniert. Es ist anregend, schockierend und unterhaltsam Stuckrad-Barre dabei zu begleiten. Ob er die Antwort darauf gefunden hat bleibt abzuwarten, ist aber letzlich nicht mehr entscheidend, wichtig ist, dass er die Kurve bekommen zu haben scheint und wieder zurechnungsfähig auf dem Damm ist (Udo: „Zurück vom Trockendock!“). Es war übrigens auch wieder Udo Lindenberg, der Stuckrad-Barre den klugen Rat gab nach dem gemeinsamen Tripp ins Headquarter der kalifornischen Traumfabrik einfach ins legendäre und mythenumrankte Promihotel Chateau Marmont in L.A. einzuchecken, sein Leben zu sortieren und den zweiten Akt mit der Niederschrift von „Panikherz“ einzuleiten. Klar dass Udo das gleich erkannte, er kennt sich halt aus mit zweiten Akten.

„Panikherz“ erscheint bei Kiepenheuer & Witsch, hat 564 Seiten und kostet gebunden 22,99 €.

4 Gedanken zu „Buch: „Panikherz“ von Benjamin von Stuckrad-Barre

  1. ..lese ich auch gerade und zögere es etwas raus fertig zu werden, weils echt gut ist, wie du und auch andere rezensenten schon geschrieben haben; erinnert mich etwas an strunk „fleisch ist mein gemüse“, der ja auch seinen ersten akt beschreibt, sein „goldener handschuh“ liegt auch schon im handschuhfach bereit.

    • @Bernhard: Dachte mir schon, dass du das auch auf’m Zettl (Achtung Wortspiel) hast. Du musst nochmal was schreiben, wenn du’s durch hast, ja? Habe mich in der Besprechung mit echter Kritik zurückgehalten, weil: Was soll man da rummachen, der Typ weiss was er tut. Als Autor ist er wirklich far out, als Host und Talkshowgast allerdings absoluter Low-Performer (erst letztens wieder bei Lanz), da setzt bei mir regelmäßig der Fremdscham ein.

      Bzgl. Strunk bin ich noch unentschlossen, das Thema ist so heftig und seinen Individualstil habe ich inzwischen schon bei allen anderen seiner Bücher kennen- und schätzenlernen dürfen. Eigentlich kein weiterer Bedarf mehr, lieber mal was neues.

  2. …dachte ja nicht, dass mich noch was nach all den kritiken an dem buch überraschen würde, aber die zeichnung seines drogenlebens und das indengriffkriegen dessen ist schon sehr plastisch – bin begeister wie schonungslos er da den seelischen striptease abzieht !!! Reschbeggd

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