Buch: „Arrival of the Fittest“ von Andreas Wagner

ArrivalOfTheFittestDer US-Amerikaner Andreas Wagner ist Professor für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der Universität Zürich. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Fachpublikationen ist „Arrival of the Fittest“ Wagners erste populärwissenschaftliche Veröffentlichung. Das Buch erschien 2014 im gleichnamigen, englischen Original. Die deutsche Version trägt den Untertitel „Wie das Neue in die Welt kommt – Über das größte Rätsel der Evolution“. Wagner beginnt mit einem Prolog, darauf folgen sieben Kapitel und ein sehr kurzer Epilog. Die Kapitelüberschriften lauten: 1. Was Darwin noch nicht wusste, 2. Der Ursprung der Neuerungen, 3. Die universelle Bibliothek, 4. Wohlgeformte Schönheiten, 5. Befehl und Steuerung, 6. Die verborgene Architektur, 7. Von der Natur zur Technik, weitere Unterteilungen, Unterüberschriften oder Stichwörter gibt es in mehr 400-seitigen Schrift leider nicht, ebenso kein Glossar und nur wenige, noch dazu sehr abstrakte bildliche Darstellungen, die inhaltliche Orientierung fällt daher etwas schwer.

Der Einstieg ist noch ganz interessant, der Autor erklärt die Prinzipien der Evolution, umreißt den Wissensstand zur Zeit Darwins und macht klar welche wissenschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung und Sprengkraft seine revolutionären Theorien hatten. Bis hierhin kann man noch gut folgen. Kurz darauf erläutert Wagner bereits die Begriffe Phänotyp und Genotyp, kreiert das abstrakte Bild einer Stoffwechsel- und einer Proteinbibliothek, DNA, RNA, und komplexe bio-chemische Vorgänge spielen eine immer größere Rolle und nehmen nahezu des gesamten Raum ein. Die Schrift wird in zunehmenden Maße zu einer fachwissenschaftlicher Abhandlung, nur vereinzelt wird mal ein praktischer Bezug hergestellt, kaum mal etwas veranschaulicht, falls doch, dann geht’s danach sofort weiter mit seitenweise chemischen, mathematischen, physikalischen Betrachtungen. Das ist über weite Strecken so speziell, dass man den deutlichen Eindruck gewinnt, dieses Buch sei eben gerade nicht für ein breites Publikum geschrieben worden, obwohl der Verlag vordergründig genau diesen Eindruck vermittelt, immerhin ist Fischer ja kein naturwissenschaftlicher Fachverlag. Kann sein, dass Fachexperten das alles gut verstehen, denen ist dann aber vermutlich bereits das meiste sowieso bekannt.

Interessant wäre es gewesen zu erfahren, was denn nun eigentlich genau als „Neues“ betrachtet wird, warum sich manche Dinge entwickeln, während andere Jahrtausende unverändert bleiben, was genau Mutationen sind und bewirken, wie es genau dazu kommt, wann die entscheidenden Weichenstellungen stattgefunden haben, welche Art von Mutationen zur heutigen Fauna und Flora geführt haben, welche evolutionsbiologischen Veränderungen den Menschen geprägt und geformt haben, wie der Mensch heutzutage aus evolutionstheoretischer Sicht da steht, was sich beim Menschen in ansehbarer Zeit verändern/entwickeln könnte, was die gentechnischen Manipulationen des Menschen bewirken könnten.

Stattdessen würfelt Wagner immer nur Stoffwechselvarianten, Proteine und RNAs durcheinander, verdeutlich zigfach wie unvorstellbar viele Möglichkeiten von Permutationen es theoretisch gibt (mehr als Atome im Universum), wirklich erklären kann er die Neuerungen letztlich nicht. Der Epilog schließt mit den Worten: „Und wir lernen, dass die Kreativität des Lebendigen sich aus einer Quelle speist, die älter als das Leben ist, ja vielleicht älter als die Zeit.“ Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, hätte er weiß Gott ein dünneres Buch schreiben können (bzw. ist das nicht sowieso ein Zitat aus dem im alten Testament?)
Wagner schreibt mit wissenschaftlichem Anspruch, der Text wird dadurch über weite Strecken langatmig, unzugänglich und abstrakt. Der Stil ist durchaus sympathisch, vielleicht etwas nüchtern und sehr solide recherchiert, dadurch leider auch sehr akademisch. Externe Quellen sind selbstverständlich sauber markiert und werden im Anhang ausführlich dokumentiert. Der Autor gewährt, u.a. basierend auf eigenen Forschungen, einen interessanten Einblick in eine universelle Problemstellung, bietet aber keine Erklärung, sondern stattdessen nur viel Detailwissen und Spitzfindigkeiten. Das große Ganze verliert er dabei über weite Strecken aus den Augen, als Leser kann man da streckenweise die Lust verlieren.

Die Übersetzung aus dem Englischen stammt von Sebastian Vogel und ist angesichts der Herausforderung (abstrakte Materie, komplexe Terminologie) bemerkenswert gut gelungen.
Wirklich großartig und ein echter Hingucker ist die Umschlaggestaltung von hißmann, heilmann, hamburg / Simone Andjelkovic.

Das gebundene Buch erscheint bei S:Fischer, hat 414 Seiten und kostet 22,99 Euro.

18 Gedanken zu „Buch: „Arrival of the Fittest“ von Andreas Wagner

  1. @Dennis, ich fand das Buch großartig!
    Selbstverständlich kann Wagner letztlich nicht benennen, welche Kraft die Evolution lenkt, damit sie zu greifbaren Resultaten kommt. Daß überhaupt etwas in Gang kommt, das erklärt er ja zu Anfang, ist durch die Evolutionslehre Darwins allein nicht völlig erklärbar.
    Dieses Arbeiten mit den multidimensionalen Datenbanken, diese Routen durch diese Datenbank, bei der bisweilen 70% der Bausteine eines Stoffwechsels ausgetauscht werden können und dennoch die bisherige Funktion des Stoffwechsels nicht verloren geht, faszinierte mich sehr.
    Ich denke, dieses Buch zeigt sehr schön, daß man heutzutage vermittels Rechenkraft und spitzfindiger Programme einen Zugang zu manchen biologischen Phänomenen bekommen kann, der mittels der bisherigen Methoden nicht so leicht gelingen kann.
    Für mich war das Buch eines der bereichernsten aus dem Bereich der Biologie, die ich gelesen hatte.

    • @Gerhard: Endlich hat einer mal ein Buch gelesen, das ich hier bespreche, und prompt kommen wir zu unterschiedlichen Einschätzungen. 😉

      Vielleicht ist es ein Biobuch für Schachspieler? Mich haben diese mathematischen Ausführungen ermüdet, weil sie einem zwar die Dimension klar machen, aber eben keinerlei Erklärung liefern. Basierend auf seiner Theorie wäre ja die ganze evolutionäre Entwicklung nur ein riesengroßer Zufall gewesen. Das stimmt vielleicht zum Teil, aber das widerspricht ja Darwins Theorie vollkommen und am Ende hat das dann für mich zu wenig Aussage, ich hätte gerne mehr über die Umstände in den biologischen Übergangsphasen erfahren, insbesondere auch was die Menschheitsgeschichte betrifft. Was interessieren mich als normalen Menschen schon seitenweise irgendwelche Stoffwechselvarianten und Proteinketten? Auch ein wenig philosophischer Hintergrund zum Thema „das Neue“ wäre nicht verkehrt gewesen, war mir alles zu technisch, gleichzeitig aber auch total fatalistisch, letzten Endes der Idee der christlichen Schöpfungsgeschichte zu ähnlich (geheimnisvolle Kraft usw.).

      • Eine Erklärung für das „rasche“ Fortschreiten der Entwicklung der Arten liefern zu können, wäre aus meiner Sicht vermessen. Das wird auch in Zukunft niemand schaffen können, meine ich.
        Vor etwa 4 Jahren habe ich ein Buch über die großartigen Funktionen des menschl. Auges gelesen. In diesem Buch wurde argumentiert, daß vom blosen Augenfleck (hell/dunkel) bis hin zum hyperkomplexen menschl. Auge genügend Zeit blieb für Versuch und Irrtum. Ich weiß nicht mehr die Zahl an Generationen, die dafür herhalten sollten.
        Ich hatte da immer Zweifel, ob diese Anzahl ausreichen konnten.
        Darwins Theorie widerspricht Wagner nicht. Die nach seiner Ansicht zum Teil „gelenkten (mein Ausdruck)“ Mutationen führen ja auch bei Unpasslichkeit zur „Aussortierung“. Nur fitte Varianten überleben.

        Das Technische (Stoffwechselvarianten und Proteinketten)faszinierte mich geradezu. Ich fand es angesichts der Thematik passend, Versuche nicht stufenweise im Reagenzglas durchzuführen, sondern am Computer. Die Dimension des zu Untersuchten gebietet den Einsatz von Programmen, die, wenn alle Parameter stimmen, ein zuverlässiges Bild entwerfen können.
        Ganz salopp mal formuliert, leider.

  2. @Dennis …na so schlimm is es doch nicht, sind doch öfter mal bücher dabei, die der eine oder andere (In) auch gelesen hat;
    finde das thema und die idee auch sehr spannend, wäre dann aber wohl zur rezeption in form eines filmes besser geeignet, gerade um rechenprozesse grafisch veranschaulichen zu können.

      • @Dennis, daß Du da 3 Sterne bei Amazon vergabst, konnte ich mir denken..
        Schade!
        Ich denke, Du bist auch ein wenig beratungsresitent, lässt andere Sichtweisen kaum an Dich ran. Ist es so?
        🙂

        • @Gerhard: Was heißt beratungsresistent? Ich habe das Buch von Anfang bis Ende gelesen und mir hat’s aus besagten Gründen nicht ganz so gut gefallen. 3 Sterne, „nicht schlecht“ ist dafür meine Bewertung auf Amazon. Eine eigene Meinung habe ich mir gebildet und darf ich auch haben, oder? Wir müssen nicht immer alle gleicher Meinung sein.

          • Wir müssen nicht alle gleicher Meinung sein, aber ab und an bedenken, was andere zu einem Produkt meinen. Evtl. kann man ja seine Meinung überdenken?! Die Beratungsresidenz bezog sich ja auch ein wenig auf den kommenden Albumtitel 🙂

  3. es besteht ein vehementer unterschied zwischen erklären und missionieren oder wie Zappa sagte : there s a big difference between kneeling down and bending over!!!

    • Danke, Bernhard!
      Ich muß sagen, je mehr Wagner in seinen multidimensionalen Datenbanken herumturnte, um so mehr geilte es mich auf.
      Das Ganze ist so wunderbar unvorstellbar und dennoch durch geeignete Methoden erforschbar. Diese Komplexität ist wie Musik in meinen Ohren, ich brauche da keine voreiligen Erklärungen.
      Das mal ganz emotional.

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