Jazzmusik habe ich als Kind erstmals durch die Schallplattensammlung meines Vaters kennengelernt, das war allerdings eher traditioneller Jazz von Musikern und Gruppen wie z.B. Sidney Bechet, Louis Armstrong, Firehouse Five plus Two oder Ramsey Lewis. In meiner Jugend lag dann eigentlich nichts ferner als Jazz zu hören, obwohl Musik selbst sehr wohl eine große und immer größere Rolle gespielt hat. Auch in der Schule, Musikschule, Berufsfachschule wurde hier kein entscheidender oder nachhaltiger Beitrag geleistet. Erst im Musikstudium am Würzburger Konservatorium gab es Mitstudenten, die nicht Klassik (wie ich), sondern eben Jazz studierten, sie waren interessiert am technisch-instrumentalen Fortkommen, aber ganz ehrlich, die meisten von denen hörten selbst allenfalls mal jazzverwandtes, aber nicht gerade Jazz. Das fiel mir besonders auf, als ich freiwillig (als „Klassiker“) die Kurse Jazzharmonielehre und Jazzgeschichte besuchte. Immer wenn ab und an mal ein Musikbeispiel für Demonstrationszwecke aufgelegt wurde, verzog die verpflichtend versammelte Studentenschaft regelmäßig die Gesichter und rümpfte die Nasen. Ganz vorbei war es immer dann, wenn es etwas „moderner“ wurde, also z.B. Ornette Coleman oder Sun Ra erklang: Es wurden mit den Augen gerollt, resigniert ausgeatmet, ob dieser akustischen Zumutung, man sah auf die Uhr, checkte das Smartphone, machte sich lustig über diesen Quatsch, der ja wohl ganz offensichtlich keine Musik mehr sei. Gerade junge Menschen und insbesondere Musiker können mitunter extreme Spießer sein.
Andererseits: Bis heute kenne ich unter Verwandten, Bekannten und Freunden ebenfalls kaum jemanden, der gerne und passioniert Jazz hört, mit den Traditionen, der Geschichte, den Künstlern und essentiellen Einspielungen vertraut wäre. Ich selbst habe mir anfangs auch etwas schwer getan, das muss ich einräumen, es lag wohl zum Teil daran, dass es so ganz ohne Orientierungspunkte nicht ganz leicht war einen Einstieg zu finden, das mittlerweile historische „Jazzbuch“ von Joachim-Ernst Behrend bot da ein brauchbare Richtschnur. Herangeführt wurde ich interessanterweise aber auch über Fotobände in s/w, in denen die Jazzmusiker einfach unfassbar cool aussahen. Die Autobiographie von Miles Davis besorgte dann den Rest. Über die Jahre habe ich mir essentielle und epochale Alben besorgt, durchgehört und schätzen gelernt. Gerade habe ich wieder eine Phase in der ich (in meiner Freizeit) sehr viel Jazz höre und ich genieße das sehr.
Obwohl es nahe liegen würde, gehe ich zu Jazzsessions und Konzerten zumindest in Deutschland nicht so gerne, das ist für mich in der allermeisten Fällen zu akademisch und berührt mich nicht.
Im Folgenden habe ich meine 12 Lieblingsjazzalben in chronologischer Reihenfolge zusammengestellt. Wenn ich diese Liste vor 20 Jahren gehabt hätte, hätte ich mir einige Umwege (und viel Geld) sparen können, allerdings ist hier – wie so oft – wohl auch der Weg das Ziel und ich war jedes Mal begeistert, wenn ich eine Neuentdeckungen machen konnte. Oft habe ich erst im Nachhinein erkannt, dass meine Lieblingsalben auch ganz allgemein als wegweisend und bedeutend eingeschätzt werden. Übrigens: Auffällig wenige Gitarristen in der Liste, aber das fällt vielleicht nur mir auf. Here we go:
Chet Baker: Chet Baker Sings (Pacific Jazz, 1954)
John Coltrane: Soultrane (Prestige, 1958)
Cannonball Adderley: Somethin’ Else (Blue Note, 1958)
Dave Brubeck: Time Out (Columbia, 1959)
Miles Davis: Kind of Blues (Columbia, 1959)
Charles Mingus: Mingus Ah Um (Columbia, 1959)
Joe Henderson: Page One (Blue Note, 1963)
Paul Desmond: Bossa Antigua (RCA Victor, 1964)
The Horace Silver Quintet: Song for my Father (Blue Note, 1964)
Stan Getz / Joao Gilberto: Getz/Gilberto (Verve, 1964)
Lee Morgan: The Sidewinder (Blue Note, 1964)
Kenny Burrell: Midnight Blue (Blue Note, 1967)
Ein großes Faß aufgemacht!
Ich kann hier nicht recht mitreden. Meine Berührung mit Jazz ist immer eher zufällig gewesen und nie systematisch. Ich „kenne“ einige der genannten Musiker selbstverständlich, habe auch einiges zu den ersten Jahren der Richtung Jazz gelesen, aber nicht mit der gebotenen Intensität.
Was ich aufführen kann, sind solche Sprengsel wie ein Musikfilm von ’59 wohl (müsste „Jazz an einem Sommerabend sein“, über das Newport Jazzfestival), in der einige neue Tendenzen im Jazz zur Darbietung kamen wie Scatgesang. Die Musiker boten dem jungen Publikum den neuesten Schrei, es war wie Popmusik in der Wirkung, das sah man dem Publikum an. Als ich den Film in den Neunzigern sah, dachte ich mir: Das klingt auch heute noch verdammt frisch und richtig geil! Gleichzeitig berührte mich, daß die meisten Akteure auf der Bühne schon alt oder Tod sein müssten. Wie kann es sein, daß etwas frisch klingt und der Musiker schon tot??
Wie gesagt, nach diesem schönen Sprengsel griff ich immer nur ab und an zu Jazzalben. Lies mich zum Teil von dem BBC-DJ Gilles Peterson hier „beraten“. Ich höre Jazz sehr gern und kann mich darin verlieren. Dennoch forsche ich da nicht, sondern versuche mir lieber ein Bild über alle möglichen Strömungen in der Musik zu machen.
@Gerhard: Mich ziehen diese und andere klassische amerikanische Jazzaufnahmen in eine andere, ganz eigene Welt. Das liegt, glaube ich, vor allem daran, dass ich die Musik fast ausschließlich in sehr privaten, oft einsamen Momenten, gehört habe und höre. Ich habe Jazz als Hörer immer bewusst aufgelegt. Nie habe ich sowas zufällig im Radio oder bei oder mit anderen Leuten gehört. Ich bin alleine, wenn ich Jazz höre, in Gesellschaft höre ich Jazz nie, weil ich zu oft gemerkt habe, dass es kaum jemandem gefällt. Es ist dann so als wäre die Musik einzig und allein für mich aufgenommen und auf Platte gepresst worden. Das kann ich mir in solchen Augenblicken jedenfalls vormachen, weil die Musik ansonsten für mich außerhalb meines Privatsphäre quasi inexistent ist, zumindest stellt es sich für mich so dar. Schon absurd irgendwie.
Ich meine, die tatsächlichen Verkaufszahlen dieser zum Teil legendären Jazzplatten waren natürlich immer schon gering im Vergleich zu Popmusik, aber dass sie heutzutage zum Mythos geworden sind, der kaum noch klanglich bekannt ist, ist schon eine irrwitzige Ironie der Musikgeschichte. Viele tun so, als wüssten sie wer Miles Davis ist, dabei wissen sie vielleicht gerade mal wie er aussieht, warum läuft nirgends seine Musik?
erstaunlich viele trompeter würde ich nun sagen – als ich da selber einer bin/war harhar
diese hier fallen bei mir auch unter oldies but goodies,
Chet Baker: Chet Baker Sings (Pacific Jazz, 1954)
John Coltrane: Soultrane (Prestige, 1958)
Dave Brubeck: Time Out (Columbia, 1959)
Miles Davis: Kind of Blues (Columbia, 1959)
Charles Mingus: Mingus Ah Um (Columbia, 1959)
Stan Getz / Joao Gilberto: Getz/Gilberto (Verve, 1964)
bei den neueren fehlt mir noch der mangelsdorf, dollar brand, niels henning orsted pedersen, herbie hancock, jaco pastorius, al di meola und jan garbarek indestens fällt mir da schwer mich auch best ofs zu beschränken…
@Bernhard: Ja, habe mich bewusst auf klassische LP-Alben aus der Hochzeit des Modern Jazz von 1950-1970 beschränkt, davor gab’s ja nur Singles, war also kleinformatiger, das entspricht nicht der Idee, saugt einen nicht so rein wie eine Albumlänge, außerdem waren die Prewareinspielungen stilistisch noch sehr traditionell bzw. bestenfalls ambitionierte Tanzmusik. AUf der anderen Seite haben nach 1970 mit Free, Fusion, World etc. noch interessante Entwicklungen stattgefunden, sie waren aber nicht mehr so spontan, viel kalkulierter und kommerzieller und haben mich emotional nicht so gepackt. Ach ja und ECM bzw. Skandinavischen Jazz haben dann wieder alle gehört und alle irgendwie gut gefunden, auch Leute, die mit Jazz sonst gar nichts anfangen konnten und wollten, das hat so ein gutsituiertes, mitteleuropäisches Bildungsbürgertum bedient, für die der Esoterik/World-Jazz eine unstressige Klangtapete bei der Autofahrt zur Arbeit oder bei der abendlichen Vernissage abgeben soll („Prosecco oder Sektorange?“), das hat mir zu wenig subversive Bestandteile, zu wenig Energie, ist mir zu systemkonform, ist fast schon die Antithese zur ursprünglichen Idee, das war und ist nichts für mich. Das war bedauerlicherweise auch der Anfang vom Ende des Jazz, fällt zeitlich nicht nur zufällig mit der Institutionalisierung und der unvermeidlichen Akademisierung zusammen.