Wolfgang Doebeling (*1950) studierte Geisteswissenschaften in Berlin und arbeitet seit Ende der 1970er Jahre als freier Publizist für Radiosender und Printmedien, u.a. der deutschen Ausgabe des Rolling Stone. Bereits 2013 hat er, mit dem Untertitel „Wolfgang Doebeling trifft zum Interview“, eine Sammlung von Konversationen mit britischen Popmusikern in einem Band zusammengefasst und veröffentlichen lassen. Er spricht u.a. mit Mick Jagger (mehrfach), Keith Richards, Paul McCartney, Ringo Starr, Ray Davies (mehrfach), Pete Townshend, Graham Nash, David Bowie, insgesamt also Protagonisten, die ihre besten Zeiten in den 60er und 70er Jahren hatten. Die Interviews selbst haben zum großen Teil auch schon einige Jahre auf dem Buckel, stammen aus den Jahren 1982-2001, zum größten Teil aus den frühen 1980er Jahren.
Doebeling schickt den eigentlichen Interviewtranskriptionen jeweils einleitende Texte voraus, die die Gesprächssituation beschreiben. Es wird dabei nicht müde zu betonen, dass er meist etwas ganz anderes vor hatte als Mick Jagger, Paul McCartney, David Bowie etc. zu interviewen und schon gar nicht wollte er über die aktuellen Albumerscheinungen mit ihnen reden (wozu die Termine eigentlich angesetzt waren). Stattdessen sucht er das nahezu Unmögliche: Eine ungezwungene, persönliche Plauderatmosphäre über die Themen seiner Wahl. Sitzt Doebeling den Gesprächspartnern erst einmal gegenüber funktioniert das erstaunlich gut, wie man an Länge und Verlauf der einzelnen Transkriptionen ablesen kann. Der Journalist ist bereits von Haus aus gut eingearbeitet in Werk und Lebensweg seiner Gegenüber und schafft es tatsächlich immer das Gespräch auf unbekannte und interessante Zusammenhänge zu lenken. Dabei helfen ihm neben der Vorbereitung seine über Jahre aufgebauten exzellenten Kontakte als Journalist und Musikfan, aber auch sein Englisch muss herausragend gut sein um mit versierten Native Speakern (Songschreiber, Sänger, Intellektuelle) zu plauschen und zu schwätzen, Anspielungen zu machen und hin und wieder einen netten Witz zu reißen. Die Verschlankung und Übersetzung der aufgezeichneten Ergebnisse war bestimmt viel Arbeit, ist jedoch gut gelungen. Alles ist wunderbar lesbar und rollt entspannt vor sich hin. Allerdings fällt auch hier wieder einmal Doeblings pathologische Neigung zu eingedeutschten Fremdwörtern und absurden Anglizismen auf. Falls es irgendeinen Weg gibt ein ganz normales deutsches Wort in eine abwegige Entlehnung umzuformulieren, wird er sie finden und einsetzen. Das ist mitunter anstrengend, weil unnötig kompliziert, und wirkt auch furchtbar eitel, aber man kennt das ja bereits aus seinen journalistischen Beiträgen, hat sich daran gewöhnt und gelernt damit zu leben. Wirklich beeindruckend ist Doeblings pophistorisches Fachwissen, das er ganz nebenbei bei den Unterhaltungen einfließen lässt und damit zielsicher das Interesse der erstmal gelangweilten Musikerprominenz weckt. Mithilfe dieser besonderen Teilnahme, kreativen Gastgeschenken und ausgerichteten Grüßen von Musikerkollegen ist er bestimmt ein gern gesehener Gast bei derartigen Anlässen und es ist daher glaubhaft, dass er sich – wie er mehrfach behauptet – vor Interviewanfragen kaum retten kann.
Wenn es eine Schwäche bei dieser Publikation gibt, dann die, dass die Interviews bereits 20-30 Jahre alt sind. Es kommt dazu, dass Dobeling bereits damals retrospektiv gefragt und geforscht hat. Viele der angesprochenen Ereignisse (z.B.: British Invasion, Beatles, Kinks, Hollies) waren bereits zum Zeitpunkt des Interviews alt, in popmusikalischer Zeitrechnung sogar uralt. Wenn man vom Zeitpunkt der Buchveröffentlichung (2013) zurückblickt, liegen die besprochen Ereignisse zum Teil etwa ein halbes Jahrhundert und mehr zurück, es ist also keine Übertreibung zu behaupten, dass es sich im Großen und Ganzen um eine Sammlung ausführlicher historischer Gespräche unter Popmusikexperten handelt, die als Dokumente mit musikgeschichtlicher Relevanz gewertet werden können. Man muss schon ein sehr großes Interesse an britischer Pop- und Rockmusik der 1960er Jahre haben um diese Veröffentlichungen goutieren zu können. Falls diese Voraussetzung erfüllt ist, wird man auf sehr hohem inhaltlichen und sprachlichen Niveau bedient. Ach ja: Für Oktober 2016 wurde vom Fink Verlag bereits ein zweiter Teil mit Interviews amerikanischer Musiker angekündigt, weitere könnten folgen.
Das gebundene Buch erscheint bei Wilhelm Fink, hat 256 Seiten und kostet 25,90 €.