Willy Vlautin ist US-amerikanischer Schriftsteller, Songschreiber und Countrysänger. Im Jahr 2014 hat er mit „The Free“ seinen vierten Roman vorgelegt. Ende 2015 erschien mit dem Titel „Die Freien“ die deutsche Übersetzung (von Robin Detje) im Berlin Verlag.
Der amerikanische Traum ist ausgeträumt, die USA sind ein kaltes Land ohne Gnade. Vlautin beschreibt in nüchternem Ton den deprimierenden und aussichtslosen Alltag einer Hand voll Figuren in einer modernen amerikanischen Kleinstadt. Leroy Kervin ist als schwerverletzter Kriegsversehrter aus dem Irak zurückgekehrt und dämmert im Krankenhaus komatös vor sich hin, hat nur kurze, klare Momente, sackt immer wieder zurück in einen surrealen Albtraum. Gepflegt wird er von der Krankenschwester Pauline, die im Krankenhaus Patienten versorgt und sich in ihrer Freizeit um ihren psychisch kranken Vater kümmert. Freddie McCall ist der Nachtpfleger des Wohnheims in dem Kervin zuletzt untergebracht war und besucht ihn regelmäßig im Krankenhaus. Tagsüber arbeitet er in einem Laden für Baubedarf, macht die ganze Arbeit, während der Sohn des verstorbenen Chefs immer nur Mittags vorbei kommt und die Tageseinnahmen abholt. Seine Frau ist mit den Kindern davon, die Alimente fressen ihn auf, obwohl er Tag und Nacht arbeitet, steht kurz vor dem finanziellen Ruin und ist gezwungen sich auf krumme Geschäfte einzulassen.
In einfachem Sprachstil und in kurzen Dialogen beschreibt Vlautin den brutalen und mitleidslosen Überlebenskampf dieser grundsoliden, bescheidenen Menschen. Sie sind integer und gutgläubig, freundlich und fleißig und kommen doch auf keinen grünen Zweig. Die äußeren Umstände, die Wirtschaftslage, das soziale Umfeld, der ausbeuterische Kapitalismus nagen an ihnen, fressen sie auf und spucken sie wieder aus. Es gibt keinen Ausweg aus der Misere, alle Personen versuchen in Würde weiterzumachen, obwohl der Untergang unausweichlich erscheint. Im postapokalyptischen Albtraum des Ex-Soldaten werden die mit einem Mal gezeichneten Menschen von den sog. „Freien“, einer paramilitärischen Söldnertruppe, um den Globus gejagt, gestellt und massakriert. Vergleichbar verhält es sich auch bei den im realen Teil des Romans dargestellten US-amerikanischen Figuren: Sie haben längst verloren, wollen es aber nicht wahrhaben, sie haben keine Chance mehr, machen aber immer weiter, und das eigene Leben ähnelt immer mehr einem gruseligen, ausweglosen Horrortrip.
Fazit: „Die Freien“ ist eine feine und tief gehende Erzählung über den verkorksten Zustand der US-amerikanischen Gesellschaft. Ein sensibles und engagiertes Plädoyer im Namen der zahllosen Ausgebeuteten, Geschundenen und Übergangenen. Angesichts dieser Umstände ist es erstaunlich, dass es nicht zu viel mehr Ausrastern, Amokläufen und Anschlägen kommt. Anscheinend hat sich die amerikanische Gesellschaft längst mit den unmenschlichen, würdelosen Lebensbedingungen der überwiegenden Mehrheit abgefunden. Der Roman ist ein hervorragendes Beispiel dafür wie man bestehende gesellschaftliche Missstände und sozialen Niedergang in herausragende, zeitgemäße Literatur verwandeln kann. Unbedingt lesenswert!
„Die Freien“ erscheint im Berlin Verlag, hat 240 Seiten und kostet gebunden 20,00 €.
Wie passt Countrysänger zum Thema des Buchs?!
Ne, zuviele apokalyptische Erzählungen schlagen mir aufs Gemüt. Immer ist man auch selbst mit dran schuld, wenn man in der Misere hockt, so mein Glaubenssatz, seit jeher.
@Gerhard: Countrysänger erzählen immer schon auf poetische Weise von den elementaren Dingen der menschlichen Existenz: Liebe, Leben, Tod, etc. Oder wie Cash es einst formulierte: “I love songs about horses, railroads, land, Judgment Day, family, hard times, whiskey, courtship, marriage, adultery, separation, murder, war, prison, rambling, damnation, home, salvation, death, pride, humor, piety, rebellion, patriotism, larceny, determination, tragedy, rowdiness, heartbreak and love. And Mother. And God.”
Ich glaube auch, dass man sein Schicksal, soweit möglich, selbst in die Hand nehmen sollte, Stichwort: Selbstermächtigung. Bestimmte Gesellschaftssysteme lassen da aber wenig Spielraum. Besonders tragisch ist dbzgl. die turbokapitalistische Entwicklung in den USA. Hier wird immer schon und bis heute der Pursuit of Happiness, der American Dream und Land of the Free gepredigt. Tatsächlich sah die Realität aber immer schon anders aus und das ist in den letzten Jahren mal wieder unübersehbar: Amokläufe, Anschläge, Terror, nicht einmal mehr Frauen und Kinder werden davon ausgenommen. Ganz normale Arbeitnehmer, Flugpassagiere, Clubbesucher und Schulkinder werden aus ideologischen und absolut unmenschlichen Beweggründen bedroht, als Geiseln genommen und gemeuchelt. A civilization in Decline. Der aufmerksame Beobachter Vlautin hat einen literarisch hochwertigen Roman zum Hintergrund dieser Situation geschrieben. Er redet nicht schön, sondern portraitiert detailreich Leben und Alltag durchschnittlicher Amerikaner. Das ist hochinteressant und aller Ehren wert.
Vor vielen Jahren mal einen sehr aufschlußreichen Artikel von Eric Schlosser gelesen:
http://www.theatlantic.com/magazine/archive/1997/09/a-grief-like-no-other/376944/
Ich glaube, der Artikel dürfte von 1997 sein. Er hat mich damals sehr betroffen gemacht.