Buch: „DJ Culture“ von Ulf Poschardt

djcultureUlf Poschardt studierte Journalistik und Philosophie und promovierte zum Thema DJ Culture bei Friedrich Kittler an der Humboldt-Universität Berlin. Von 1996-2000 arbeitete er als Chefredakteur für das SZ-Magazin, später als Berater und Chefredakteur für Welt am Sonntag und andere Publikationen des Axel Springer Verlags. Bekannt wurde er mit seiner Promotionsschrift, die großes öffentliches Interesse hervorrief, das SZ-Magazin musste er aufgrund eines Skandals verlassen. Aufsehen in intellektuellen und subkulturellen Kreisen erregte sein Aufruf bei der Bundestagswahl im Jahr 2005 als revolutionärer Akt für die FDP zu wählen.

 

Im Jahr 1995 wurde Poschardt zum Thema DJ Culture promoviert, kurz danach erschien erstmals seine Doktorarbeit „DJ Culture. Diskjockeys und Popkultur“. Dieses Thema aus kulturphilosophischer Sicht im Rahmen einer umfassenden akademischen Abschlussarbeit zu betrachten war zum damaligen Zeitpunkt sicherlich mutig und wegweisend. Poschardt hat damals mehr als vier Jahre an der Arbeit recherchiert und geschrieben und dafür u.a. auch Zeit in New York verbracht. 20 Jahre später hat er nun die Schrift überarbeitet, aktualisiert, mit einem Nachwort von Tim Renner (überflüssig) und Westbam (geht so) ergänzt und als schickes, schwarzes Buch im VHS-Box-Format mit über 500 Seiten neu- bzw. wiederveröffentlicht.

Auch heute noch sind musikgeschichtliches Wissen, technische Sachkenntnis, emotionales Einfühlungsvermögen, weitreichender Informationsstand, dargelegte Zusammenhänge und weiterführende Gedanken dieser Schrift tief beeindruckend und es verwundert nicht, dass das Buch in den Jahren nach der Veröffentlichung rasch zu einem Standardwerk werden konnte. Da es sich um ein vergleichsweise aktuelles Thema handelt, zum Teil seit Erstveröffentlichung auch noch neue Kenntnisse dazu kamen, war es sicherlich geboten das epochemachende Jugendwerk des Autors einer Überarbeitung zu unterziehen. Im Vorwort wird das etwas verklausuliert formuliert, leider bleibt sowohl hier als auch im weiteren Verlauf des kompletten Textes unklar, welche Stellen denn nun überarbeitet wurden und welche nicht. Zum Teil kann man das natürlich aus den Jahreszahlen ableiten, aber etwas klarere Angaben dazu wären schon interessant gewesen, so bleibt vieles ungewiss. Poschardt äußert sich übrigens auch an keiner Stelle dazu, ob zwei Jahrzehnte später Einschätzungen revidiert werden mussten. Ja, es bleibt sogar unklar in wie weit er an der Aktualisierung selbst beteiligt war, in einem Nebensatz wird erklärt, dass ein Heiko Hoffmann die Neuauflage „geremixt“ hätte. Mmh.

Das Buch ist in drei Oberkapitel und unzählige Unterkapitel unterteilt. Die großen Blöcke sind „1. Vorwort, Einleitung, Vorgeschichte“ mit der Geschichte von Radio, Moderatoren und Diskjockeys in den ersten zwei Dritteln des 20. Jahrhunderts. In „2. Die Geschichte“ folgt aufgeteilt in die Musikgenres Disco, Hip-Hop, House, Dancefloor ein ausführlicher Überblick über die Professionalisierung der DJ Kultur und der Übergang von technischer Reproduktion zum kreativ-musikalischen Akt. Im letzten Teil wird „3. Der Versuch einer Theorie“ unternommen. Hier und stellenweise auch schon früher wird es sehr kulturphilosophisch. Poschardt setzt DJ Kultur, Sampling, Remixing etc. ins Verhältnis zu anderen postmodernen Künsten, Hochkulturen und Kulturtheorien des 20. Jahrhunderts, reihenweise werden bedeutende Philosophen zitiert und man muss schon sehr großes Interesse an dieser Sichtweise haben um dem Autor in allen Punkten folgen zu wollen.

Sehr lohnenswert sind aber die ersten beiden Teile. Bzgl. Popmusikgeschichte stützt Poschardt sich vorzugsweise auf Nik Cohn und ist damit gut beraten. Interessant sind auch seine Exkursionen in Hardwarewelten (303, 808, 909, Technics 1200, Sampler, etc.) und seine punktuellen Einblicke in mittlerweile als klassisch zu betrachtenden Produktionsprozesse.

Fazit: Auch wenn mittlerweile sicherlich etliche andere Publikationen zum Thema erschienen sind, bleibt „DJ Culture“ bis auf weiteres zu recht ein Standardwerk und bietet einen fundierten, wissenschaftliche abgesicherten, wenn auch kulturphilosophisch etwas überladenen Einstieg.

Das gebundene Buch erscheint im Tropen Verlag, hat 558 Seiten und kostet 26,95 Euro.

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