Reise: Rain in Riga

Hatte eine ruhige Nacht und habe gut geschlafen. Der Taiwanese ist so ruhig und still, seine Körpermaße so gering, dass ich ihn morgens zuerst gar nicht in seinem Bett finde und den Eindruck habe, er wäre schon längst aufgestanden und unterwegs. Erst als ich zurück aus dem Bad komme, merke ich, dass ich nicht alleine bin. Frühstück außer Haus, zurück gehe einen kleinen Umweg entlang des Kanals, komme an einem Musikinstrumentenladen vorbei, im Showroom nur Standardware aus China und Korea, weiter über eine kleine Brücke, da steht ein Blinder mit Spiegelbrille und Gitarre im Nieselregen und singt lustige, lettische (?) Folkslieder für die unsichtbaren Passanten. Ich höre kurz zu und werfe ihm was in den Pott, der vor ihm steht. Die abgenutzte, offene Gitarrentasche hat er wie ein Gewehrhalfter über dem Rücken hängen, always ready to ramble, always ready to run.

Im Hostel die tägliche Routine, Blogartikel schreiben, zum ersten Mal am iPad, der PC im Hostel ist out of order und wird auf Nachfrage auch nicht repariert, sie Zucken mit den Schulten, wozu denn, benutzt sowieso keiner mehr. Der Taiwaner ist schon unterwegs, macht einen organisierten Tagesausflug wie ich später erfahre, ich habe also meine Ruhe. Gut so, draussen weht ein kalter Wind und es regnet, ich lese im Reiseführer, habe keine Lust raus zu gehen und schon auf den ersten Metern nass zu werden und erst recht keine Lust auf einen Verlegenheitsbesuch in irgendeinem langweiligen Museum.

Irgenwann lässt der Regen nach, ich gehe längs des Kanals Richtung NW, dann in das Jugendstilviertel beim Kronvalda Park, schön, ich eiere ohne Plan  durch die Strassen und Gassen, mache hin und wieder ein Foto, dann sehe ich ein nettes Cafe und trete ein. Junge Leute, nette Atmo, free Wifi, ich bestelle einen Kaffee und einen kleinen Kuchen, checke meine Mails. Gute Nachrichten, der Entwurf für das Cover des anstehenden Kinderliederalbums ist fertig, sieht gut aus, ein paar letzte Korrekturen und das Ding geht raus, sollte dann Mitte Juli vorliegen. Ich kann vom Cafe in Riga ein paar hilfreiche Anmerkungen machen, cool.

Der Regen will und will nicht ganz aufhören, vom Cafe gehe ich direkt ins Kino. Hier in Riga läuft bereits „The Circle“ mit Emma Thomson und Tom Hanks, interessantes Thema, guter Film, kommt im Sep in Deutschland. Ich sehe ihn auf englisch mit lettischen und russischen Untertiteln. Danach kleiner Snack und Spaziergang zum großen Fluss Daugava, leider verläuft die Uferpromenade direkt neben der vielbefahrenen Straße, deswegen biege ich irgenwann zurück in die Altstadt, passiere ein paar Kirchen, dann irgendein Platz, die Sonne kommt kurz raus, auf einer kleinen Bühne steht eine zarte Sängerin in einem grünen Trenchcoat, neben ihr sitzt ihr Begleitgitarrist. In der goldenen Abendsonne, spielen sie für die unbesetzten Sitze eines Restaurants, ich bestelle einen Espresso und höre ihnen zu. C’est si bon, Come away with me, schöne Nummern, die Stimmfarbe erinnert mich an die Würzburger Sängerin Sandra Buchner und ich bin erstaunt wie präsent und vollständig diese Minibesetzung klingt. Irgendwann ziehe ich weiter, weil es wieder anfängt zu regnen, gehe ich an diesem lost day nochmal ins Kino und zwar aus Protest in den blödesten Film der zur Auswahl steht: The Mummy. Dämlicher geht’s eigentlich nicht, wie kann man nur für eine dreistellige Millionensumme so einen Schwachsnn produzieren, es ist unfassbar. Immerhin sehe ich den Film auf englisch, tue damit ein kleines bisschen was für meine Bildung, cool auch die Soundanlage des Kinos, die so brutal tiefe Frequenzen erzeugt, wie ich sie noch nie in einem Kino gehört bzw. gefühlt habe. Natürlich wird der Effekt klug dramaturgisch eingesetzt, man spürt das Unheil also immer auch schon kommen. Ich kann nicht anders, das gefällt mir, ist fast schon das vierte D.

Danach zurück ins Hostel. Der Taiwaner ist auch wieder da, erst glotzt er in sein Smartphone, irgendwann legt er es zur Seite und redet mit mir. Anscheinend brauchte er etwas um vertrauen zu fassen oder den Mut zu finden, jetzt stellt er mir immer mehr Fragen, die zum Teil etwas skurril wirken. Europa ist ihm total fremd, er hat Angst vor Rassismus und Kriminalität. Er will von mir wissen wie oft sich Europäer duschen, ob sie Perfum verwenden, wie lange wir arbeiten, wie oft wir in den Urlaub fahren, ob wir von unseren Gehältern leben können. Gleichzeitig hat er noch nicht vom Syrienkonflikt gehört, kennt weder Merkel, noch Macron, nicht May, den Namen Trump hat er wohl schon mal gehört, kann ihn aber politisch nicht einordnen. Naja, er ist 23 und wahrscheinlich haben sie in Taiwan einfach andere Probleme, immerhin bereist er ja die westliche Hemisphäre, versucht also seinen Horizont zu erweitern. Es prallen hier aber schon Welten aufeinander. Danach betritt ein älterer Australier das Zimmer, er wird sich als Wodkatrinker und furchtbarster Schnarcher der kompletten Reise herausstellen, aber erstmal haben wir etliche gemeinsame Themen. Er ist neben seinem Beruf als Jurist seit vielen Jahren immer wieder lange Phasen als Backpacker in der Welt unterwegs. 41, single und sucht eine Frau. „I’ve been to Hollywood, I’ve been to Redwood, I crossed the ocean for a heart of gold.“ (Neil Young)

Na, da bin ich mal froh, dass ich mein vielleicht nicht ganz perfektes, aber wertvolles Heim gefunden habe. Während der Busfahrt, als ich von meiner Familie erzählte, schaut mich der ebenfalls alleinstehende Maxim mit seinen traurigen, dunklen Augen an und sagte leise mit deutlichem südamerikanischem Akzent: „There is no place like home, hombre.“ Ja, es ist eine Floskel, aber keiner von uns beiden findet das in diesem Augenblick lustig oder platt.

Morgen (Di) geht am späten Nachmittag der Flieger von Riga, zurück nach Würzburg. Ist gut so, für diesmal habe ich genug. My rambling days are over.

Ein Gedanke zu „Reise: Rain in Riga

  1. @Dennis: Heute sprach mich bei Stephan ein mir unbekannter, mittelälterer Mann an, der mich wohl von You Tube her erkannte. „Ah Sie sind doch die Lebensgefährtin von Stephan und machen ja tolle Musik mit dem Dennis Schütze“. Die Videos seien klasse und gefielen ihm sehr gut, ebenso wie die Musik. „Wir sind buchbar“, bedankte ich mich. Siehste Dennis, diese Minibesetzungen kommen scheinbar bei einigen gut an. Ob in Riga oder Würzburg. Mich hat’s sehr gefreut. Gute Heimreise!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert