Den schweizerischen Cellisten Thomas Demenga und das deutsche Label ECM verbindet eine lang anhaltende Zusammenarbeit. Bereits seit den frühen 1980er Jahren wurden bei dem außergewöhnlichem Label besondere Einspielungen mit seiner Mitwirkung veröffentlicht darunter Werke von z.B. Demenga selbst, aber auch Arvo Pärt, Benjamin Britten, Heinz Holliger und immer wieder: Johann Sebastian Bach. 1987 hat Demenga schon einmal die Bach’sche Cello Suite No. 4 aufgenommen und veröffentlicht. Nun folgt ein Doppelalbum mit der Neueinspielung aller sechs Suiten für Violoncello (BWV 1007-1012) in chronologischer Reihenfolge.
Die sechs Suiten werden im Begleitheft zu den CDs als „Evangelium jedes Cellisten“ beschrieben. Jeder Cellist beschäftige sich ein Leben lang mit diesem Zyklus: „Übt, liest, liest nochmals und wieder, übt abermals, ohne Unterlass, erneuert sich dabei, genießt und verzweifelt…“ So oder so ähnlich muss es auch bei Demenga gewesen sein. Erstmals begegnete er den Cellosuiten als Kind im zarten Alter von nur 10 Jahren, spielte sie auf Anregung seiner Cellolehrerin bei einem Musikwettbewerb. Sie haben ihn in den weiteren Jahren durch viele Phasen der Musikerkarriere begleitet. Jahrzehnte später hat er sich dem Zyklus nun mit der Erfahrung und Weisheit eines langen und erfüllten Musikerlebens neu gewidmet. Eingespielt wurden die Sätze im Hans-Huber-Saal unter Live-Bedingungen, aber ohne Publikum und am Stück ohne Unterbrechung.
Beim verwendeten Cello handelt es sich um ein Instrument aus der Testore-Schule, Mailand, 18. Jahrhundert. Es wurden unumsponnene Darmsaiten verwendet und historisch korrekt einen Ganzton tiefer gestimmt. So wird der Klang des Cellos nicht nur dunkler und voller, sondern auch holziger und nuancenreicher. Man hört den Einspielungen diese informierte und reflektierte Annäherung an, trotzdem wirken sie keinesfalls nüchtern oder distanziert, ganz im Gegenteil, sie strotzen vor Kraft und Lebendigkeit. Hier verbinden sich kompositorische Genialität und interpretatorische Meisterschaft. Man muss, um das zu erkennen, gar kein Barockspezialist oder Celloliebhaber sein, es ist unüberhörbar, liegt völlig offen zu Tage.
Auch die auf den ersten Blick etwas sture chronologische Anordnung geht vollkommen in Ordnung, war von Bach wohlmöglich so gedacht und konzipiert, die Folge der Tonarten impliziert das wenigstens und innerhalb der Suiten sollte sowieso nicht willkürlich getauscht oder ausgelassen werden (wozu auch?). Freilich laden die stilisierten Tanzsätze heute keinen Hörer mehr zu reglementierter Bewegung ein, die historischen Tanzschritte sind heute längst vergessen. Innerlich setzen sie sowohl beim Spieler, als auch beim Hörer jedoch einiges in Bewegung. Die Musik wirkt in Demangas Auslegung würdevoll, befreiend, erhebend, überirdisch und transzendierend. Bach eben. Aber selbst in Bachs umfangreichem und anspruchsvollem Werk ragen seine Cellosuiten spürbar heraus.
Die Produktion ist wie so oft bei ECM einwandfrei, fein abgestimmter Mix, fantastischer Hallraum. Verantwortlich dafür ist Tonmeister Laurentius Bonitz, Labelchef Manfred Eicher war diesmal „nur“ Ausführender Produzent. Aufgenommen wurde bereits im Februar 2014, warum die feine Aufnahme solange im Archiv schlummerte wird nicht erklärt.
Fazit: Wunderbare Neueinspielung der legendären Cellosuiten von J.S. Bach von einem Meisterinstrumentalisten seines Fachs. Auch wenn es bereits viele Interpretationen gibt, diese ist ein willkommener und wichtiger Beitrag und setzt wieder einmal neue Standards.
Das Album hat zwei CDs mit jeweils 18 Tracks. Das Booklet umfasst einen einleitenden Text (dt./eng.) von Thomas Meyer und einige Miniaturreproduktionen von Originalmanuskripten in der Abschrift von Anna Magdalena Bach.