Fredrik Sjöberghat hat Biologie und Geologie studiert, arbeitet aber inzwischen hauptsächlich als Übersetzer, freier Journalist und Schriftsteller. In Fachkreisen bekannt für seine Schwebfliegensammlung, beschäftigt er sich in seinen letzten Buchpublikationen mit dem Umgang mit exotischen Interessen und deren Auswirkungen auf individuelle Lebenswege. Nach „Der Rosinenkönig. Von der bedingungslosen Hingabe an seltsame Passionen“ (2011) und „Die Kunst zu fliehen. Vom Nutzen des Scheiterns und dem Vergnügen der Abschweifung“ (2012) erscheint nun sein neustes Werk, das vorerst eine Trilogie vervollständigt: „Vom Aufhören. Über die Flüchtigkeit des Ruhms und den Umgang mit dem Scheitern“.
Falls der Verlauf seiner eigenen Karriere das Interesse für die Themenreihe geweckt haben sollte, so ist das aus dem Text selbst nicht direkt ersichtlich. Die thematische Vorlage wird exemplarisch an zwei Künstlerkarrieren des frühen 20. Jahrhunderts dargestellt. Die Lebenswege des schwedischen Malers und Eigenbrötlers Olaf Agren und der nach Schweden emigrierten deutsch-jüdischen Malerin Lotte Laserstein sind die Schablonen anhand derer Berufsausbildung, erste Karriereschritte, kleine Berühmtheit und ein jahrzehntelanges Verklingen durchdekliniert und betrachtet werden. Dabei kann man noch nicht einmal von einem allgemeinen Scheitern sprechen. Wie man sieht, ist das Scheitern immer individuell und hängt von unendlich vielen Zufällen und Begebenheiten ab. Am Ende ihres Lebens bzw. kurz danach werden beide wiederentdeckt und kommen posthum zu ansehnlichen Ehren. Ein vollumfängliches Scheitern im Sinne von Versagen wäre dann nochmal ein eigenes, wenn auch vermutlich wenig erbauliches Thema.
Die Gegenüberstellung eines hemdsärmligen Schweden aus einfachem Arbeitermilieu und der bildungsbürgerlich sozialisierten Jüdin aus der deutschen Hauptstadt und europäischen Kulturmetropole Berlin erscheint interessant, immer wieder wird zwischen den Karrierestationen der beiden kapitelweise hin und her gewechselt. Agren stand seine Eigenwilligkeit und sein bemerkenswerter Starrsinn im Weg, Laserstein geriet als Frau innerhalb einer Männerdomäne und Jüdin in Zeiten des dritten Reiches in Schwierigkeiten und sah sich zur Emigration gezwungen. Am Ende landen beide unabhängig voneinander in der schwedischen Provinz. Agren als verarmter, zornerfüllter und nicht sehr talentierter Landwirt, Laserstein als Zeichenlehrerin und Portraitmalerin, beide weit entfernt von den herausragenden künstlerischen Leistungen ihrer mittleren Lebensphase. Spät werden sie durch Zufall wiederentdeckt, bedeutungslos für Agren, eine späte Genugtuung für Laserstein.
Der Text ist immer wieder durchsetzt von Begebenheit und Gedanken des Autors, die während der Recherche entstanden. Eine wirkliche Erklärung für die entscheidenden Wendungen wird nicht geliefert. Wesentliche Erkenntnis könnte sein, dass die Dinge nicht in den Händen der Protagonisten liegen. Sie werfen alles, was sie haben in die Waagschale, schicksalsentscheidend sind dann aber eigene Charakterzüge, zufällige Begegnungen, Zu- und Abneigungen, gesellschaftspolitische und kulturhistorische Entwicklungen und vieles mehr auf das niemand einen direkten Einfluss hat. Hinzu kommt die Situation der wirtschaftlichen Verhältnisse, familiäre Verantwortung und nicht zuletzt die eigene Interessenslage. Kann man da von Scheitern sprechen? Ist künstlerisches Scheitern überhaupt eine absolute Kategorie? Wer entscheidet darüber? Galeristen, Kritiker, Kulturhistoriker? Der Künstler selbst? Nicht einmal das trifft zu.
Fazit: Künstlerisch zu scheitern ist gar nicht möglich, weil Scheitern nicht messbar ist. Man kann allerdings den eigenen Maßstäben nicht genügen und wenn das zutrifft, obwohl man jahrzehntelang alles gegeben hat, dann muss das eine sehr betäubende Erfahrung sein, die individuell als Scheitern empfunden werden kann. Man kann danach aus welchen Gründen auch immer trotzdem weitermachen (weil man nichts anderes kann, weil der Rubel rollt, weil die anderen es nicht gemerkt haben). Kategorische Typen wählen dann vielleicht das Aufhören. Aber auch das muss nicht immer die richtige Wahl sein. Manchmal ergeben sich gerade besondere Arbeitsergebnisse, ohne dass man zuvor geahnt hätte, was genau entsteht. Wie man es auch betrachtet, es gibt keine allgemeine Erklärung oder Patentlösung. Die Antwort liegt allenfalls im Auge eines jeden einzelnen Betrachters und ist somit extrem relativ.
„Vom Aufhören“ erscheint bei Galiani Berlin, hat 192 Seiten und kostet gebunden 20 €.
Scheitern kann auch sein, sein Talent nicht ausgelebt zu haben.
Ich kann mich auch en ein Buch über einen jüdischen Künstler während der NS-Zeit erinnern, der ins hinterste Eck von Asien fliehen musste und der am Ende völlig verbittert war, weil er nie Zeit und Gelegenheit bekam, sein Talent auszuleben.
Mein Onkel, den ich nicht kennenlernte, war Musiker, Kirchenmaler, ein Mann von Welt. Er starb recht jung im zweiten Weltkrieg und wusste, daß er nicht zurück kommen wird.
Was soll man sagen?!
Wenn man wenigstens ordentlich in seine Möglichkeiten reingerochen hat, dann ist es viel. Man hat gespürt, was das Leben sein kann. Was es bieten kann.
@Gerhard: Mit deinem ersten Satz (und letzten Sätzen) hast du sicher recht, so hatte ich es noch gar nicht betrachtet.
Ich glaube, es gibt für verschiedene Lebensphasen auch unterschiedliche Betätigungen, die anstehen, dazu gehören nicht nur Beruf und Berufung, sondern auch Partnerschaft, Familie, Kinder, Enkel. Nichts besonderes, aber für das engere Umfeld wohl wirkungsvoller und weitreichender als bedeutende Bilder zu malen oder tolle Songs zu schreiben. Diese vermeintlich profanen werden ja gerne mal den Frauen überlassen oder komplett unter den Tisch fallen gelassen. Bezeichnenderweise waren beide von Sjöberg beschriebenen Künstler kinder- (enkel-)los, obwohl beide sehr alt wurden. Waren sie glücklich, habe sie andere glücklich gemacht? Bei Agren darf man das bezweifeln. Vielleicht ist das, das größere Scheitern.