Johannes Klier ist klassischer Gitarrist, Instrumentalpädagoge, Autor von Aufsätzen und Büchern, sowie Herausgeber von Noteneditionen. Seit den 1980er Jahren leistet er mit diversen Veröffentlichungen wertvolle Beiträge zur Geschichte der Gitarre und zu Werkanalyse und Interpretation. 1980-1996 war Klier Lehrbeauftragter für Gitarre an der Hochschule für Musik München. Das Interview fand in schriftlicher Form im Mai 2020 statt und wurde geführt von Dr. Dennis Schütze.
DS: Herr Klier, was hat sie als junger Mensch zum Instrument Gitarre hingezogen? Und wie haben sie das Instrument zuerst erlernt? Gab es damals etwas wie eine etablierte Lehrmethode für klassische Gitarre?
JK: Es war der Klang der Gitarre, der mich von Anbeginn an berührte, ihr intimer, leicht melancholischer Klang. Ich war gerade einmal 5 Jahre alt, als ich im Radio zum ersten Mal Gitarrenmusik hörte und war sofort gefangen genommen. Erst viele Jahre später erfuhr ich, dass es sich bei diesem Stück um Francisco Tárregas Minuetto handelte, gespielt von Andrés Segovia – ich denke, es ist eine seiner schönsten Aufnahmen. Nach diesem „Erweckungserlebnis“ hörte ich so oft es ging Radio, und glücklicherweise gab es auch immer wieder einzelne Gitarrenstücke zu hören. Merkwürdigerweise sendete der BR alle paar Monate jenes Gitarrenstück – Tárregas Minuetto. Im Alter von 8 Jahren bekam ich dann endlich von meinen Eltern zu Weihnachten eine Gitarre.
Ich bin in einem kleinen bäuerlichen Marktflecken im tiefsten Niederbayern aufgewachsen, direkt in der Nachkriegszeit, da gab es natürlich keine Musikschule, keine ausgebildeten Gitarrenlehrer, klassische Musik spielte kaum eine Rolle und klassische Gitarrenmusik war praktisch unbekannt. Als Gitarrenlehrer hatte mein Vater einen Kollegen aus dem Nachbarort gewinnen können. Er war Volkschullehrer und konnte ganz gut Gitarre spielen, in erster Linie natürlich Liedbegleitung, er spielte so, wie man als Laie Gitarre spielte. Eine etablierte Lehrmethode für klassische Gitarre gab es damals natürlich auch nicht. Allerdings war der Huber Martin ein begnadeter Harmoniker, er beherrschte die Harmonielehre wie kaum ein Zweiter, und so lernte ich von ihm nicht nur alle möglichen Griffe auf der Gitarre, sondern vor allem auch, was harmonisch bei einer Liedbegleitung auf der Gitarre möglich ist. Nach etwa 2 Jahren meinte Herr Huber, er könne mir nun nichts mehr beibringen und beendete den Unterricht.
Nun war ich in den kommenden Jahren bis zum Abitur ganz auf mich allein gestellt, denn es gab niemanden in weitem Umkreis, der mir Gitarrenunterricht hätte geben können. So begann ich von mir aus neben eigenen Liedbegleitungen, Solosätze von deutschen und europäischen Volksliedern zu schreiben, an Weihnachten kamen Solo-Liedsätze von Weihnachtsliedern dazu, die ich dann ab ca. meinem 11. Lebensjahr auch öffentlich in Weihnachtskonzerten, Liedveranstaltungen etc. mit Erfolg vortrug.
Mit 12 Jahren bekam ich dann zu Weihnachten meine erste Langspielplatte mit Gitarrenmusik: „Andrés Segovia spielt“. Als ich all die Stücke auf der LP hörte (Mudarra: Romanesca, Milán: Fantasía und Pavane, de Visée: d-moll-Suite, Sor: Mozartvariationen op. 9, Moreno Torroba: Sonatine, Villa-Lobos: Étude Nr. 7 und – Silvius Leopold Weiss: Prélude, Ballet und Gigue – die aber alle drei, wie wir heute wissen, von Manuel Ponce stammen), wusste ich, was ich in meinem Leben machen will. Ich verwendete mein bescheidenes Taschengeld für das Bestellen von Gitarrennoten und versuchte, all die Stücke zu spielen, die ich auf den verschiedenen Segovia-LPs hörte. Bis zum Abitur hatte ich dann ein ganz nettes Repertoire beisammen, das ich öfters in Schulkonzerten, Kirchenkonzerten und bei allen möglichen Anlässen spielen konnte. Meine „Hits“ waren die 6 Lautenstücke aus der Renaissance (Chilesotti), Miláns Pavanen I und III, Mudarras Romanesca, Espagnoleta von Gaspar Sanz, die d-moll-Suite von de Visée, Bachs Praeludium und Presto aus der 1. Lautensuite, Tansmans Trois pièces pour la guitare, Villa-Lobos (Préludes No. 1 und 3). Für Sors Mozartvariationen oder Granados’ La Maja de Goya reichten allerdings meine Spielkünste damals nicht aus. Denn obwohl ich schöne Erfolge mit meinem Spiel verzeichnen konnte, wusste ich doch, das ich eigentlich über keine Spieltechnik verfügte – trotzdem ich im Laufe der Jahre alle möglichen Gitarrenschulen für mich selbst durchgearbeitet hatte (Carulli, Carcassi etc.). Aber ohne Lehrer war das verlorene Liebesmüh.
Durch einen Zufall Ende der 1960er Jahre erlebte ich einen Freund aus dem Nachbarort beim Gitarrenspiel. Und sofort hörte ich den Unterschied, ich wusste: SO muss Gitarre klingen. Siegbert erzählte mir, dass er während seines Studiums an der Münchner Kunstakademie bei einem Spanier namens Santiago Navascués Gitarrenunterricht gehabt hatte, nicht lange, nur ein paar Monate. Wie ich sehr viel später erfuhr, war Santiago Navascués Schüler von Quintin Esquembre gewesen, einem Schüler von Francisco Tárrega, hatte aber dessen Spielweise und Spieltechnik weiterentwickelt und systematisiert. Siegbert zeigte mir einige wenige spieltechnische Grundlagen und ich versuchte, sie zu realisieren, so gut es eben ging in der kurzen Zeit, denn tragischerweise verstarb er kurz darauf in jungen Jahren.
Doch habe ich mein Ziel, nach dem Abitur in München Musik (Gitarre) zu studieren, nie aus den Augen verloren. Auf Druck der Eltern begann ich zwar ein Romanistik/Anglistik-Studium an der LMU – ein Musikstudium stand in meinem Elternhaus nicht zur Debatte – ich wusste aber sehr bald, dass das nicht mein Weg war. So besorgte ich mir die Adresse von Santiago Navascués und stand dann eines Samstagnachmittags vor seiner Tür und bat ihn, ihm vorspielen zu dürfen (Villa-Lobos: Prélude Nr. 1). Wie erwartet, sagte er mir, dass ich keine Spieltechnik hätte. Ich gab ihm natürlich recht und fragte, ob er mir Unterricht geben würde. Seine Zusage war für mich große Freude. Dann hieß es, ganz von vorn neu zu beginnen: Anschlagsübungen auf leeren Saiten, Tonleitern und nach ein paar Wochen kleine Étuden von Aguado.
Daneben ging ich immer noch in die Uni, meine Eltern erfuhren nichts von meinen gitarristischen Aktivitäten. Trotzdem waren diese Uni-Semester keine verlorene Zeit – im Gegenteil: Zu meinem großen Glück lernte ich dort meine spätere Frau Ingrid kennen, die mich, als ich ihr von meinem Wunsch eines Musikstudium erzählte, ermunterte, bei diesem Plan zu bleiben. Ihrem Rückhalt und Ihrer Unterstützung habe ich es zu verdanken, dass ich mich allen elterlichen Widerständen widersetzt und ein Gitarrenstudium am Richard-Strauss-Konservatorium (Fachakademie für Musik) begonnen habe.
DS: Sie haben klassische Gitarre bei Santiago Navascués in München und Patrick Bashford in London studiert. Wie war eine solche Ausbildung zu diesem Zeitpunkt angelegt? Was waren gängige Übe- und Repertoirestücke?
Neben den üblichen Theoriefächern – also Gehörbildung, Tonsatz (Harmonielehre und Kontrapunkt), Akustik und Instrumentenkunde, Musikgeschichte etc. ¬– und den praktischen Fächern wie Chorleitung, Ensembleleitung etc., gab es wöchentlich eine Stunde Hauptfachunterricht, ab dem 2. Studienjahr kamen das Gitarrenseminar und Gitarre-Kammermusik hinzu.
Santiago Navascués war ein strenger Lehrer, meist unerbittlich und kompromisslos, aber seine fachliche Kompetenz war über jeden Zweifel erhaben. Jeder Studienanfänger musste quasi von vorne anfangen – tabula rasa stand am Beginn des 1. Studienjahres. Also: Anschlagsübungen auf leeren Saiten, Tonleitern, kleine Étuden von Dionisio Aguado. Und wenn man dann mit den spieltechnischen Grundlagen etwas vertraut war, durfte man ein Vortragsstück einstudieren. Das war meistens ein Pavane von Milán, ein Menuett von Sor, Bachs d-moll-Präludium BWV 999 o. ä. Am Ende jedes Studienjahres stand für jeden von uns die Jahresprüfung, man gab eine Liste der im Laufe des Studienjahres erarbeiteten Musikstücke ab und musste dann 2 oder 3 davon einer Prüfungskommission vorspielen, die diese Leistung mit einer Jahresnote bewertete.
Zu den üblichen Étuden gehörten einzelne Carcassi-Étuden op. 60, verschiedene Étuden aus Sors op. 6, 30 und 31. Und dann natürlich die Étuden von Villa-Lobos.
In Laufe der 4 Studienjahre steigerte sich der Schwierigkeitsgrad der Vortragsstücke. Im Laufe der Jahre durfte man auch selbst Gitarrenliteratur vorschlagen, die man spielen wollte und Herr Navascués entschied, ob man schon dafür bereit war. Mein Repertoire, das ich mir erarbeitet hatte, beinhaltete u. a. alle 6 Pavanen von Milán, die sog. Harfenfantasía von Mudarra, die Guárdame las Vacas-Variationen von Narváez, Bach: Adagio (eine eigene Bearbeitung) und Fuge BWV 1001, Robert de Visée: d-moll-Suite, Giuliani: C-Dur Sonate op. 15, Sor: Gran Solo op. 14, Granados: Spanischer Tanz Nr. 10, Castelnuovo-Tedesco: Tarantella, Villa-Lobos: Étuden Nr. 1, 11 und 12, Die Préludes Nr. 1 – 5, Peter Jona Korn: Arabesque op. 61.
Für die Diplomprüfung hatte ich mir als obligatorisches Kammermusikwerk das Sexteto místico für Flöte, Oboe, Saxophon, Gitarre Celesta und Harfe von Heítor Villa-Lobos ausgesucht. Als Gitarrenkonzert spielte ich Mauro Giulianis Gitarrenkonzert Nr. 1 in A-Dur op. 30.
Meine Studienkollegen spielten ein ähnliches Repertoire, hinzu kamen aber auch noch Stücke von Leo Brouwer (Elogio de la Danza, Canticum), Joaquín Turina (Fandanguillo) und Joaquín Rodrigo (En los trigales und natürlich sein Aranjuez-Konzert), Castelnuovo-Tedesco (Gitarrenkonzert Nr. 1), Heítor Villa-Lobos (Gitarrenkonzert), Stücke von Silvius Leopold Weiss, Domenico Scarlatti und Gaspar Sanz. Es fehlten auch nicht die „Hits“ von Albéniz (Asturias z. B.) und Granados (Spanischer Tanz Nr. 5).
Nach meiner Diplomprüfung erhielt ich die Zulassung für zwei weitere Jahre Fortbildungsstudium, die ich dann mit der Konzertreifeprüfung abschloss.
Santiago Navascués war ein sehr guter Lehrer, für mich zu diesem Zeitpunkt jedenfalls der Richtige. Mit seinem kompromisslosen Unterricht kamen aber nicht alle seine Studenten klar. Manche Egos waren zu groß, um zu Beginn des Studiums noch einmal „von vorne“ anzufangen. Ich aber wusste, dass ich mir eine solide spieltechnische Grundlage erarbeiten musste – und die Spieltechnik von Santiago Navascués war über jeden Zweifel erhaben, vor allem das klangliche Ergebnis überzeugte von Woche zu Woche. Also hieß es durchhalten. Lob hatte Seltenheitswert – wenn man ein „Nicht so schlecht“ zu hören bekam, konnte man schon stolz sein.
Navascués’ Lehre bestand vor allem darin, ohne Druck, nur mit einer schnellen Bewegung, einem Impuls, aus dem Mittelhandknochen die Saite(n) anzuschlagen. Dadurch wird die Schwingungsfähigkeit der Saiten entscheidend vergrößert. Solch ein Impuls kann natürlich nur dann das gewünschte Resultat erzielen, wenn man ihn vollkommen locker und unverkrampft ausführt. Und so ermahnte uns Herr Navascués immer wieder, locker zu sein, nicht verkrampft zu spielen und zu greifen. Und er forderte, dass dieser Impuls mit Nachdruck, ja nahezu aggressiv geschehen solle, denn je schneller und vehementer diese Anschlagsbewegung ausgeführt wird, umso lauter und tragfähiger wird der Ton. Den akustischen Beweis für diese Aussage haben wir seinerzeit im Gitarrenseminar mit Hilfe eines Oszillographen erbracht.
Diese vehemente Art des Anschlags bereitete mir immer wieder gewisse Schwierigkeiten, sie fiel mir nicht leicht, entsprach meinem Temperament nicht wirklich. Und so begann ich nun nach Beendigung des Studiums, ohne Leistungs- und Zeitdruck, meine gesamte Spieltechnik noch einmal zu hinterfragen. Ich versuchte, alles noch einmal logisch zu durchdenken. Denn wenn ein Lehrer einem Schüler sagt: „Du bist verkrampft, Du bist nicht locker, Du musst locker sein“ so ist das nur ein erster Schritt für den Lernenden. Er braucht fassbare Koordinaten, mittels denen er sich selbst überprüfen kann. Und so habe ich verschiedene Bücher gelesen: Werke über optimales Bewegungslernen und medizinische Fachliteratur, um den Bewegungsapparat, die Muskulatur und ihre Wirkung zu verstehen. Auch ein Feldenkrais-Kurs hat mich weitergebracht, ich habe quasi physisch gelernt, dass Lockerheit zuerst im Bewusstsein jedes Einzelnen entsteht.
Meine Spieltechnik schien sich durch diese Erkenntnisse zwar auf den ersten Blick kaum zu ändern – und doch geschah etwas Grundsätzliches. Ich denke, dass ich die bei Navascués gelernte Spieltechnik für mich und meine Klangvorstellung weiterentwickelt habe. Natürlich spielte ich weiterhin ohne Druck – das gilt sowohl für die linke als auch die rechte Hand – aber es gab doch einen großen Unterschied: mein optimierter Anschlagsimpuls kam zwar schnell, aber ohne die frühere Vehemenz und Aggression. So konnte ich das Anschlagsgeräusch praktisch eliminieren, die Saite bot keinen wirklichen Widerstand und ich hatte die völlige Kontrolle über den Ton, seine zeitliche Entstehung, seine Klangqualität und Klangfarbe, seine Lautstärke. So war es auch möglich, eines der zentralen Probleme beim Musizieren – die wichtige Beziehung von vertikalem Druck und horizontalen Fluss – zu realisieren. Es gelang mir immer öfter, meine innere Vorstellung vom gewünschten Klang umzusetzen und dann im besten Fall Musik entstehen zu lassen. Erstaunlicherweise stellte ich fest – was mir auch Zuhörer meiner Konzerte bestätigten –, dass ich keineswegs zu leise war mit meinem Gitarrenspiel, sondern dass der Ton der Gitarre laut klang und weit trug. 1986 bestätigte mir der Gitarrenbauer Gabriel Fleta, als ich ihm vorspielte, dass seine Instrumente daraufhin ausgelegt sind und ich genau so spiele, wie sich er und sein Bruder Francisco sich das vorstellten.
Ein paar Jahre später habe ich dann all meine Erkenntnisse in meinem Artikel „Üben beginnt im Kopf“ zusammengefasst, den ich für die Zeitschrift Üben & Musizieren verfasst hatte. Er hatte großen Erfolg und wurde mehrfach nachgedruckt. Es kontaktierten mich Musikstudenten aus ganz Deutschland – Geiger, Pianisten –, die Unterricht bei mir haben wollten. Dies bewies mir, dass im gängigen Instrumentalunterricht dieses Thema – wie übe ich richtig – keine Rolle spielte und von den Professoren und Dozenten sehr oft sträflich vernachlässigt wurde. Dabei entscheide ich beim Üben, beim ersten Ton, ob ich mir der Qualität aller Bewegungen beim Gitarrespielen stets bewusst bin, nur hier beim Üben kann ich Fehler durch mentales Training von vornherein vermeiden. Durch derart konzentriertes Üben, das nichts mit Musik zu tun hat, entscheide ich allein, ob ich das betreffende Stück später erfolgreich auf dem Podium werde spielen können. Alles beginnt im Kopf, im Bewusstsein des Einzelnen, der Zustand des Bewusstseins beim Üben ist ausschlaggebend.
Trotzdem hatte ich zu diesem Zeitpunkt, zu Beginn der 1980er Jahre, das Gefühl, ich sollte auch noch einmal etwas vollkommen Neues kennen lernen. Und so schrieb ich an das Royal College of Music in London und erhielt wie erwartet die Antwort, dass ich für ein reguläres Musik-Gitarrestudium viel zu alt wäre. Sie hätten aber meinen Brief und meine Unterlagen an einen ihrer Gitarrenprofessoren – Patrick Bashford – weitergereicht. Prof. Bashford hatte bei dem Llobet-Schüler José Rey de la Torre studiert, ich blieb also ganz in der spanischen Gitarrentradition, was mir wichtig war.
Und so kam es, dass ich in den darauffolgenden drei Jahren in regelmäßigen Abständen nach London flog und Prof. Bashford vorspielte, um seine Meinung und seine fachliche Kritik zu erfahren. An meiner Gitarrenspieltechnik hatte er gar nichts auszusetzen, allerdings, und das war sein Hauptkritikpunkt, war ihm mein Spiel zu einförmig, es hatte seiner Meinung nach zu wenig verschiedene Klangfarben, ihm fehlte das changing of colours, so wie das z. B. Julian Bream macht. Prof. Bashford forderte mehr „Entertainment“ in meinem Spiel. Da gab es dann Diskussionen, denn ich lehnte und lehne es (heute mehr denn je) ab, unterschiedliche Klangfarben nur deshalb einzusetzen, damit „es“ nicht langweilig wird. Meiner Überzeugung nach müssen solche Klangfarben durch die musikalischen Strukturen eines Musikstücks begründet sein. Anderes kam für mich nicht in Frage. Trotzdem sah ich ein, was Prof. Bashford meinte und ich versuchte natürlich, etwas zu ändern. So verfeinerte ich weiter meine Anschlagstechnik, mein Anschlag wurde noch differenzierter und klanglich farbiger. Meine Alternative zu Bashfords Vorstellung war es, die einzelnen Stimmen eines Werkes mittels Klangfarben hörbar zu machen und so dem Musikstück wesentlich mehr Transparenz und Durchsichtigkeit zu verleihen.
So hat Prof. Bashford dann doch erreicht, was er durch seine Kritik erreichen wollte: dass sich mein Spiel veränderte, farbiger wurde, allerdings anders, als er sich das vorgestellt hatte. Ich war und bin mir natürlich bewusst, dass ich mit dieser Art des Gitarrenspiel einen gänzlich anderen Weg eingeschlagen habe, als es die normale Gitarrengemeinde – Prof. Bashford nannte sie „the guitar-crowd“ – kannte und kennt. Patrick Bashford war ein feiner Mensch, nobel und elegant in seinem Wesen und in seinem Auftreten, sehr sympathisch, stets ansprechbar und als Lehrer eine starke Persönlichkeit. Unser Verhältnis war natürlich kein normales Lehrer-Schüler-Verhältnis, so wie das mit Santiago- Navascués der Fall war, konnte dies auch – bedingt durch mein Alter – nicht sein. Ich betrachtete ihn stets als meinen Mentor, der mich einige Zeit auf meinem beruflichen Lebensweg begleitet hat und ich war sehr betrübt, als ich von seinem Tode im Dezember 2011 erfuhr.