Musikproduktionstechnische Neuerungen (2020)

Vor knapp drei Jahren, Anfang 2018, befand ich mich in einer musikproduktionstechnischen Umbruchsphase und habe dem in einem Blogartikel Ausdruck verliehen. Ich hatte das Gefühl meine technischen Mittel ausgereizt zu haben, schaffte neue Geräte an, sortierte veraltetes Gerät aus, probierte neue Herangehensweisen aus. Die Ausschau nach neuen Entwicklungen und Möglichkeiten ist seitdem zum Dauerzustand geworden. Informationsquellen sind manchmal Hinweise von Kollegen, meistens aber Anleitungs- und Informationsvideos von Akteuren auf Youtube und Webseiten von kommerziellen Anbietern. Im laufenden Jahr 2020 hat sich für mich einiges entwickelt, was inzwischen erheblichen Einfluss auf meine Arbeitsweise, mein Klangrepertoire und nicht zuletzt die Produktionsergebnisse genommen hat. Hier eine kleine Übersicht:

Es braucht Monate, wenn nicht Jahre um die diversen Features und Plugins der eigenen DAW kennenzulernen und halbwegs für die eigenen Zwecke zu nutzen. Einige wertvolle Entdeckungen in Logic Pro X waren für mich ChromaVerb, Tape Delay, Vintage EQ Collection, Ultrabeat, Phat FX & Step FX. Ein großer Sprung nach vorne dann sicherlich das Update auf 10.5 im Mai 2020, das neue Features und Plugins wie Live Loops, Sampler, Quick Sampler, Remix FX, Drum Synth und Step Sequencer umfasste. Persönlich hatte ich den Eindruck, dass auch viele Drag-&-Drop-Anwendungen sowie Flexpitch und Flextime im Laufe der letzten Zwischen-Updates deutlich verbessert wurden, ohne dass das groß thematisiert worden wäre. Auch die Presets des Amp Designers überzeugen mich viel mehr als noch vor kurzer Zeit. Kommt vermutlich dazu, dass man nach einiger Erfahrung mit diesen Applikationen deutlich bessere Ergebnisse erzielt als am Anfang.

Erstmals habe ich in diesem Jahr Sounds sog. Drittanbieter zugekauft. Zuerst das Klavier „The Gentleman“ von Native Instruments, weil mich die Werkspianoklänge (Yamaha, Bösendorfer) in Logic immer mehr gestört und frustriert haben. Da die eigenen Aufnahmen am hauseigenen Klavier leider ebenfalls unbefriedigend waren und auch im Workflow (kein MIDI, kaum Nachbearbeitungsmöglichkeiten) viel Zeit in Anspruch nahmen, war „The Gent“ da ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Dann entdeckte ich die Klangbibliotheken der Firma Spitfire Audio, zuerst die kostenlose Serie LABS, dann die günstige Themenserie Orig!nals, hier begeisterten mich Intimate Strings (!), Firewood und Felt Piano, dazu das kostenfreie und gar nicht üble BBC Orchestra. Freue mich jedes Mal, wenn ein neuer Sound angekündigt wird, die großen cinematischen Klangpakete interessieren mich allerdings nicht so sehr, wohl eher was für Filmmusikkomponisten.

Großes Investment zum Jahresende wurde dann die Sammlung Komplete 13 von Native Instruments mit vielen Instrumenten, Synths und Effekten. Sind mehr als 200 GB und braucht seine Zeit zum Durchhören, natürlich wird man nicht alles verwenden können. Für mich besonders interessant alle Pianos (Gentleman, Maverick, Noire, Una Corda, Giant), SynthKlangsammlungen (LoFi Glow, Modular Icons, Hybrid Keys), einige Effekte (Dirt, Driver, Raum, Replika) und DrumLab. Wird mich noch eine Weile beschäftigen, bin noch nicht ganz sicher, ob das den Preis wert ist, obwohl viele andere begeistert sind.

Kleines Investment war die Effektsammlung Soundtoys 5, die ich gerade entdecke. Cool: Decaptivator, Little Plate, Echo Boy.

Dazu kamen diverse kostenfreie, aber wertvolle, weil oft genutzte Plugs wie das neue (!) Vinyl von iZotope, ValhallaSpaceModulator, ValhallFreqEcho, ValhallaSupermassive.

Diese neuen Klangwelten haben bereits einiges bei meinen Produktionen in Gang gesetzt. Entsprechende Veröffentlichungen stehen unmittelbar bevor und ich bin gespannt wie die frische, für meine Verhältnisse neue Klangsprache angenommen wird. Habe im Laufe der Jahre immer wieder Versuche in die Richtung gestartet, angefangen bei „Pictures in my mind“ (2004) bis „Iconic Popsongs of the 1980s in 88bpm“ (2017) von Doro T, allerdings mit begrenzten klanglichen Mitteln. Jetzt standen mit erstmals zeitgemäße Klänge in hervorragender Qualität zur Verfügung, Subbässe sind massiver, Beats fetter, Mix optimierter. Mit der Sängerin Sandra Buchner und unter dem Pseudonym LoFiLo sind in den letzten Wochen eine Handvoll Einzeltracks entstanden, die alle in den ersten Wochen des neuen Jahres erscheinen werden. Ganz andere Arbeitsweise, alles Singles, die für sich stehen, Mal sehen, ob das jemand hören will.

Was sich jedoch immer deutlicher zeigt: Die gemeinschaftliche Arbeitsweise mit einem musikalischen Kollektiv in Echtzeit ist bereits seit Monaten nicht mehr möglich und erscheint mir inzwischen irgendwie auch überholt, weil nur selten effektiv, oft bleibt man beim Üben/Arrangieren im Proberaum doch in (ur-) alten Klischees hängen und es gewinnt der kleinste gemeinsame Nenner. Ich persönlich habe auf Kommando, z.B. während der Probe auch einfach keine guten Ideen, brauche dafür stattdessen den richtigen Moment, Ruhe, Abgeschiedenheit, eine Idee, die ich ausarbeiten kann. Allenfalls kann ich mit einzelnen Partnern musikalisch arbeiten, brauche dazwischen aber immer wieder Zeit zur Reflexion, zum Überlegen, Abwägen und Abstimmen. Da kommt mehr bei raus und das Ergebnis ist ausgecheckter, interessanter, aufregender. Ausgewählte Klangbibliotheken können da eine große Inspirationsquelle, ein Brandbeschleuniger der künstlerischen Leidenschaft, ein musikalischer Jungbrunnen sein. Es gibt weniger Abhängigkeiten, schnelleren Workflow, größere stilistische Breite, qualitativ bessere und quantitativ mehr Ergebnisse. Auf der anderen Seite kann man sich natürlich nicht auf andere Mitstreiter verlassen oder auch nur stützen. Inspiration, Durchführung, Problemlösung, Entscheidungen, Finalisierung, das muss alles schon im Wesentlichen von einem selbst kommen.

Im Ganzen ist diese neue Arbeitsweise für mich jedoch sehr positiv. Ich stand in diesem außergewöhnlichen Jahr 2020 nur drei Mal auf einer Bühne, habe aber gleichzeitig noch nie so viel Musik erdacht, instrumentiert, arrangiert, aufgenommen, gemischt, gemastert, verfilmt, veröffentlicht, angeboten und verstreamt, sprich gemacht und produziert wie in den letzten 12 Monaten. Was für eine erstaunliche Entwicklung, bin gespannt wie das weitergeht, befürchte allerdings es gibt kein Zurück mehr zur althergebrachten Arbeitsweise (z.B. Proben, Jams, Liveauftritte, alle vier Jahre ein Studioalbum). Wir befinden uns mittendrin in einem gewaltigen Paradigmenwechsel der Musikproduktions- und auch der Musikkonsumkultur. Ich habe das Jahr zur Entwicklung neuer Arbeitsmethoden genutzt und der Wandel hat mir und den Ergebnissen absolut gut getan.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert