Zum Jahresende 2003 wird Christine Thürmer ihre Stelle als Geschäftsführerin eines mittelständischen Unternehmens gekündigt, sie nutzt die unvorhergesehene Gelegenheit und bricht auf um sich einen lang gehegten Traum zu erfüllen: Sie will den Pacific Crest Trail (www.pcta.org) von der mexikanischen Grenze im Süden Kaliforniens bis zur kanadischen Grenze im nördlichen Bundesstaat Washington zu Fuß durchwandern und plant dafür fünf Monate von Ende April bis Mitte Oktober ein. Für Thürmer ist diese Wanderung nicht nur Mut- und Bewährungsprobe, sie wird geradezu zur extremen Selbsterfahrung und führt zu einer schicksalhaften Entscheidung. Nach einer kurzen Rückkehr in den bürgerlichen Beruf, durchwandert sie 2007 den Continental Divide Trail (www.contonentaldividetrail.org) von Nord nach Süd über die Rocky Mountains und danach 2008 – als vorläufigen Abschluss ihrer USA-Durchwanderung – den Appalachian Trail (appalachiantrail.org) von Nord nach Süd über die Appalachen. Sie erringt somit nach insgesamt 12.700km Langstreckenwanderung aufgeteilt in drei Routen quer durch die USA die sog. triple crown, eine besondere Auszeichnung der American Long Distance Hiking Association (ALDHA). In ihrem Buch „Laufen.Essen.Schlafen.“ beschreibt sie die Wanderungen vom beschwerlichen Anfang bis zum beeindruckenden Ende.
Das Buch ist in drei große Kapitel und einen Epilog unterteilt und chronologisch nach den Tourstationen aufgebaut. Die ersten Tage sind anstrengend, doch bald gewöhnt sich die zuvor nahezu untrainierte Wanderin an die Strapazen und Entbehrungen und kommt gut voran. Ihre Route kann man an, den Kapiteln jeweils vorangestellten, etwas kleinformatigen Karten in s/w mitverfolgen. Nachdem erste Schwierigkeiten überwunden sind, schleicht sich bald so etwas wie eine Routine ein, die vorwiegend aus den titelgebenden Tätigkeiten besteht. Die Wanderin erduldet die massiven körperlichen Anstrengungen, sie bewältigt – von einigen zero days (Ruhetagen) abgesehen – um die 35km Strecke täglich, ist Wind und Wetter ausgesetzt, schläft im Freien, ernährt sich vorwiegend von ungeheueren Mengen von Tütensuppen, Nüssen und Süßigkeiten. Unterbrochen wird die Laufroutine durch etliche nette Begegnungen mit anderen Durchwanderern (sog. thruhikern), freiwilligen Helfern (trail angels) und vielen anderen, einzigartigen Erlebnissen. Thürmer berichtet von den tiefen Eindrücken, die die mächtige US-amerikanische Naturkulisse bei ihr hinterlässt. Sie werden in der Buchmitte durch einige ansprechende Farbfotos dokumentiert ist. Ansonsten drehen sich die Beobachtungen der Autorin um alltägliche, mitunter auch sehr persönliche Dinge: Neben Witterung, Ausrüstung, Proviant- und Routenplanung geht es immer wieder auch um die eigene berufliche und persönliche Situation und ihren Umgang damit. Ebenfalls thematisiert werden die Verhältnisse zu anderen Langstreckenwanderern, zeitweise wandert sie mit einem Partner, der für die gemeinsame Zeit auch zum Beziehungspartner wird, allerdings ergeben sich daraus auch einige Probleme, unter denen Thürmer leidet, die sie allerdings erkennt und schließlich für sich klären kann. Eine Rückkehr in die alte Berufsroutine in Deutschland wird im Laufe der Entwicklung immer unvorstellbarer, Thürmer entschließt sich bereits vor dem letzten im Buch portraitierten Trail die nächsten Jahre komplett den eigenen Outdooraktivitäten zu widmen. Die Kapitelumfänge der drei beschriebenen Trails nehmen zum Ende hin erkennbar ab, ebenso wie die überschwängliche Begeisterung für die Wanderungen an sich. Das hat einerseits wohl damit zu tun, dass der erste Trail der vielseitigste, der zweite der anstrengendste (auch wegen der schwierigen Beziehung) und der letzte der unattraktivste (zu wenig vegetative Abwechslung, touristisch bereits zu sehr erschlossen) waren. Gegen Ende meint man als Leser auch eine gewisse Wandermüdigkeit zu erkennen und kann nur hoffen, dass Thürmer nach Bewältigung des letzten Gewaltmarsches wieder Energie tanken konnte und mit ihrer Entscheidung für einen Ausstieg aus dem bürgerlichen Leben richtig liegt. Warum die Niederschrift der Erlebnisse erst knapp 8 Jahre nach der letzten Wanderung erfolgt, wird nicht thematisiert, im Epilog erklärt die Autorin, dass weitere ausgedehnte Wanderungen, Fahrradtouren und Kanufahrten in anderen Kontinenten bereits geplant, zum Teil bereits abgeschlossen sind
Christine Thürmer dokumentiert ihre Wanderungen auf dem Blog www.christine-on-big-trip.blogspot.de Dort sind detaillierte Angaben zu Ausrüstung und weiteren Touren zu finden. Das Buch erscheint bei Malik, hat 288 Seiten und kostet 16,99€.
So eine „extreme Selbsterfahrung“ hat was. Unlängst mit einer ehemaligen Handballerin gesprochen, die erzählte, dass es in ihrem Kopf nur Handball gab. Es gab nichts ausser dem Sport, dem Wettbewerb und den nächsten Aktivitäten dort. Genauso muss es einem Sprinter wie Ben Johnson gegangen sein oder Seb Coe bzw. Steve Ovett. Steve Ovett etwa hat 2-3 am Tag trainiert und dazwischen geschlafen.
Das ist ein sehr dichtes Leben, natürlich für einen bestimmten Preis.
Irgendwo fasziniert mich das, wohl wegen des Motivs, ganz gefangen in einer Aufgabe zu sein, sich völlig einer Sache zu widmen. Das sehr Einseitige darin wird für eine Weile aufgewogen durch die dedication,durch die Einheit mit einem Ziel , durch die Trance.
Nachtgedanken ungeordneter Art.
@Gerhard: Ja, der Titel des Buches bringt das ganz gut auf den Punkt. Die Kombination der drei Trails, erwandert über mehrere Sommer hinweg, ist auch ganz unterhaltsam, das macht die Autorin ganz gut.
Ist allerdings nicht mein erstes Buch über Langstreckenwanderung, das ich bespreche, und da fällt dann schon auf, dass es über weite Strecken (!) immer auch um sehr elementare Themen geht, die einen Außenstehenden auf Dauer schon etwas ermüden können, ist eben eine sehr persönliche, unmittelbare und auch körperliche Erfahrung. Interessanterweise sind anscheinend introvertierte Büroangestellte (siehe auch meine Rezension zu „Norwegen der Länge nach“) besonders prädestiniert solche extremen Selbsterfahrungstripps anzutreten. Sind wohl vom drögen Arbeitsalltag so sehr von sich entfremdet, dass sie diese Extremerfahrung brauchen um einmal wieder elementare Bedürfnisse zu spüren, aus meiner Sicht eine typische Zivilisationskrankheit.
Auf ihren Tripps trifft die Autorin auf Menschen, die dann die Entscheidung treffen alles aufzugeben (Job, Familie, Heimat, soziales Umfeld) um nur noch zu Laufen, da macht man sich als ’normaler Mensch‘ natürlich schon etwas Sorgen, das wirkt ziemlich krankhaft („vor was laufen die davon?“), aber tut ja erstmal keinem weh, macht nix kaputt, also sollen sie’s von mir aus machen. Ein ausgefülltes Leben besteht für mich aber aus mehr als nur einer extremen Leidenschaft, die man noch dazu fast nur alleine und nomadisch ausleben kann, da hänge ich doch zu sehr an zivilisatorischen und kulturellen Erungenschaften. Schon alleine die Vorstellung immer nur Tütensuppe, Snickers und Chips essen zu müssen (möglichst viele Kalorien, mit möglichst geringem Gewicht), finde ich grauenhaft.
Dem ist wenig hinzuzufügen
Gerade das Essen: Fand es in einem Video schade und bezeichnend, dass eine Top -Bodybuilderin ihre Proteinzufuhr in Form von Hühnerfrikassee aus einem Plastikbottich zu sich nimmt und nicht wie ordentlich, vom Teller am Tisch.
..eine leidenschaft im wortsinne so auszuleben verlangt alle zeit und energie und ist – wie ich es selbst erlebt habe – mehr sucht als leben (stuckiman lässt grüßen) – ist eben eine grenzerfahrung, die einem persönlich sicherlich extreme erfahrungen und erkenntnisse bringt, aber eben sicher nichts für die dauer ist, auch wenn es ausdauersport ist; wer den sprung in die erkenntnis nicht macht, hat dann was verpasst „davonlaufen“ triffts….
Es gibt keine positive Sucht! Der laufpapst fixx bezeichnete das Jogging als ein solches …ich glaubte ihm mit 30..nun nicht wirklich, musste das joggen aber wegen gelenkproblemen aufgeben. Das Aufgebenmüssen einer Sache, der man sich gewidmet hat, ist meist sehr schmerzhaft.
@Bernhard: Wenn es eine Leidenschaft ist, von mir aus, aber wenn man es zu lange, zu intensiv macht, wird’s irgendwann zum zwanghaften Krampf, das muss man dann erkennen und neue Wege einschlagen, sonst wird man nicht glücklich. Im Buch befindet sich ihr vorübergehender Partner Ben schon lange in dieser bedenklichen Situation und kommt nicht mehr raus. Die Beziehung zur Autorin ist er aus strategischen Gründen eingegangen, weil sie sein Laufpensum positiv reguliert und er mit weiblicher (!) Partnerin nicht über die Stränge schlägt.
Am Ende des Buches hat man den Eindruck, dass die rekordverdächtigen Outdooraktivitäten der Autorin zum Selbstzweck geworden sind, das ist dann etwas befremdend und ein komischer Abschluss des lesenswerten Buches.