„Eine Reise durch 2500 Jahre Musik und Esskultur“ soll dieses Buch von Roberto Iovino und Ileana Mattion sein. Es erschien bereits 2006 im italienischen Original und wurde Ende 2015 von Reclam in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Nach einem knappen Vorwort („Adagio“) folgen fünf Kapitel („Sätze“) mit den Überschriften „Vom griechischen Festmahl zum modernen Fastfood“, „Das leibliche Wohl in der Oper“, „Komponisten zu Tisch“, „Einladung zu musikalischen Tafelfreuden“, „Chi vuol esser lieto sia…/ Froh sein, wem’s beliebt…“. Die nähere Betrachtung der Zusammenhänge zwischen Musikgeschichte und Kulinarik klingt erstmal vielversprechend, aber um es gleich vorwegzunehmen, das Ergebnis ist durchwachsen, Herangehensweise und Tonfall der Autoren werden dem Thema nicht gerecht, Idee und Präsentationsform zünden einfach nicht.
Das liegt zum großen Teil daran, dass sich Iovino und Mattion in ihren Darstellungen in oberflächlichen Plattitüden verstricken und über weite Strecken mit vollkommen unbelegten Anekdoten vor sich hin schwadronieren. Da werden angebliche Feierrituale des antiken Griechenlands mit nicht überlieferter Musik und Praktiken der Musikausübung in Beziehung zueinander gesetzt. Erwähnt wird dabei der „Gitarrenspieler Terpnus“ (S. 25), auch wenn die Gitarre erst gute 2000 Jahre später entwickelt wurde. Es geht dabei auch wirklich nur um Esskultur, also den reinen Verzehr, nur in seltenen Ausnahmefällen spielen tatsächlich Lebensmittel oder gar die Kunst der Zubereitung eine tragende Rolle. Stattdessen werden seitenweise naheliegende, aber auch hanebüchene Bezüge serviert. Hier wurden fleißig sämtliche kunstmusikalischen Referenzen auf Speis und Trank gesammelt und in einem oberflächlichen Parlando abgefrühstückt. So geht das über die Jahrhunderte hinweg, gestreift werden Mittelalter, Barock, Klassik und das 19. Jahrhundert. Aber selbst Rossini, der ja als das Bindeglied zwischen Musik und Kulinarik einer genauen Betrachtung hätte unterzogen werden können, immerhin hat er seinen Kompositionsberuf an den Nagel gehängt um sich ausschließlich dem Kochen zu widmen, wird lediglich als primitiver Fresssack bloßgestellt. Nicht nur an dieser Stelle hätte man sich etwas mehr Tiefgang gewünscht. Dafür hätte an anderer Stelle gerne auf die zahlreichen zitierten Textpassagen uralter italienischer Opern verzichtet werde können.
Musik und Esskultur ab Anfang des 20. Jahrhunderts werden in dem Buch dann so gut wie überhaupt nicht mehr behandelt, obwohl ja erst da verfeinerte Zubereitungsmethoden möglich werden. Kapriziert wird sich auf mitteleuropäische Kunstmusik, vorwiegend italienische Oper (Kühlketten, Diversität und Qualität der Lebensmittel, exotische Gewürze, etc.). Die Musik und Esskultur ganzer Kontinente wird andererseits komplett unter den Tisch fallen gelassen (Afrika, Asien, Südamerika) oder in einem abfälligen Nebensatz unnötig diskreditiert (z.B. Nordamerika, S. 111). Als Leser hat man daher insgesamt den Eindruck: Entweder haben die Autoren den falschen Ansatz gewählt oder die beiden Themen lassen sich nicht kombinieren. Wenn man genau überlegt werden Musik und Essen wohl auch wesentlich öfter getrennt voneinander konsumiert als dieses Buch einem nahelegen will. Vielleicht hat deswegen vorher noch keiner darüber geschrieben.
Fazit: Lektüre ohne Tiefgang für Liebhaber mitteleuropäischer Kunstmusik, die sich für etwas besseres halten und darin bestätigt werden wollen. Wer wirklich etwas über den Wandel von Kulinarik und Kochkunst im Laufe der Zeit erfahren will, liest besser „Döner Hawaii“ von Marin Trenk (Klett-Cotta, 2015).
Das gebundene Buch hat 250 Seiten, erscheint bei Reclam und kostet 29,95.