Am Montagmorgen brachen wir auf zu unserem zweiten Besuch an die Kogaja Primary School, Rorya in der Mara Region. Wir wollten noch weitere Aufnahmen mit der Sing- und Tanzgruppe machen und einem Kind mit Beeinträchtigung einen Hausbesuch abstatten um individuelle Lebensbedingungen kennen zu lernen.
Als wir bei der Schule ankamen wurde uns mitgeteilt, dass Examenstag der Abschlussklasse sei und alle anderen Schüler deswegen schulfrei hätten. Es waren trotzdem etliche andere Schüler da, aber sie hatten offensichtlich keinen Unterricht, drückten sich auf dem staubigen Schulhof herum. Unser Kind war leider nicht dabei. Kurzentschlossen improvisierten wir: Christof würde mit den anderen zur Schülerin nach hause fahren um sie zu finden und abzuholen, ich würde solange in der Schule bleiben und die Technik aufbauen, damit es dann gleich losgehen könnte. Mein Part war schnell erledigt, dann saß ich auf der Schwelle des Klassenzimmers und beobachtete das Geschehen im Schulhof.
Die Kinder schauten mich an, aber wichen meinem Blick aus. Ich blieb einfach sitzen. Mit der Zeit wurde manche Kinder mutiger, spazierten wie zufällig an mir vorbei, lachten sich halb kaputt, wenn ich sie anlächelte, winkte oder grüßte. Irgendwann packte ich meine klein Canon G7x aus, schaute mir Fotos vom Vortag an und da kamen ein paar tollkühne Jungs auf mich zu und signalisierten mir, dass sie fotografiert wollen würden. Aber gerne. Als das Foto fertig war, zeigt ich es ihnen im Display, großes Hallo und Gelächter, es kamen immer mehr Kinder von allen Seiten. Ich teilte in Gruppen auf, die ganz kleinen Kinder (wo kamen die eigentlich her?), die anmutigen Mädchen, die starken Jungs, es war witzig und wir haben alle viel gelacht, irgendwann musste ich trotz großer Nachfrage aufhören, hier ein paar Einblicke.
Eine Weile später kamen die anderen zurück, sie konnten das Mädchen nicht finden, keiner wüsste wo sie gerade sei, anscheinend nichts Ungewöhnliches. Wir nutzen die entstandene Lücke um an die Audioaufnahmen von Freitag anzuschließen. Weil die dazugehörigen Videoaufnahmen lückenhaft gewesen waren, machten wir einfach einen weiteren Komplettdurchlauf, dabei stellte sich heraus, dass die Gruppe neben den drei uns bekannten, noch vier weitere Tänze/Lieder im Repertoire hatte. Ich dachte mir, wir filmen und nehmen auf bis die Akkus schlapp machen und siehe da, wir konnten alle sieben Lieder aufnehmen. Sehr vielversprechendes Material. Danach eine Abschlussrunde mit den Sängern bzw. Tänzern, alle bekamen eine kleine Belohnung und wir bedankten uns herzlich.
Danach starteten wir einen weiteren Versuch die Schülerin zu finden und diesmal hatten wir Glück. Jessika ist neun Jahre alt und geht in die erste Klasse. Mit sechs Monaten hatte sie eine schlimme Variante von Malaria und bekam eine Gehirnhautentzündung. Obwohl sie im Hospital behandelt wurde, ist sie seitdem geistig und körperlich beeinträchtigt, ihre Entwicklung ist verzögert und sie sieht wegen einer Augenfehlstellung schlecht. Im Frühjahr wurde sie von der regionalen Vertretung des DAHW in das Programm aufgenommen. Sie erhält eine kostenlose Schuluniform und Unterrichtsmaterialien um eine weitere Teilnahme am regulären Schulunterricht ohne zusätzlichen Aufwand für die Familie zu ermöglichen. Bald wird im Zuge einer kostenlosen Operation der Versuch unternommen die Augenfehlstellung zu korrigieren. Das Interview war leider nicht sehr ergiebig. Sie war scheu, wirkte verunsichert und sprach nur einige Worte in der regionalen Sprache ihrer Familie (eine Mitschülerin agierte als Übersetzerin).
Wir packten zusammen und fuhren mit Jessika über kleine und kleinste Wege und Trampelpfade zur Hütte ihrer Eltern. Es sind Kleinbauern mit winzigen Feldern weit abseits der einzigen Verbindungsstraße. Als wir ankamen, war gerade ein Nachbar zu Besuch und die Mutter saß vor der Hütte auf einem Stuhl und schälte Wurzeln. Im Gespräch erfuhren wir von einer Familientragödie: Die Eltern, Elvis und Esther, hatten acht gemeinsame Kinder, von denen jedoch vier bereits verstorben sind. Jessika ist die jüngste der Geschwister und die letzte, die noch zu hause bei ihnen wohnt. Jessikas liebster Spielkamerad aus der Nachbarschaft ist ebenfalls kürzlich verstorben. Sie fragt oft nach ihm und sie haben versucht es ihr zu erklären, aber es fällt ihr schwer das zu verstehen. Inzwischen sagen die Eltern, ihr Spielkamerad sei weg in den Urlaub gefahren. Jetzt fragt Jessika jeden Tag, wann er endlich wieder da sein würde. Die Unterstützung des DAHW und die regelmäßige Teilhabe an einer Klassengemeinschaft wird Jessika hoffentlich helfen über den traurigen Verlust hinweg zu kommen.
Wir fuhren mit einem dicken Kloß im Hals zurück nach Shirati. Am Dienstag geht es weiter nach Musoma.
Finde die Arbeit, die ihr macht super.
Beim letzten Abschnitt musste ich eine kleine Träne verdrücken… Die eigenen Probleme wirken in diesen Momenten so klein, so unnötig.
Eine gute Reise euch noch.
Ach Mann, dass ist wirklich so traurig!
Schließe mich Simon an und wünsche noch eine gute Reise.