Am frühen Morgen der sechsten Etappe wurde ich von einem Hahnenschrei geweckt. Als ich von meinem Gästezimmer nach unten kam, wünschte mir Herr Huller einen Guten Morgen, das Frühstück stand im Gastraum bereits auf dem Tisch, ah. Ich frühstückte alleine und mit gingen noch ein paar Gedanken vom gestrigen Abend durch den Kopf. Herr Huller hatte beklagt, dass immer mehr Wirtschaften schließen und damit auch eine wertvolle Wirtshauskultur zu Ende geht. Von ehemals acht Wirtshäusern sind nur noch 1-2 übrig geblieben, die noch dazu nicht immer geöffnet sind. Die Zeiten ändern sich. So gesehen hatte ich Glück: Ich wurde von Herrn Huller opulent bewirtet und bestens verköstigt, vielen Dank für die Gastfreundschaft! Nach dem Frühstück ging’s noch kurz zum Weingut von Michael Huller, sah bei Tageslicht immer noch sehr gemütlich und einladend aus. Die kleine Tochter hatte ausgeschlafen und wir machten ein Foto der jungen Familie. Ende Juli ist Weinfest in Homburg, da ist jeder Besucher willkommen.
Kurz vor meiner Abfahrt, erfuhr ich, dass im Schloss einige Künstler untergebracht sind, die Sommerakademien veranstalten. Unter anderem wohnt dort auch der Musikforscher und Musiker Michael Günther, ein Sammler und Experte auf dem Gebiet historischer Hammerklaviere. Da musste ich natürlich hin, also rauf zum Schloss. Leider war ich etwas spät dran, Herr Günther hatte nicht viel Zeit, musste zum Unterricht, aber er ließ mich ein und für mich gab es eine Miniführung im Schnelldurchgang. Trotz Zeitdruck öffnete er hintereinander alle seine wertvollen Instrumente und spielte jeweils ein paar Takte Originalliteratur an, wunderschön. Die feinen Hammerklaviere klingen sanft und farbenreich, haben viel mehr Facetten als moderne Klaviere, ich hätte noch viel länger zuhören können. Immerhin langte die Zeit um einen kleinen Musikclip zu drehen. Hier spielt Michael Günther spontan das „Rondeau en Polonaise“ aus der Sonate in D-Dur von W. A. Mozart.
Wir tauschten noch Adressen, dann musste er zügig los und ich ja eigentlich auch. Der Himmel war verhangen und dunkelgrau, noch dazu ging es vom Schloss in Homburg gleich mit einem langen Anstieg los. Ich wusste schon seit Tagen, dass das Wetter heute nicht gut werden würde, hatte es aber gar nicht weiter verfolgt, half ja doch nichts, es musste weitergehen. Also rauf auf’s Rad, kleiner Gang und immer bergauf, ich schaffte es ohne abzusteigen, war oben bereits gut durchgewärmt. Oben erwartet einen ein Plateau, die GroWiAne drehten sich im kühlen Wind und ich spürte bereits erste Tropfen auf meinen nackten Unterarmen. Von oben der Blick auf Tiefenthal und die graue Wolkenwand dahinter, danach eine steile Abfahrt.
Unten im Dorf ging’s gleich wieder leicht bergauf, in den Kurven spürte ich wie sich die Bereifung meines Hinterrads verschob und komisch quietschte, nee oder? Kurze Inspektion, Luft verloren, aber noch fahrbar, ein Schleicher. Es ging weiter auf Schotter Richtung Birkenfeld, knapp 10km, das müsste noch reichen. Ich wollte unbedingt weiter, bevor es richtig anfing zu regnen, hatte ja doch keine Alternative, also los.
Bernsteinfarbene Getreidefelder ringsum, kaum war ich auf freiem Feld begann der Wind aus allen Richtungen zu blasen und der Regen peitschte mir ins Gesicht. In Nullkommanichts wurde es stärker und ich wurde nass gespritzt von oben und unten (keine Schutzbleche). Zum Teil ging es entlang von Wegen am Waldesrand, da fielen zwar weniger, aber dafür dickere Tropfen von oben auf mich herab. Nach kurzer Zeit war ich klatschnass und das Hinterrad verlor weiterhin langsam Luft, ich spürte langsam die größeren Kiesel unterm Hinterteil, auch schon egal, ich trat in die Pedale wie ein Stier und kam ganz gut voran. Die Strecke eigentlich wunderschön und verlassen, aber im Regen zog es sich etwas.
Kurz vor Birkenfeld wechselte der Starkregen in ein handfestes, stürmisches Unwetter, gerade noch erreichte ich den überdachten Vorbau der versteckten Gedenkstätte am Kreuzberg, rettete mich ins Trockene, wechselte das Shirt, fror vor mich hin und wartete bis der Regen langsam wieder nach ließ. Nach einer guten halben Stunde hörte der Regen auf und es kam tatsächlich vorübergehend die Sonne raus.
Ich nutzte das Schönwetterfenster und ließ mich außenherum nach Birkenfeld rollen vorbei an Wohnhäusern und der alten Schule (neben der Freiwilligen Feuerwehr), die schon lange als Rathaus und Vereinsheim genutzt wird.
Hier hatte ich hatte ich als junger Musikstudent in Würzburg meine erste dauerhafte Unterrichtsverpflichtung angetreten. Jeden Freitag fuhr ich hierher und gab Gitarrenstunden in den Räumlichkeiten des Musikvereins „Melodie“ für die Abteilung der Mandolinengruppe. Ich habe dort über die Jahre viele Schüler gehabt, viel unterrichtet und auch selbst viel gelernt, war eine gute Zeit und hat mich sauber durchs Studium gebracht. Die einzelnen Kontakte, die ich nach dem Ende meiner Tätigkeit noch hatte, sind über die Jahre langsam eingeschlafen.
Ich traf während meines kurzen Aufenhalts an einem frühen Werktagsnachmittag kaum Leute und leider gar keinen,den ich gekannt hätte. Mittendrin, in der Nähe der Kirche steht ein kleiner Dorfladen. Er machte nach der Mittagspause um 15.00 gerade wieder auf. Hier aß ich eine Kleinigkeit, genehmigte mir einen Kaffee und wärmte mich etwas auf.
Dann ging’s weiter, über kurzzeitig sonnenbeschienene Felder Richtung Billingshausen. In der Ortsmitte das gehobene Speiselokal „Goldenes Lamm“ mit einem imposanten, schmiedeeisernen Schild auf die Straße.
Ich pumpte nochmal mein Hinterrad auf, die Luft hielt einigermaßen, weiter über die Felder, dann in den Wald, die Wege waren durchnässt und schwierig zu befahren. Inzwischen spritzt nicht das Regenwasser, sondern Pfützen und Matsch. Ich sah aus wie ein Waldschrat.
Ich schaffte es durch den Zellinger Forst, durch die Unterführung der ICE-Trasse und erreichte schließlich Zellingen.
Hier eine langsame Fahrt durch den Ortskern und eine kurze Rast auf einer Bank am Mainufer mit Blick auf mein Etappenziel Retzbach. Weil vor mir passables Wetter war, merkte ich nicht wie sich hinter mir die Gewitterwolken zusammenbrauten. Als ich dessen gewahr wurde, ließ ich mich schnell über die für Autos gesperrte, alte Brücke rollen, da ging es auch schon los. Ich wusste nur ungefähr, wo ich sich meine Unterkunft befand, eigentlich gar nicht weit, aber kurz vor dem Ziel erwischte es mich noch einmal mit voller Wucht. Es goß wie aus Eimern, innerhalb von Sekunden, erst schrie ich vor Wut das Gewitter an, irgendwann musste ich über mich selbst lachen. Patschnass und grinsend kam ich bei meiner Unterkunft an und klingelte. Mir öffnete das Ehepaar Krieger, ich stand da wie begossener Pudel und noch bevor wir uns begrüßen konnten, mussten wir alle drei laut über meinen derangierten Zustand lachen.
Ich war erwartet worden und fühlte mich mehr als willkommen. Kurze Trockendusche, also Abtrocknen, weiteres Wasser war nicht mehr nötig, als ich in die Küche kam, stand der selbstgemachte Kartoffelsalat auf dem Tisch und die Bratwürste brutzelten in der Pfanne. Wir saßen am Küchentisch, aßen und tranken und erzählten uns Geschichten. Zwischendurch setzten Armin und ich uns ans hauseigene Klavier, spielten uns Melodien vor und versuchten uns an vierhändigen Stückchen. Wunderbar, ein heftiger Tag geht angenehm zu Ende.
Ich reparierte noch meinen Schleicher, das Loch war schnell gefunden und geflickt. Zum Test radelte ich kurz vor Sonnenuntergang noch auf die Benediktushöhe und machte ein paar Bilder von oben.
Wieder in der Unterkunft angekommen, bekam ich noch ein paar selbst gebackene Retzbacher Pfeffernüsse zum Schoppen serviert, mmh. Sie werden nach einem geheimen Rezept hergestellt, das im Dorf seit langer Zeit von Mutter zu Tochter weitergegeben wird. Habe mir eine kleine Tüte davon als Notration für die morgige Etappe einpacken lassen.
Heute erschien unter der Überschrift „Mit dem Fahrrad um den Kreis herum“ ein Artikel zur Tour im Main-Echo. Leider ist er nicht frei im Netz zugänglich und das Main-Echo in dieser Gegend nicht erhältlich.
Morgen geht’s durch Retztal und Werntal bis Binsbach bei Arnstein. Ich werde dabei von einem jungen Journalisten der Mainpost und zum zweiten Mal von Landrat Thomas Schiebel begleitet. Wetter soll gut werden.
Erster.
Gute Story.
Das wesentliche: Der Rappen machts wieder.
Wie ist es eigentlich, durch auch Altbekanntes zu radeln?
na endlich a weng Aktschen; super Regen – Schleicher Alles dabei – das adelt den Radler 🙂 jetzt kannste geruhsam ausrollern.
Tolle Fotos!! Ich mag ja eher das Graue. Siehst ein bißchen abgekämpft aus, aber auch zufrieden. Das kannst du auch sein.
Wird immer besser und so schön viel Text! Die 2 letzten Fotos sind die spannendsten und wären ohne Regenwetter so nicht möglich geworden. Das Highlight ist für mich das Video mit Hammerklavier. Very special! Danke.
Kann voll mitfühlen. Die ersten Regentropfen werden weggelächelt. Dann den entstehenden Pfützen ausgewichen. Aber irgendwann ist es eh egal und man fährt total durchnässt immer weiter zum Ziel. Nur keine Erkältung einfangen.