Am Samstagmorgen erwachte ich frisch und erholt. Als ich nach unten kam, hatte das Ehepaar Luck den Tisch gedeckt. Brötchen aus dem Dorfladen, Honig, Marmeladen, Wurst und Käse, eigentlich alles, was das Herz begehrt. Gleich nach dem Frühstück fing ich an Fotos zu sortieren und den Blogartikel zu schreiben, denn über Nacht war für mich noch ein besonderer Termin eingeplant worden. Die gestrige Abendgesellschaft hatte von einem Obersfelder Lied erzählt, in dem lokale Raufbolde mit ihren Erlebnissen prahlen. Das wollte ich natürlich hören. Also fuhren wir gegen 11.00 vormittags zum Urheber der musikalischen Räuberpistole, dem weit über den Bachgrund bekannten Dorfmusiker Alois. Der war zwar gerade dabei sich für die Abfahrt zu einer Hochzeitseinladung fertig zu machen, aber er war gerne bereit das Akkordeon hervorzuholen und das Lied anzustimmen. Habe ich selbstverständlich gefilmt. Das Lied basiert auf einem alten, überlieferten Refrain, die Strophen wurden textlich etwas entschärft, modernisiert und erweitert.
Auf dem Rückweg legten mein Chauffeur Werner und ich einen kurzen Stopp beim Dorfladen ein. Hier war schon schwer was los. Wir setzten uns an einen Tisch, tranken etwas und schauten dem regen Treiben zu. Jeanette war auch schon da und setzte sich zu uns, später schaute auch noch Christa vorbei. Was für ein schöner Treffpunkt.
Bald ging es aber weiter, zurück zu Lück, äh, Luck. Ich packte meine Sachen, bedankte mich für alles, schwang mich auf’s Rad und es ging los. Allerdings gar nicht weit. Im unmittelbar nächsten Dorf entlang der Strecke war mir der Gasthof „Zur Krone“ empfohlen worden. Weil es schon fast 13.00 war, legte ich einen frühen Zwischenstopp ein und bestellte ein bescheidenes Mittagsmahl, ich hatte keine Wahl, ist halt Teil meines Jobs, hehe. Ich nahm Platz im gemütlichen Biergarten im Hinterhof der Gaststätte. Als ich kam, speiste gerade die Wirtsfamilie an einem großen Tisch, es war Samstagmittag, ich war der einzige Gast. Und jetzt für alle Foodfetischisten, so sah das Walisische Essen aus:
Nach dieser frühen Pause ging’s nun wirklich los durch den Bachgrund. Schöne Fahrradwege, ebene Strecke, imposante Wolkenformationen, kein Regen. Hier einige fotografische Impressionen von der Strecke zwischen Hundsbach und Gössenheim.
Nicht weit von Gössenheim befindet sich die hochgelegene Ruine der Homburg. Gelegenheit für mich das Fahrrad abzustellen und mit leichtem Gepäck den bewaldeten Hang nach oben zu wandern. Dort traf ich auf ein paar andere Wanderer und Biker. Gerade hatte am Kreuz eine Freilufttrauung stattgefunden, die anschließende Feier fand im unüberdachten Innenhof zwischen verschiedenen Zelten statt. Eine geradezu märchenhafte Atmosphäre. Hier der Blick von unten auf die Ruine und von oben herab ins Tal.
Von nun an ging’s bergab. Erstmal von der Ruine zurück ins Tal, dann mit dem Fahrrad Richtung Norden über Karsbach, Heßdorf, Höllrich.
Die Strecke war gar nicht weit, eben und schön zu fahren, aber meine Beine wurden immer schwerer, ich schob einige kleine Hügel und musste mich einmal setzen. Obwohl es heute eine der kürzeren und leichteren Etappen war, hatte ich am späten Nachmittag ein kleines Motivationsloch. Schlagartig spürte ich die Auswirkungen der körperlichen und kommunikativen Aktionen der letzten Tage wie ein Wolke über mir. Der ganze Körper schmerzte, ich fühlte jeden Muskel, war total erschöpft. Musste aber weiter gehen.
Mit etwas gedämpfter Stimmung kam ich in endlich in meinem Etappenziel Weyersfeld an. Hier wurde ich schon von meiner Gastgeberin Kerstin Fürsch, einer lokalen Kräuterführerin, erwartet. Nach Dusche und ein paar Glas Wasser ging es mir schon besser und die nette Gesellschaft tat auch gut. Um 18.00 wurde ich von Bürgermeister Martin Göbel und seiner Frau Beate mit dem Auto abgeholt. In einem weiten Bogen fuhren wir über Feld und Flur über die umliegenden Anhöhen. Herr Göbel erzählte mir in einem angenehmen Tonfall von den landwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Besonderheiten der Gegend. An einigen Stellen machten wir Halt und genossen die wunderbare Aussicht, herrlich.
Dann ging es zu einem Restaurant in Höllrich. Wir setzten uns an den Stammtisch, der gerade zusammengekommen war. Hauptsächlich trinkfeste und meinungsstarke Männer, darunter auch der wortgewaltige und sehr unterhaltsame zweite Bürgermeister. Die Typologie eines Stammtisch sieht ungefähr so aus:
Der Beisitzer: In der Mehrzahl, redet wenig bis nichts, meist über irgendetwas unzufrieden, signalisiert Zustimmung bei aller Art von Kritik.
Der Wutbürger: Äußerst impulsiv und erregbar, neigt zu Verschwörungstheorien, teilt ein in „die da oben“ und „wir da unten“, redet laut bis sehr laut, verheddert sich gern mal argumentativ im Eifer des Gefechts, hört erst auf zu reden, wenn ihm die Luft ausgeht oder er einen Schluck trinken muss.
Der Zeremonienmeister: Heimlicher Diskussionsleiter, meist Herr der Lage, lässt alle anderen reden, grätscht aber im passenden Moment dazwischen, schafft es selbst kurz vor der Eskalation befindliche Streitereien mit einer gut gesetzten Anekdote oder einem treffenden Witz zu entschärfen und so Wut und Bitterkeit zu kanalisieren.
Wenn die Beteiligten nach so einem Abend nach Hause gehen, geht es vermutlich allen besser. In den Städten braucht man dafür Psychologen und Supervisoren. Ein Dorfstammtisch ist vermutlich billiger und lustiger und hat langfristig einen ähnlichen Effekt. Bürgermeister Göbel lud mich zu Essen ein, vielen Dank! Dann ging’s zurück nach Weyersfeld zu seinem Hof und von da aus zur Forellenzucht von Kerstins Ehemann.
Zusammen mit Kerstin und ihrem Sohn fuhren wir noch zu später Stunde zum Biobauernhof von Franz Köhler in Seifriedsburg. Auf dem Weg wurden wir noch Zeugen eines Himmelsphänomens, das wir uns nicht erklären konnten, hier ein Foto davon. Ich fühlte mich wie auf einem fernen, erdähnlichem Planeten mit zwei Sonnen. Tatooine?
Vor einigen Jahren hat Frank Köhler eine Ausbildung zum Brenner und Sommelier absolviert und brennt Schnäpse und Whiskeys aus eigenen, biologisch angebauten Ausgangsprodukten. Zur Verwendung kommen dabei neben verschiedenen Obstsorten auch seltene Getreidesorten wie Dinkel, Emmer und Einkorn. Ich durfte davon probieren und es handelt sich dabei um feinste Spirituosen. Die Flasche, die ich ins Foto halten durfte, musste ich leider da lassen. Vielen Dank für die Whiskeyprobe!
Danach ging’s zurück nach Weyersfeld. Meine Bettstatt befand sich in einem kleinen Gartenhaus hinter der Kirche. Nach Radtour, Wanderung, Abendessen und Whiskey fiel ich total erledigt auf’s Bett und schlief sofort ein.
Morgen ist der letzte Tag der 10-tägigen Umrundung des Landkreis Main-Spessart. Ich sehe ihm mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen. Es wird eine der anspruchvollsten Strecken der Tour. Rock and Roll.
Den Schnapsbrenner kenne ich sehr gut, ist allzeit witzig.
Auch der 9. Tag wieder prallvoll, mit Erlebnissen wirklich ganz toll. Alle Sinne ständig auf Empfang, na das geht halt nicht unbegrenzt lang. Ein kurzer Reizüberflutungsblues ist keine überraschende news. Die Tour ist heute abgeschlossen, gesamt hast dus bestimmt genossen.
Nochmal ein kleines Gedicht, ich hoffe es langweilt nicht 🙂
Interessante Begegnungen hast du da………… 🙂 Bis Freitag. Grüße Jochen