Buch: „Das grosse Orchester der Tiere“ von Bernie Krause

OrchesterTiereBernie Krause ist ein US-amerikanischer Musiker und Naturforscher. Er studierte Violine und klassische Komposition, war als Gitarrist in Folk- und Popkreisen unterwegs (Weavers, Doors, Steve Wonder, George Harrison) und wendete sich im Anschluss daran elektronischer Musikerzeugung und der Mitarbeit an diversen Soundtrack (z.B. „Apocalypse now“) zu. Mitte der 1970er Jahre ging Krause an die Universität zurück und promovierte über Bioakustik. Auf seinen Weltreisen hat er in den letzten Jahrzehnten bei Feldaufnahmen mehr als 15.000 Arten und 4000 Stunden Soundscapes verschiedener Habitate aufgenommen, von denen die Hälfte heute nicht mehr existiert. „Das große Orchester der Tiere“ trägt den Untertitel „Vom Ursprung der Musik in der Natur“ und erschien im englischen Original 2012 unter dem Titel „The Great Animal Orchestra“. Die gebunden Ausgabe erschien ein Jahr später bei Antje Kunstmann, im April 2015 ist das Buch nun als günstige Taschenbuchausgabe unter Lizenz von National Geographic bei Malik erschienen.

Das Buch beginnt mit einem Präludium „Echos der Vergangenheit“, danach folgen neun Kapitel, eine Danksagung, ausführliche Anmerkungen und ein Literaturverzeichnis. Der Autor erzählt ziemlich chronologisch die Geschichte des Klangs in unserer Welt, setzt sie aber auch immer wieder in Bezug zu seiner eigenen Klangautobiographie. Er unterteilt dabei in Geophonie, Biophonie und Anthropophonie, zusammen bilden sie für ihn die Klanglandschaften unserer Welt. Er meint damit die von den Elementen erzeugten Klänge wie Wind, Feuer, Regen, Wassergeplätscher, Brandungsrauschen, Donner, Vulkanausbrüche etc., von Tieren erzeugte Klänge wie Kreischen, Röhren, Zwitschern, Summen etc. und von Menschen erzeugte Klänge wie Musik, Sprache, aber auch von ihnen erzeugter Lärm (Motorengeräusche, Gleisgeräusche, etc.). Krause erzählt viel von seinen Erlebnissen als Klangsammler und den verschiedenen Gegenden der Welt, erklärt den Klang der Wüste, des Regenwaldes, der Steppe und des Meeres, knapp unter der Oberfläche und in der Tiefsee. Er berichtet vom Gesamtklang verschiedener Habitate, wie sich die Lebewesen nicht nur ihren Lebensraum, sondern auch einen Raum für Klangäußerungen suchen und sich so ein komplementärer, fast orchestraler Klangraum über den gesamten Tagesablauf und in vielen Frequenzen ergibt. Es schreibt von jahreszeitlichen Veränderungen, aber auch von zerstörerischen Auswirkungen von Menschen verantworteter Eingriffe. Hochinteressant auch wie er die Entwicklung von Geo, – zur Bio- und weiter zur Anthropophonie entwickelt. Das Prinzip der Klangerzeugung in der Natur ist aus seiner Sicht meist die Mimikry, will heißen die Nachahmung bereits bestehender Klänge mit eigenen Mitteln (ein interessanter Gedanke, der sich auch problemlos auf die Musikgeschichte anwenden lässt). Hierfür gibt Krause etliche Beispiele in sämtlichen klanghistorischen Stadien, von Klängen der reinen Elemente über Lautäußerungen verschiedenster Tierarten bis hin zum Menschen, auch die Kommunikationen zwischen Tieren untereinander, zwischen Menschen und nicht zuletzt auch Musik spielen hier ein wichtige Rolle. Zum Schluss äußert er sich auch noch ausführlich zu den Themen „Geräuschnebel“ und „Lärm und Biophonie“.

Extrem aufgewertet wird das Buch dadurch, dass die im Buch erwähnten Klangbeispiele unter www.piper.de/tiereorchester im Internet kostenlos nachgehört werden können. Hier bietet sich ein sog. Second Screen an, also in etwa ein Tablet mit Lautsprechern oder Kopfhörerausgang um nicht immer wieder zum Rechner laufen zu müssen. Zusammen mit dem Text kann man sich so das (Hör-)Erlebnis jahrzehntelanger naturwissenschaftlicher Feldforschungen umstandslos ins Wohnzimmer holen und sich von spannenden (und entspannenden!) Klanglandschaften faszinieren lassen.

Fazit: Ein großartiges Buch über den Ursprung von Klang und Musik in der Natur. Man nimmt dem Autor seine ehrliche Leidenschaft und Liebe für das noch junge Fachgebiet in jeder Zeile des Buches ab und bekommt als Leser unzählige Anregungen, die weit über das akustische Phänomen exotischer Klanglandschaften hinausgehen und grundsätzliche Bereiche des Lebens auf diesem wunderbaren Planeten berühren. Ganz große Empfehlung! Das Buch wurde von Gabriele Gockel und Sonja Schuhmacher ins Deutsch übersetzt und erscheint in Lizenz von National Geographic bei Malik, hat 304 Seiten und kostet 14,99€.

16 Gedanken zu „Buch: „Das grosse Orchester der Tiere“ von Bernie Krause

  1. “Das Prinzip der Klangerzeugung in der Natur ist aus seiner Sicht meist die Mimikry, will heißen die Nachahmung bereits bestehender Klänge mit eigenen Mitteln.”

    Welche Erklärungen führt hier der Autor an? Wie tief gehen diese?
    Ich weiß nicht, ob man aus Versteinerungen explizit herauslesen kann, welche Töne erzeugt wurden? Vermutlich heutzutage in einigen Fällen. Was sagt da der Autor?

    Zum Lauterzeugen werden ja unterschiedliche “Instrumente” benutzt, nicht nur die Kehle, sondern das Klopfen, Reiben ect.

    Zu alledem ist ja auch interessant, wie “Hören” eigentlich für die versch. Tierarten funktioniert. Da gibt es sicher unterschiedliche Spektren und auch Arten des Hörens. Ich erinnere mich an den Pottwal, dessen merkwürdig-riesiger Kopf-Fortsatz einzig der Echoortung dient.

    Auch Pflanzen haben offenbar bisweilen die Möglichkeit, durch Geräusche zu kommunizieren. Klicken, Brummen, all das kann man im Untergrund hören. Hier wird noch eifrig geforscht.

  2. @Gerhard: Krause belegt seine Aussagen mit Ausschnitten diverser Soundscapes, die man alle nachhören kann. Er hat seit den 1970er Jahren sehr viele Habitate zum Teil mehrfach besucht und ist auf dem Gebiet der Bioakustik ein ausgewiesener Experte. Interessant finde ich, dass vermeintlich menschliche Errungenschaften wie Kommunikation durch Klang(-sprache) überall in der Natur nachweisbar sind. Und eben auch vermeintlich musikalische Prinzipien wie Imitation, Variation, (Ensemble-) Improvisation, Komposition, selbst Abstraktionsebenen wie Frage/Antwort, Parodie, Wettstreit, Imponiergehabe, Balz-, Freuden- und Trauergesänge sind im Kern alle schon in der Natur zu finden.
    Wenn man mal drüber nachdenkt, ist das zwar irgendwie klar, aber es so schön anschaulich erzählt zu bekommen war für mich als Musiker und Klangästhet schon eine wunderbare Lektüre. Just listen, it’s all there!

    • Es wird eben im Grunde nichts ausgelassen, was in der Natur an Kommunikation möglich ist! Selbst Pflanzen haben daran Anteil. Obwohl sie keine Organe zum Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und Tasten haben, können sie, in Einzelfällen glaubhaft nachgewiesen, auf diesen Kanälen senden, reagieren und zum Austausch kommen.
      Man braucht nur das Beispiel der fleischfressenden Pflanze zu nehmen, die bei 2x Berühren eines Sensoriums innerhalb XX Sekunden zumacht.

  3. @Gerhard: Pflanzen spielen bei Kraus keine grpße Rolle. Ich habe den EIndruck du spielst mit deinem Kommentar bewusst oder unbewusst auf das in Esoterikkreisen sehr einflussreiche Buch “The Secret Life of Plants” von Peter Tompkins und Christopher Bird an. Kann das sein?

    http://en.wikipedia.org/wiki/The_Secret_Life_of_Plants

    Es gibt dazu auch einen Dokumentarfilm zu dem Stevie Wonder (!) den Soundtrack eingespielt hat. Aber auch bis heute haben Buch und Film immer noch Auswirkungen. Habe erst kürzlich bei meinem Roadtrip in den Südstaaten der USA ein langes Radio Feature auf NPR über das Thema gehört. Mal sehen, ob ich es noch finden kann. I’ll be right back!

    • Das Buch “The Secret Life of Plants“ von Peter Tompkins und Christopher Bird kenne ich garnicht. Ich beschäftige mich nur gerne mit Biologie. Eines meiner letzten war etwa “Rekorde der Insektenwelt: 130 Extreme”. Das las ich gerne am Kaffeetisch beim Bäck, hatte es zeitweilig im Auto dabei.

      • Ja, das war eindrücklich.
        Die Beispiele mit der Wurzelkommunikation und dem Aussenden von Chemikalien, um andere Bäume der betr. Gattung zu warnen, waren mir bekannt.
        Rhoades sprach ja von Kommunikation, aber wie diese Kommunikation gemeint war, wurde missverstanden. Er konnte seine Experimente auch nur gelegentlich bestätigen, das war sein Verhängnis.
        Der im Pod geäusserte Gedanke, daß wohl kaum über die Jahrmillionen etwas Organisches entstehen konnte, ohne daß dabei irgendwelche Möglichkeiten “der Wehr” zum Tragen kamen, leuchtet ein, ist mir sympathisch.

  4. Bernie Krause weist immer wieder subtil darauf hin, dass aus seiner Sicht Soundscapes intakter Habitate nicht nur Basis der menschlichen Klangkunst sind. Für ihn sind sie gleichzeitig auch vollendete Klangkompositionen, wir sollten nur endlich mal genauer zuhören. Vielleicht ist es für zukünftige, menschliche Generationen wirklich idealtypische Musik und wir schauen gerade tatenlos dabei zu wie die Brutstätten dieser herrlichen Naturklangsinfonien von unserer eigenen Spezies sukzessive vernichtet werden. 🙁

    • “wir sollten nur endlich mal genauer zuhören!!!”
      Ein ähnliches Statement machte auch Gotthard Graupner (der ja in fast allen Museen hängt) auf der Kunstinsel Hombroich, inmitten des Grüns: Man soll sich doch die unendlich vielen Schattierungen und Abstufungen des Grüns ansehen!
      Das geht einfach an uns vorbei, als wäre es nicht da!

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