Big in China: 230.000 Streams

Viermal im Jahr bekomme ich von meinem Online-Label die Quartalsabrechung über meine diversen, auf verschiedenen Portalen angebotenen Tracks. Die umfassen die Inhalte aller, über die Jahre erschienenen Audio-CDs, aber auch alle exklusiv nicht-physischen Produktionen der letzten Zeit (Geschlossene Gesellschaft, Take Five, Pop Studies, NDW). Der Betrag war diesmal ein klein wenig höher als sonst, deswegen machte ich mir die Mühe und las mal quer durch die anhängende Excel-Auflistung. Bei den Streams von „Shake it off“ (Taylor Swift) in der Einspielung der Musikstudenten stand da eine beeindruckende Anzahl von Streams und ich dachte noch, das ist wohl ein Fehler. Musste dann sowieso wegen einer aktuellen Produktion (Star Wars) beim Label anrufen und bei der Gelegenheit fragte ich diesbezüglich mal vorsichtig nach. Mir wurde bestätigt: Nein, nein, das sei ganz sicher kein Fehler, sondern vollkommen korrekt, im dritten Quartal wurde der Titel 230.000 mal gestreamt und man könne auch genau sagen wo, nämlich in China. Pro Stream gäbe es ca. 0,1 Cent, macht zusammen etwas über 24 Euro, wow, das fand ich erstmal beeindruckend und wunderte mich gleichzeitig über ausbleibende Glücksgefühle.

Hätte man mir, sagen wir vor 10 Jahren, mitgeteilt, dass ein von mir gesungener und produzierter Titel 230.000 Mal abgespielt und vielleicht von noch mehr Menschen angehört worden wird, hätte ich das erstens für sehr unwahrscheinlich gehalten und zweitens angenommen, dass man in einem solchen Fall, wenn er denn eintritt, zumindest finanziell einigermaßen saniert wäre. Aber die Zeiten haben sich bekanntlich geändert. Die Zugriffszahlen des entsprechenden Videos dümpeln vor sich hin, Downloads laufen so mittelprächtig (mittlere Hunderter), es gab keine Fan- oder Glückwunschmails, kein Interview- oder Buchungsanfragen. Alles ziemlich unwirklich und fühlt sich leider nicht irgendwie glorreich oder besonders an, eher fremd und ja, auch ein bisschen deprimierend („Wer sind diese 230.000 Streamer? Wann und wo läuft meine Musik? Was machen die, während sie läuft?“). Meine selbstproduzierte Musik, das Ergebnis eines für mich so individuellen, erfüllenden und wertvollen Arbeitsprozesses, ist mit diesen Zugriffszahlen endgültig zum austauschbaren Massenprodukt im gesichtslosen, globalen Irgendwo geworden. Der Chef vom Label meinte noch lapidar, so richtig interessant wird es finanziell eigentlich erst ab Abrufszahlen im zweistelligen Millionenbereich, aha, na dann.

Bin am Tag danach mit Camilo Goitia, der Bass & Drums zum Track beigesteuert hat, zum Essen ins Tilman gegangen, musste allerdings beim Zahlen noch was drauflegen, für zweimal das dreigängige Menü mit Getränken und Espressi hat die Tantiemenausschüttung unserer 230.000 Streams leider nicht gelangt. Alles komplett bei einer Mahlzeit verfressen, naja, immerhin, war echt lecker, nach chinesischem Essen war mir an dem Tag aus irgendeinem Grund nicht zumute.

3 Gedanken zu „Big in China: 230.000 Streams

  1. Interessant geschildert.
    Ich denke mal, wenn einer ne Playlist anlegt und diese in seinen Bars rauf und runter laufen lässt, dann wird der Song jeden Tag (Nacht) zig mal gespielt.
    Ich kann Deine Gefühle nachvollziehen, wie unwirklich das ist. Kann sehr gut sein, daß die Nutzer garnicht wissen, was sie da spielen.
    Hoffentlich hast Du jeden Bissen beim Essen gut gekaut und hoffentlich hat der Espresso gemundet! So fernfinanziert ein Essen zu sich zu nehmen, hat schon was sehr Schräges.

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