Die Herkunft dieses Préludes gab Gitarristen mehrerer Generationen Rätsel auf. Mit seiner historisch-kritischen Ausgabe bringt der Münchner Gitarrist und Musikhistoriker Johannes Klier ein knappes Jahrhundert später Licht ins Dunkel.
Populär wurde das barock anmutende Prélude durch den spanischen Jahrhundertvirtuosen und Gitarrenförderer Andrés Segovia, der es jahrelang im Repertoire hatte und auf dem Album Récital (1958) als Prelude in E Major einspielte und verewigte. Zugeschrieben hatten er selbst und die Plattenfirma es dem deutschen Barocklautenisten Silvius Leopold Weiss, nur ließ sich dafür nie ein Beweis erbringen. In Segovias Editionsreihe „Gitarren-Archiv“ (Schott) wurde das Stück bedauerlicherweise nie veröffentlicht. Im Laufe der Zeit wurde es unter Gitarristen jedoch so beliebt, dass im Jahr 1969 eine Notenausgabe mit der Transkription der Albumeinspielung, erstellt von Carl Van Feggelen, erschien. Eine zweite Transkription von Rafael Andia erschien 1982 unter dem Titel „Ouverture“. Beide Ausgaben wurden wiederum S.L. Weiss zugeschrieben, aber es gab bereits Stimmen, die berechtigte Zweifel an dieser Angabe hatten.
Tatsächlich stammt das Prélude auch nicht von S.L. Weiss, sondern aus der Feder des mexikanischen Komponisten und Segovia-Freundes Manuel Maria Ponce (1882-1948). Die beiden hatten sich 1923 anlässlich Segovias erster Konzertreise nach Mexiko kennengelernt, 1925 trafen sie sich in Paris wieder, wo Ponce zusammen mit seinen Kollegen Heitor Villa-Lobos und Joaquin Rodrigo die Kompositionsklasse von Paul Dukas besuchte. Um das Jahr 1930, vermutlich 1931, hat Ponce nachweislich das Prélude für Segovia komponiert, 1936 fügte er eine zweite Stimme für Cembalo hinzu. Das Originalmanuskript der Soloversion wurde bedauerlicherweise bei einem Feuer zerstört, überliefert ist lediglich das Manuskript der Duoversion und die Einspielung Segovias, die allerdings in etlichen Passagen voneinander abweichen.
Johannes Klier hat die außergewöhnliche Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des Préludes nachgezeichnet und erklärt im Vorwort der Ausgabe den formellen Aufbau, seine Architektur und die angewandte Kompositionstechnik. Eine ausführliche Version seiner Recherche inkl. Quellenangaben findet man auf seiner Homepage: www.johannes-klier.de
Hier äußert er sich auch über mögliche Gründe für das jahrzehntelange Versteckspiel. Segovia hatte angekündigt, im zweiten Teil seiner Autobiographie die Dinge aufzuklären und Manuel Ponce als Komponisten dieses und anderer Stücke zu benennen. Leider kam es dazu nicht mehr. Segovia verstarb 1987 im hohen Alter von 94 Jahren ohne sich je öffentlich dazu geäußert zu haben.
Die dreiseitige Notenausgabe ist eine Rekonstruktion, die der Urfassung möglichst nah kommen soll. Quellen sind die Duo-Fassung und die Segovia-Einspielung, zudem auch J.S. Bachs Bearbeitungen seiner Solosuiten und -sonaten für Violine bzw. Cello. Die Ausgabe umfasst Angaben zur Dynamik, Bindungen, jedoch keine Fingersätze. Das ist einerseits nachvollziehbar, weil aus historisch-kritischer Sicht korrekt. Allerdings wäre eine zusätzliche mit praktikablen Fingersätzen versehene Ausgabe kein großer drucktechnischer Mehraufwand und für interessierte Gitarrenspieler von sehr hohem praktischem Wert gewesen.
Johannes Klier hat in mühevoller, musikwissenschaftlicher Detailarbeit die Provenienz des „Préludes Silvius Leopold Weiss“ aufgeklärt und mit der Neuausgabe einer neuen Generation von klassischen Gitarristen verfügbar gemacht. Und auch wenn der berühmte Lautenist S.L. Weiss selbst zur Entstehung des Werkes keinen Beitrag geleistet hat, so trägt es am Ende nicht zu Unrecht seinen Namen. Nur eben nicht als Komponist, sondern im Titel, denn komponiert wurde es von Manuel M. Ponce. Quod erat demonstrandum.
Fazit: Ein gitarren-historischer Thriller mit Happy End.
Das Heft erscheint bei Schott und kostet lohnenswerte 12 €.