Interview mit Johannes Klier, Teil 3

DS: Von 1980 bis 1996 unterrichteten Sie an der Hochschule für Musik in München. Erst 1987 wurde dort ein Diplomstudiengang mit dem künstlerischen Hauptfach Gitarre geschaffen. Warum hat das in der bayerischen Landeshauptstadt solange gedauert? Warum wurden Sie nicht konsequenterweise zum Professor berufen?

Auf Ihre letzte Frage kann ich Ihnen keine Antwort geben, das weiß ich nicht. Natürlich gab es 1988, zu Beginn des Studiengangs, noch gar nicht genügend Studenten, die eine hauptamtliche Professur gerechtfertigt hätten, hatte ich doch im 1. Studienjahr lediglich drei Studenten. Erfahrungsgemäß dauert der Aufbau einer Instrumentalklasse so um die 7 – 8 Jahre. Und in dieser Zeit hat das Präsidium der Musikhochschule mehrfach gewechselt. Zu meinem großen Bedauern hatten die Präsidenten, die nach der Einführung des Gitarrestudiengangs die Leitung der Hochschule übernommen haben, überwiegend keinerlei bzw. kein großes Interesse an der Gitarre. Das war aber auch die Zeit der Wiedervereinigung 1989/90, die ihre Spuren hinterließ. Bereits bewilligte Planstellen wurden wieder zurückgenommen, das Geld wurde beim Aufbau Ost gebraucht, hieß es. Und dann stand ja auch noch die Fusion mit der Fachakademie im Raum. Also alles Gründe, die augenscheinlich gegen eine Professur zu diesem Zeitpunkt sprachen. Ob ich aber die wirklichen Gründe genannt habe, kann ich nicht sagen.

Dass München die letzte deutsche Hochschule war, die so lange keinen Hauptfachstudiengang Klassische Gitarre anbot, lag sicher am Ansehen der Gitarre. Man kann sagen, dass die Münchner Musikhochschule eine recht konservative Hochschule war – in jeder Beziehung. Lehr-Schwerpunkte waren seit jeher der Operngesang, Klavier und die Streichinstrumente. Als ich 1980 an die Hochschule kam, gab es das Instrument Gitarre nur im Fachbereich Schulmusik als Zweitinstrument. Generell galt sie bei vielen älteren Kollegen als Exoteninstrument. Und so arbeitete ich in den Jahren bis 1987 stetig am Image der Gitarre. Gott sei Dank hatte ich einige sehr gute Studenten, mit denen ich ein paar wirklich gute Konzerte veranstaltet habe. Meine jahrelangen Bemühungen um die Einführung des Hauptfachs Gitarre haben so einen realen musikalischen Hintergrund bekommen, dem sich das Präsidium nicht mehr verweigern wollte. Mein Glück war es, dass die drei Präsidenten meinem Wunsch nach einem Hauptfachstudiengang äußerst positiv gegenüberstanden, allen voran Prof. Gerd Starke. So wurde der Studiengang vom Senat der Hochschule bewilligt, ich erstellte daraufhin zusammen mit Prof. Enjott Schneider einen Studienplan und eine Prüfungsordnung, die dann von Prof. Roland Mackamul anstandslos genehmigt wurde. Und das Kunstministerium genehmigt den Studiengang innerhalb von zwei Wochen.

Weil aber die Gitarre als Kunstinstrument nicht bei allen Kollegen in der Hochschule bekannt war, bat mich der Schriftleiter der damaligen Hochschulzeitung a tempo, Prof. Horst Leuchtmann, ich solle doch anlässlich der Einführung des Studiengangs „was über die Gitarre zu schreiben“. Und so entstand mein Beitrag „Im Klang liegt die Poesie des Instruments“ – ein Zitat von Andrés Segovia.

DS: München gilt bis zum heutigen Tag nicht eben als Hochburg für klassische Gitarristen. Weder die staatliche Hochschule, noch das städtische Konservatorium hatten prominente Professoren oder Absolventen. Woran liegt das?

Dafür gibt es mehrere triftige Gründe. Zum einen sollten wir nicht vergessen, dass die Situation schon einmal ganz anders war. Vor etwa 100 Jahren war München ein Zentrum für Gitarre und Gitarristen aus aller Welt. Die beiden Weltkriege haben dann natürlich alles zerstört und nach WK2 hatten die Menschen in München andere Sorgen als Gitarre zu spielen. Und wie ich auch schon sagte, München und seine Musikhochschule waren ein sehr konservatives Publikum, die Oper spielte und spielt eine sehr große Rolle, die musikalischen Götter waren und sind Richard Wagner, Richard Strauss und Wolfgang Amadé Mozart. Da hatte es die Gitarre schwer, ihr Image als Klampfe abzulegen, obwohl es ab den 1960er Jahren mehr Gitarrenkonzert gab als heute. So hatte München ganz sicher keine große Anziehungskraft für prominente Professoren – wobei man nicht vergessen sollte, dass ein prominenter Professor zu sein nicht gleichbedeutend damit ist, ein hervorragender Lehrer zu sein. Da sind Professoren und Dozenten aus der zweiten Reihe – das ist in keinster Weise despektierlich gemeint – sehr oft die wesentlich besseren Lehrer und Pädagogen.

Das Thema prominenter Absolventen lässt sich auch nicht so einfach beantworten. Auch diese Frage muss man einbetten in die allgemeine Situation an deutschen Musikhochschulen. Da möchte ich in diesem Zusammenhang eine Gegenfrage stellen: Wie viele prominente Absolventen einer deutschen Musikhochschule gibt es, die eine internationale Karriere gemacht haben? Bei den Geigern fallen mir nur ein paar Namen ein: Anne-Sophie Mutter natürlich, Frank Peter Zimmermann, Christian Tetzlaff, Ingolf Turban und Carolin Widmann – aber das sind bereits „ältere Semester“. Von den jungen international bekannten GeigernInnen kann ich nur Julia Fischer und Arabella Steinbacher nennen. Von den Violoncello-Spielern fällt mir nur Daniel Müller-Schott ein. Und von den Pianisten? Zwei Namen: Martin Stadtfeld und Alice Sara Ott. Man möge mir vergeben, wenn ich den einen oder die andere berühmte MusikerIn vergessen haben sollte, das ist nicht mit Absicht geschehen.

Und prominente Absolventen unter den Gitarristen, die an deutschen Musikhochschulen ausgebildet wurden? Da ergibt sich für mich jedenfalls das gleiche Bild. Wie viele GitarristenInnen, die an einer deutschen Musikhochschule vom 1. Semester an ausgebildet wurden, haben eine internationale Karriere absolviert?

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es an jeder Hochschule meist nur einen einzigen Gitarrenprofessor gibt (und vielleicht 2–3 AssistentenInnen) und damit logischerweise eine begrenze Anzahl von Gitarrestudenten, dass es aber für die „etablierten“ Instrumente wie z. B. Klavier, Violine, Operngesang, an jeder Hochschule mindestens 3 oder 4 Professoren gibt und damit auch wesentlich mehr Studenten.

Wir dürfen in diesem Zusammenhang auch die Zeitqualität nicht vergessen. Nach der Wende 1989, als alle Grenzen aufgelöst wurden, haben Tausende von Musikstudenten vor allem aus dem gesamten Ostblock, aber auch verstärkt aus Fernost, Nord- und Südamerika deutsche Musikhochschulen gestürmt. Das waren meist fertige Musiker, die bereits in ihrem Heimatland ein Musikstudium absolviert hatten und nun hier in Deutschland weiterstudieren wollten. Viele bewarben sich dreisterweise um einen Studienplatz im 1. Semester oder zumindest für das 3. oder 5. Semester. Wen wundert es, dass ein deutscher Abiturient, der sich um die Aufnahme ins 1. Semester beworben hat, dann in der Eignungsprüfung das Nachsehen hatte. Niemals war er in der Lage, den Vorsprung, den ein bereits fertiger Musiker mitbrachte, wett zu machen. Er bekam dann einfach keinen Studienplatz. Denn natürlich ist es für einen Professor einfacher, mit fertigen Musikern zu arbeiten, als einen jungen talentierten Anfänger im ersten Semester zu entwickeln. Zumal sich viele Professoren weigern, Erstsemester überhaupt zu unterrichten. Das müssen dann ihre Assistenten übernehmen. Das war in den 1970er und 80er Jahren noch besser geregelt. Da musste ein gewisser prozentualer Anteil an Erstsemestern aufgenommen werden. Davon ist heute nicht mehr die Rede. Die prominenten Professoren geben rund um den Erdball ihre Meisterkurse und überreden die besten Teilnehmer dann, zu ihnen an die Hochschule zu kommen – Stipendium zugesichert. Die kommen für ein Studienjahr und dann heißt es: Der Professor X oder Y bringt aber gute Studenten raus …

Für den Musikstudenten bzw. die Musikstudentin ist es deshalb nicht einfacher geworden. Wir haben zwar so viele Musikstudenten wie noch nie, trotzdem wurden die Begabten nicht mehr. Warum ist das so? Es gibt viele StudentenInnen, die Talent haben, aber nur wenige von ihnen haben den notwendigen Charakter, um aus ihrem Talent eine Begabung zu machen, die sie dann vielleicht zu einer echten Künstlerpersönlichkeit heranreifen lässt. Ich meine mit „notwendigen Charakter“ dieses innere Brennen, das unbedingte Müssen – das mag kitschig klingen, aber wahr ist es trotzdem. Ohne dieses Brennen ist eine internationale Karriere nicht denkbar. Leider ersetzen viele Studenten dieses „Brennen“ durch ein übergroßes Ego, aber das ist nicht das gleiche – im Gegenteil, letztendlich steht ein solch aufgeblasenes Ego der Entwicklung zu einer echten Künstlerpersönlichkeit im Weg. Wichtiger denn je ist heute aber auch das gute Vernetzt-sein, denn angesichts der Globalisierung ist es einfach wesentlich schwieriger geworden. Und in den letzten 10–15 Jahren ist es natürlich von unschätzbarem Vorteil, sehr gut und attraktiv auszusehen, am besten wie ein Model. Letztendlich ist aber eines unabdingbar: Glück zu haben, ganz einfach Glück. Es ist nun mal so: So leicht wird man nicht berühmt.

Teil 4

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